Der Knoten ist geplatzt! Wirklich?

Wenn´  s vorne summt und hinten dreht, man zur Hannover Messe geht! Endlich – nach pandemiebedingten Magerjahren hat sich die Welt wieder unter dem Hermes versammelt. Oder zumindest der interessierte Teil davon, der sich mit Energieeffizienz, ressourcenschonender Produktion, Automatisierung und digitaler Transformation beschäftigt. Rund 4000 Aussteller ließen es in der Tat drehen und summen, denn überall auf den Messegängen tummelten sich Roboter, die Hände schüttelten, freundliche Chats hielten oder ihre Arbeit ehrfürchtig unterbrachen, wenn sich ein Mensch näherte. Die Dinger werden immer intelligenter. Und deshalb konnten es sich viele Aussteller leisten, ihre Coboter – also „Handhabungsautomaten“, die dem Menschen direkt zur Hand gehen können – im wahrsten Sinne des Wortes auf die Menschheit loszulassen.

Die gute Nachricht: 130.000 Besucher strömten in der vergangenen Woche auf das Messegelände. Das ist zwar noch nicht ganz auf Vor-Corona-Niveau, aber auf dem besten Weg dorthin. Aus Sicht der Messegesellschaft ist es durchaus positiv, dass immerhin 43 Prozent der Gäste aus dem Ausland kamen. Für den deutschen Industriestandort ist das allerdings keine so gute Nachricht. Denn sie bedeutet, dass sich nur 78.000 Entscheider aus Deutschland auf den Weg nach Hannover gemacht haben. 78.000 von schätzungsweise acht Millionen Managern und Managerinnen in Deutschland. Das wäre dann gerade einmal ein Prozent.

Das wäre zu wenig für die Zeitenwende, die Bundeskanzler Olaf Scholz wohl auch für die Rückbesinnung auf deutsche Fertigungstugenden im Sinn gehabt haben wird, als er in seiner Eröffnungsrede zur Hannover Messe die digitale Transformation als das zentrale Wachstumsprojekt für den Wirtschaftsstandort Deutschland ausgerufen hatte. Der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft, Fortschritte in KI-Forschung, Robotik oder Mikroelektronik, Kooperation von Menschen und Robotern – aus diesen Beispielen (und einigen mehr) gewinne er Zuversicht, dass daraus ein großer Aufschwung für unser Land werde. Er betonte zugleich die Notwendigkeit, dass wir „diese Transformation hier in Deutschland nun wirklich anpacken, dass wir vom Reden ins „Doing“ kommen.“

Man könnte auch angesichts der in Deutschland grassierenden Technologiefeindlichkeit sagen: Vom Dissing ins Doing. Den immer noch wird geradezu reflexartig von drohenden Arbeitsplatzverlusten, Verlust der informationellen Selbstbestimmung, vom gläsernen Patienten oder gar Entmündigung gemenetekelt, wenn es um Digitales oder – gottseibeiuns – Künstliche Intelligenz geht. Für die Bedenkenträger muss die Hannover Messe wie die Cannabis-Messe in Barcelona wirken – überall der süße Duft der Innovation.

Dennoch spürt Jochen Köckler, Vorstandschef der Deutschen Messe AG, so etwas wie Aufbruchstimmung, „die dahin geht, dass es Technologien für eine wettbewerbsfähige und gleichzeitig klimafreundliche Industrieproduktion gibt“. Nur – es gibt sie schon lange. In Deutschland herrscht jedoch immer noch Skepsis, Verunsicherung und mangelnde visionäre Kraft vor. Es geht jetzt darum, dass die Innovatoren, die neue Fertigungsmethoden durch Robotik und Automation auf der Industriemesse vorgestellt haben, nun auch erfolgreiche Vertriebsarbeit leisten und die Technologien auch tatsächlich im Mittelstand implementieren.

Und zwar ziemlich zügig. Es geht nicht nur um das Was und Wie, sondern auch um das Wann. Das neue Deutschlandtempo, wie es beispielsweise die Deutschland-Chefin von Microsoft, Marianne Janik fordert, mag für deutsche Unternehmer bereits atemberaubend sein – im Vergleich zur internationalen Elite in den USA, in Indien und China, sind wir allerdings immer noch auf Schneckenpost-Niveau. „Der Knoten ist geplatzt in Richtung Investitionen in die elektrische Infrastruktur – vor allem in den Netzausbau, um endlich Offshore-Windenergie an Land zu bringen“, gibt sich der Präsident des Elektro- und Digitalverbands ZVEI und Chef des Ausstellerbeirats, Gunther Kegel, zuversichtlich. „Da geht es mit Riesenschritten voran.“ Zugleich müssten in Deutschland etliche bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. „Wir brauchen jetzt Tempo und wirklich Entschlossenheit in der Umsetzung.“

Wenn der Knoten geplatzt ist, muss jetzt Unternehmungsgeist fließen – in der Politik und in der Wirtschaft. Dann klappt´  s auch mit den Downloads bei den Abi-Arbeiten!

