„Mr. Watson, come here“

Der Legende nach sind die ersten, jemals über eine elektrische Leitung transportierten Worte die schlichte, aber bestimmte Aufforderung an Alexander Graham Bells Sekretär gewesen, aus dem Nachbarzimmer in das Laboratorium des Telefonerfinders zu kommen: „Mr. Watson, come here – I want to see you.“ Dass Watson dieser Aufforderung nachkam, war der sichtbare Beweis für die erfolgreiche erste Sprachübertragung.

Das war am 10. März 1876 – vor fast genau 135 Jahren. Seitdem haben die Watsons die Telekommunikation und Informationstechnik regelmäßig vorangetrieben – allen voran der 1874 geborene Thomas J. Watson der nach seiner herausragenden (und zum Teil auch dubiosen) Vertreterkarriere bei NCR Generalbevollmächtigter der Computing-Tabulating-Recording-Company wurde, die später IBM heißen sollte.  Aber es war sein Sohn Thomas J. Watson Jr., der in den fünfziger und sechziger Jahren mit der /360-Architektur der Welt einen ersten kompatiblen Computer gab und IBM zu einem Weltunternehmen vergrößerte.

Oder nehmen wir James Dewey Watson, der 1953 zusammen mit Francis Crick die Doppelhelix der Desoxyribonukleinsäure erkannte und damit die Entschlüsselung unserer Erbinformation auf den Weg brachte. Seine nobelpreiswürdigen Erkenntnisse haben uns den ältesten Informationsträger überhaupt lesbar gemacht.

Und jetzt also Watson. Einfach nur Watson. Dass IBMs Trivia-Computer, der jetzt bei der dreitägigen Quizshow „Jeopardy“ die Vertreter der natürlichen Intelligenz gnadenlos auf die Ränge verwies, in seinen Datenbanken auch Referenzen seiner Namens-Vorfahren vorrätig hält, darf getrost unterstellt werden. Sensationell ist seine Leistung – oder richtiger die seiner Programmierer – nicht nur, weil das System im Unterschied zu Suchmaschinen nicht eine beliebig große Sammlung an Treffern präsentierte, sondern die nach Kalkulation wahrscheinlich „richtige“ Antwort. Dies ist kein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem „smarteren Planeten“. Dass die Maschine aber auch aus Fakten auf die vorausgegangene Fragestellung rückschließen kann, ist bahnbrechend.

Allerdings – ehe IBM zum hundertsten Geburtstag damit beginnt, den ganzen Planeten ein bisschen smarter zu machen, sollte die Company mit den eigenen Programmierern beginnen. Denn Watson hatte geradezu bilaterale Verspannungen heraufbeschworen, als die Maschine auf die Fakten zu einer US-Stadt, „deren größter Flughafen nach einem Weltkriegshelden benannt wurde und deren zweitgrößter nach einer Schlacht benannt wurde“, antwortete: „Was ist Toronto?“ Toronto aber ist nicht nur falsch, sondern auch in Kanada.

Es gibt also noch einiges zu feilen, ehe Watson, wie IBM jetzt erklärt, im medizinischen Umfeld eingesetzt werden kann. In enger Kooperation mit dem Sprachsteuerungs-Spezialisten Nuance Communications (Dragon Natural Speaking) soll „Dr. Watson“ als Assistent bei der Diagnose von Krankheiten helfen. Ganz wie jener legendäre Arzt Dr. Watson, der in Sir Arthur Conan Doyles Romanen den pragmatischen Gegenpol zum inspirierten, frei assoziierenden Sherlock Holmes bietet, wird der Ärzte-Computer dann statt Weltkriegshelden und Schlachtenstätten die Symptome analysieren und schließlich antworten: „Das ist eine Amyotrophe Lateralsklerose.“ (siehe dort).

Auch bei ähnlich strukturierten Aufgabenstellungen – beispielsweise bei der Maschinenwartung oder auch im Profiling – könnten der künftige „Dr. Watson“ assistieren. Und auch hier gibt es mit Microsofts „Dr. Watson“, der in der Software nach Fehlern und ihren Behebungsmöglichkeiten sucht, bereits einen berühmten Namensvorgänger.

Aus aktuellem Anlass empfehlen wir den Programmentwicklern bei IBM einen ausführlichen Quellenreferenzierungsmechanismus. Sonst wird aus Dr. Watson ganz schnell: Watson.

Inder-Netökonomie

Die Konjunkturprognosen für deutsche Unternehmen waren lange nicht so gut wie derzeit – aber deswegen muss man ja nicht mit liebgewordenen Gewohnheiten brechen: Durch Selbstzweifel lassen sich auch die aktuellen Zahlen des Internationalen Währungsfonds problemlos in Negativaussichten ummünzen: Sicher – Deutschland wird im laufenden Jahr um 2 bis 2,2 Prozent wachsen, schneller als Europa mit 1,5 bis 1,7 Prozent. Aber eben nur noch halb so schnell wie die Weltwirtschaft, deren Wachstum durch China (plus 9) und Indien (plus 8 Prozent) befeuert wird.