630.000 Arbeitsplätze weggenommen!

Geradezu reflexartig wird beim Aufkommen einer neuen Technologie die Frage aufgeworfen, wie viele und welche Arbeitsplätze dem Menschen durch die neuen Maschinen weggenommen werden. Lange Zeit waren vom möglichen Abbau vor allem Arbeitsplätze für Ungelernte und Angelernte betroffen – also Menschen mit geringer Qualifikation. Mit den neuen KI-gestützten Sprachautomaten sind aber immer häufiger Anforderungsprofile betroffen, die von Absolventen eines Studiengangs und hochqualifiziertem Fachpersonal ausgefüllt werden könnten.

Wohlgemerkt könnten! Denn nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft waren allein im vergangenen Jahr rund 630.000 Arbeitsplätze unbesetzt – weil sich nicht einmal Bewerber für diese Stelle gefunden haben oder weil die mitgebrachten Qualifikationen für diese Position einfach nicht ausreichten. Besonders gesucht waren 2022 Expertinnen und Experten mit Hochschulabschluss in den Bereichen Informatik, Elektrotechnik, Bauplanung und -überwachung. Hier fehlten der Studie nach rechnerisch für neun von zehn offenen Stellen entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte.

Die Lage wird sich 2023 noch einmal deutlich verschärfen. Dann könnte es sein, dass für dringend benötigte Arbeitsplätze zum Beispiel im Bereich Digitalisierung, bei der Entwicklung neuer, kundenorientierter Anwendungen oder bei der Automatisierung in der Fertigung noch nicht einmal mehr Stellen ausgeschrieben werden, weil die Aussicht auf eine aussichtsreiche Bewerbung ohnehin allzu gering ist.

Konservativ gerechnet gehen der deutschen Wirtschaft durch die 2022 unbesetzt gebliebenen Arbeitsplätze mehr als drei Milliarden Euro flöten. Für einen mittelständischen Unternehmer muss es geradezu wie Hohn klingen, wenn jetzt angesichts der Leistungen, die KI-Systeme uns gegenüber tagtäglich vollbringen, wieder die alte Leier vom Arbeitsplatzverlust gegeigt wird. Viele mittelständische Unternehmen können sich nicht wie gewünscht weiterentwickeln, weil das Fachpersonal dafür fehlt und das vorhandene überlastet ist – zum Beispiel durch die Erledigung unnötiger Bürokratieaufgaben. Und auch die Genehmigungsverfahren in den Behörden vollziehen sich quälend langsam, weil auch dort das gleiche Dilemma gilt: fehlendes oder überlastetes Personal.

Es ist ja nicht die künstliche Intelligenz, die die Arbeitskräfte wegnimmt, sondern es sind die Manager, die sich entscheiden, eine seit einem Dreivierteljahr unbesetzte Stelle doch lieber durch Automatisierung zu ersetzen. Deshalb ist es auch wichtig, dass sich Befürworter und Gegner des Einsatzes von künstlicher Intelligenz nicht auf schwammig formulierte Möglichkeiten der Gefährdung oder des Nutzens zurückziehen, sondern mit konkreten und greifbaren Beispielen um die Ecke kommen, die einen mittelständischen Entscheider inspirieren und anspornen.

Dagegen herrscht bei der laufenden KI-Debatte stets der „Konjunktivus negativis“ vor: Es könnte passieren, dass ChatGPT halluziniert. Es könnte eines Tages soweit sein, dass dem Menschen die letzte Entscheidung genommen wird. Stattdessen wäre ein „Konjunktivus positivis“ wünschenswert: Durch die Übernahme langweiliger, sich wiederholender Tätigkeiten würden Ressourcen frei, die unmittelbar in Wettbewerbsvorteile umgemünzt werden können. Wer KI gegen überbordende Bürokratie einsetzt, könnten Genehmigungsverfahren beschleunigen. Wie sonst, wenn nicht durch KI-Systeme, könnten beispielsweise die 15 Aktenordner gefüllt werden, die es für die Genehmigung eines einzigen Windrades braucht.

Es war erstaunlicherweise die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die am vergangenen Donnerstag in der Runde bei Maybrit Illner diesen positiven Aspekt ins Spiel brachte, statt – wie von ihr zu erwarten gewesen wäre – das Reflexargument des Arbeitsplatzraubs anzustimmen. Ansonsten aber wurde die Chance verpasst, dem Publikum einmal zu erläutern, worin die ganz konkreten Nutzenaspekte einer KI in der Verwaltung oder in der Fertigung eines mittelständischen Unternehmens tatsächlich liegen. Dafür gab es immerhin den Hinweis, dass KI-gestützte Sprachprogramme auch Programmieren können und damit bei der Anwendungsentwicklung den bestehenden Arbeitskräftenotstand beheben. Allerdings geschah auch das nicht ohne die Warnung, KI-Systeme sollten sich aber nicht selbst programmieren dürfen.

Bitkom-Präsident Achim Berg machte immerhin den Versuch, die Debatte in Richtung Nutzungsmöglichkeiten und Wettbewerbsvorteile zu drängen und argumentierte klar, als er davor warnte, die Dominanz bei der KI-Forschung denen zu überlassen, die ein nicht-westliches Weltbild verfolgen und damit auch ihre KI-Systeme infizieren. Doch die wie üblich nur oberflächlich informierte Gastgeberin zog den Gesprächsfaden stets auf Yellowpress-Niveau herunter und hielt mit konkreten Fragen an Achim Berg leider hinter denselben. Es gibt Arbeitsplätze, da wünscht man sich geradezu die Übernahme durch künstliche Intelligenz.

KI-Verbot verbieten

Es ist wie in der Kindheit: Kaum macht eine Sache so richtig Spaß – wird sie verboten. Offenes Feuer zum Beispiel: Haben wir als Kinder nicht gerne mal ein bisschen gezündelt? Heute darf man nicht mal sein eigenes Osterfeuer haben, ohne es offiziell anzumelden und es dann als öffentliche Veranstaltung zu deklarieren. Haben wir nicht Cowboy und Indianer gespielt und uns an Karneval als solche verkleidet? Heute ist das eine kulturelle Aneignung. Haben wir nicht auch gerne heimlich geraucht? Heute muss man dafür das Restaurant verlassen. Und wenn das so weiter geht, werden künftig auch die Karnivoren neben den Rauchern draußen vor der Tür stehen, weil sich die Veganer und Vegetarier beziehungsweise Veganerinnen und Vegetarierinnen durch den Anblick gestört fühlen könnten.

Und jetzt haben die Italiener – kaum dass wir nach fünf Monaten das neue Spielzeug richtig kennengelernt haben – den Zugang zum KI-gestützen Sprachassistenten ChatGPT gesperrt. Dabei geht es der Meloni-Regierung gar nicht um die Unwägbarkeiten der Künstlichen Intelligenz selbst, sondern darum, dass ChatGPT oder andere Lösungen, die eigene Texte aus der Kenntnis großer Datenmengen erzeugen, möglicherweise gegen den Datenschutz verstoßen. Es geht also wieder einmal nicht darum, dass eine Technologie sich bereits als schädlich erweist, sondern lediglich darum, dass sie sich als schädlich erweisen könnte.

Man muss diese Argumentation einmal auf das Auto anlegen – das unter diesen scharfen Urteilen wahrscheinlich niemals eine größere Verbreitung erlangt hätte. Denn Autos könnten Menschen töten oder verletzen – ja, es geschieht bereits in Zigtausend bedauerlichen Fällen Jahr für Jahr. Wir würden weiter reiten oder in Kutschen fahren – und unser wichtigstes Umweltproblem bestünde darin, dass sich niemand findet, der den lästigen Pferdekot von den Straßen räumt.

Die deutschen Datenschützer in der „Taskforce KI“ haben sich die italienische Sichtweise bereits zu eigen gemacht und fürchten um die Einhaltung der Datenschutz-Grundverordnung. Dabei gibt es in Deutschland noch nicht einmal eine Beschwerde wegen eines möglichen Verstoßes. Auch hier reicht der bloße Anfangsverdacht. In Kanada ist man bereits so weit, eine „mutmaßliche Aneignung personenbezogener Daten ohne Zustimmung“ zum Anlass zu nehmen, den Zugang zu ChatGPT zu sperren.

Doch – so lautet der nicht ganz von der Hand zu weisende Vorwurf – die Daten und Texte, mit denen ChatGPT vorab trainiert wurde, seien für Nutzer und Betroffene intransparent. Wäre also die Auswahl der Texte, auf denen das mathematische Sprachmodell von ChatGPT fußt, politisch links- oder rechtslastig, wäre es diskriminierend gegenüber Gruppierungen oder ließe Werke zu unseren moralischen und ethischen Werten völlig unberücksichtigt, so wäre auch der Output des Sprachassistenten politisch einseitig, diskriminierend oder wenig werteorientiert.

Doch liegt in dieser Kritik bereits die Lösung – und das nächste Problem. Es gibt nicht die allein seligmachende Text- und Datenbasis, in der der globale Konsens über alle Kulturen, Kontinente, Kontroversen und Kontraste gelingt. Aber so wie Firmen auf ihrer eigenen Datenbasis aufsetzen, könnten professionelle Nutzer von KI-gestützten Sprachassistenten eine Datenbasis nach eigenem Gusto zugrunde legen. Eine chinesische KI-Lösung bewertet die Dinge also in der Tradition eines Konfuzius (oder Kon-fu-tse), eine angloamerikanische Version dagegen eher utilitaristisch.

KI-Systeme stecken also in dem gleichen Dilemma aus Wahrnehmung und Wirklichkeit, in dem jeder Mensch steckt, der sich in seiner Echoblase bewegt. Wahr ist, was wahrgenommen wird. Wirklich ist, was wirkt. Kreationalisten, die fest an den wörtlichen Wahrheitsgehalt der Schöpfungsgeschichte glauben, würden die Texte einer KI, die auch Fachbücher zur Evolution kennt, als Teufelswerk ablehnen. Russische Kriegstreiber im Kreml könnten mit von einer KI generierten Analyse des Ukrainekriegs wahrscheinlich nicht einverstanden sein, wenn das System auch die „westliche Propaganda“ mit in den Datenbestand aufgenommen hat.

Strenger sehen das die Autoren rund um Elon Musk, die in einem offenen Brief ein sechsmonatiges Moratorium fordern, um gemeinsam Leitplanken für die Erstellung und Nutzung von KI-Systemen zu schaffen. In nur sechs Monaten? Die Diskussion um KI ist bereits mehr als 60 Jahre alt! Und wer sollte diesen technologischen Waffenstillstand überprüfen? Wer sollte sicherstellen, dass niemand sich einen unrechtmäßigen Wettbewerbsvorteil dadurch erwirbt, dass heimlich doch weitergeforscht wird. Und nicht zuletzt: In welchem Weltforum sollte man sich auf die KI-Prinzipien einigen? Noch nie konnte eine technologische Revolution durch demokratische Abstimmungsverfahren kanalisiert werden. Warum sollte es ausgerechnet jetzt klappen, wo die Welt ohnehin in so ziemlich jeder globalen Frage uneins ist?

Technologie-Verbote wirken immer hilflos. Und sie führen auch meist zu seltsamen Auswüchsen – wie zum Beispiel dem Fahnenschwenker, der Anfang des 19. Jahrhunderts einer Dampflok vorausgehen sollte, um Anrainer des Schienenstrangs zu warnen. Statt sich mit Verboten zu beschäftigen, sollten wir uns beim Gestalten Mühe geben. Man sollte ein KI-Verbot verbieten. Aber vielleicht verbietet es sich von selbst.

Scholzen oder Nadellern?

Ganz Deutschland fragt sich immer wieder, ob das Krisenmanagement von Bundeskanzler Olaf Scholz nun tatsächlich – wie bei den Koalitionsverhandlungen versprochen – Führungsverhalten ist oder nicht doch eher der Mangel eines solchen. Es ist sicherlich nicht verkehrt, Meinungsverschiedenheiten durch die Kontrahenten zunächst austragen zu lassen, als selbst durch Basta-Politik einen Kompromiss, mit dem schließlich alle zufrieden sein können, auszuschließen. Aber es ist schon befremdlich, dass der Bundeskanzler die tiefen Risse, die sich offensichtlich in der Koalition zeigen, nicht zu kitten versucht, sondern den Streit sich eskalieren lässt.

Zuletzt hat es 30 Stunden gebraucht, ehe diese Risse nach der Sitzung des Koalitionsausschusses mit einem 16-Punkte-Papier notdürftig übertüncht wurden. Doch schon am darauffolgenden Wochenende verhaken sich die Grün/Gelben erneut – diesmal wegen der im Koalitionsvertrag vereinbarten Kindergrundsicherung. Gegenüber der Bild am Sonntag sieht Bundesfinanzminister Christian Lindner die Grenzen erreicht – auch weil es wichtigere (oder dringendere) Aufgaben gebe, wie zum Beispiel die Aufrüstung der Bundeswehr.

Wird jetzt wieder „gescholzt“ und das Problem ganz einfach ausgesessen? Oder gibt es doch ein Basta aus dem Kanzleramt? Wahrscheinlich wird auch dieses Problem ganz einfach „wegmoderiert“ werden – eine Managementtugend, die gerade unter der aktuellen Führungsriege in deutschen Unternehmen en Vogue ist. „Wegmoderieren“ funktioniert im Extremfall so, dass so lange diskutiert wird, bis keiner mehr Bock darauf hat, seinen Standpunkt zum wiederholten Mal darzustellen und dieser zum Kompromiss weichgekocht ist. Es ist eine bewährte Variante des „Scholzens“, aber es ist kein zukunftsorientierter Führungsstil.

Viele DAX-Vorstände und Vorständinnen haben die Methode des „Wegmoderierens“ gelernt – auf dem langen Weg in die Führungsetage. Sie ist der legitime Nachfolger der Methode „Führen durch Fragen“, bei der Kontrahenten so lange ihren Standpunkt erklären müssen, bis sie sich in Widersprüche verstrickt haben. Auch diese Methode zeigt einen deutlichen Mangel an Zukunftsorientierung. Es ist also kein Wunder, dass so oft weder in der Politik, noch in der Wirtschaft begeisternde Perspektiven oder Visionen zu erkennen sind.

Kann man so ein Land nach vorne bringen? Vielleicht sollten wir uns an Microsoft ein Beispiel nehmen – einem Unternehmen, das vor etwas mehr als einem Jahrzehnt in den Ranglisten immer weiter nach hinten durchgereicht wurde. Der Versuch, in Kooperation mit Nokia ins verpennte Smartphone-Geschäft einzusteigen, führte zu einer milliardenschweren Abschreibung. Den Mut dazu hatte der auf Steve Ballmer folgende neue CEO Satya Nadella. Er hatte auch den Mut, eine krankhafte und vergiftete Streitkultur abzuschaffen, die nicht auf gegenseitiges Fördern ausgerichtet war, sondern aufs Vernichten konkurrierender Ideen.

Jetzt ist es nahezu keine Nachricht, dass Satya Nadella in diesen Tagen in seinem Amt als Chief Executive Officer bestätigt wurde. Wer könnte eine charismatische Führungsfigur in Frage stellen, die aus einem paralysierten, ja sogar vergangenheitsorientierten Unternehmen, in dem alles dem Windows-Primat unterstellt oder weggebissen wurde, zu einem „Trillionaire“ gemacht hat, und der auf nahezu allen Feldern der Digitalisierung zur Zeit das Tempo vorgibt. Das gilt mit Sicherheit für Cloud Computing und künstliche Intelligenz. Das kann aber in absehbarer Zeit auch für den gigantischen Gaming-Markt gelten, wenn – wie es sich jetzt abzeichnet- die Übernahme von Activison Blizzard nach einer Hängepartie doch genehmigt wird.

Was unterscheidet das „Scholzen“ vom „Nadellern“? Seine Weggefährten stellen stets seine Fähigkeit zur Empathie heraus, die sich gerade darin zeigt, dass auch unbequeme Ideen mit Hingabe angehört, bewertet und eventuell verfolgt werden. Er selbst hängt seine Leistung einige Zacken tiefer: „Du kannst nicht wachsen, wenn du deinen aktuellen Job nur als Hindernis auf dem Weg zum nächst besseren Job siehst“, hat er jetzt in einem Interview rausgehauen. Der sicherste und womöglich schnellste Karrieretrick bestehe darin, sich durch Hingabe, Leistung und Zielorientierung im aktuellen Job zu beweisen – auch für den nächsten Job…

Ach, so einfach ist das? Ist es aber nicht – schon gar nicht in einer Organisation, in der es jedem darum geht, vor allem das eigene Profil zu schärfen. Es ist mit Blick auf die Ampel-Koalition eher so, als würden sich die roten, gelben und grünen Akteure schon zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl vor allem Gedanken um ihren nächsten Job machen – statt den Job gut auszufüllen, den sie gerade innehaben.