Während sich China zum Produktionszentrum der Welt entwickelt, baut Indien seine Rolle als globales Dienstleistungszentrum weiter aus. Bereits 50 Prozent des indischen Bruttosozialprodukts entstammen dem Service-Sektor – mit einem hohen Anteil an IT-Dienstleistungen. So soll es weiter gehen – das ist der klare Tenor des soeben beendeten NASSCOM  India Leadership Forums 2011 in Mumbai. Die National Association of Software and Services Companies – eine Mischung aus BITKOM, IT-Gipfel und Handelskammer -, schätzt, dass Indiens IT-Sektor im kommenden Jahr auf 68 bis 70 Milliarden Dollar angewachsen sein wird. Doch das Plus von rund 17 Prozent sei noch konservativ geschätzt, meint Subramaniam Ramadorai, der als Vice President von Tata Consultancy Services (TCS) nicht nur die Geschicke des größten indische Systemhauses vorantreibt, sondern auch als Berater von Premier Manmohan Singh fungiert.

Drei Viertel des Umsatzes generieren indische Systemhäuser für und zunehmend auch mit Anwendern in den etablierten Industrieländern. Und der weltweite Trend zum Cloud Computing wird den Exportcharakter der Dienstleistungen noch weiter fördern. Dabei schwebt den Indern nicht länger die Geschäftsidee vor, Rechenzentrums- und Codier-Leistungen zu erbringen. Vielmehr sieht die NASSCOM in der Cloud die ideale Plattform für eine global ausgelegte Produktentwicklung. Die Tendenz zeichnet sich jetzt schon ab: Software entsteht nicht ausschließlich im eigenen Entwicklungslabor und erblickt erst mit der Marktreife das Licht der Anwenderwelt. Vielmehr kommen 90-Prozent-Lösungen auf den Markt, die im Fegefeuer der Anwenderkritik dann veredelt werden.

Rund 500 CEOs dieser kommenden Produkthäuser hatten sich bereits im November 2010 auf der NASSCOM Product Conclave zusammengefunden, um Geschäftsideen und Geschäftsmodelle auszutauschen. Interessant ist dabei, dass die wesentlichen Zielmärkte nicht mehr zwangsläufig in Europa und Nordamerika liegen, sondern neben dem eigenen Heimmarkt vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika – dort also, wo die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren ihren wesentlichen Wachstumsschub gewinnt. Die auf das Internet als Entwicklungsplattform ausgerichtete indische Netökonomie ist diesen Wachstumserwartungsländern deutlich näher als der Westen.

In der Tat wird der Wachstumswettlauf in den kommenden Jahrzehnten nicht im Westen oder Osten, sondern im Süden entschieden. Oder ist er bereits entschieden? Indien wird im weltweiten Ranking der Volkswirtschaften vom elften auf den dritten Platz vordringen, prognostizieren die Wirtschaftsexperten von PriceWaterhouseCoopers. Allerdings werden dann nicht nur die USA vor Indien rangieren, sondern auch – China.

Globaler Mittelstand: überholen ohne einzuholen

Die Wirtschaftskrise hat endgültig mit einer alten Volksweisheit aufgeräumt: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Heute propagiert der Volksmund: Spare in der Not, dann hast du Zeit dazu. Auch der globale Mittelstand scheint dem Common Sense der Global Economy nun folgen zu wollen. Zwar stehen für 2011 noch Sparprogramme auf dem Programm – doch strategisch schalten die Unternehmer längst in den Beschleunigungsgang. Nach der Kostensenkung soll jetzt das Wachstum folgen. Beim Überholen soll vor allem die IT helfen.

Der Mittelstand bricht allenthalben mit seiner traditionellen Einkaufspolitik, beobachtet IBM in ihrer weltweit angelegten Studie über den Midmarket 2011. Während es bislang mittelständische Tugend war, mit Investitionen und Innovationen zwei, drei Schritte hinter den globalen Konzernen zurückzustehen und erst einmal abzuwarten, ob sich das Momentum eines Trends auch tatsächlich etabliert, greift der Mittelstand jetzt zu neuen Infrastrukturen wie Cloud Computing und Virtualisierung, um sich für den Überholvorgang zu präparieren. Umsatzwachstum und Customer Focus stehen bei den Strategen hoch im Kurs. Noch aber haben die Controller das Heft in der Hand: Sie bestimmen die Agenda für die kurzfristige Handlungsmaxime: Kosten senken, Strukturen verschlanken, Effektivität steigern.

Aber dann wir durchgestartet: mehr Kundenservice, neue Marktkommunikation, überarbeitete Geschäftsprozesse in Kernbereichen, verbesserte Entscheidungsunterstützungswerkzeuge, höhere Flexibilität in einer reaktionsfreudigen Organisation und ausgeprägte Ausrichtung auf Arbeitsteilung und Zusammenarbeit sind die Topziele für 2011 und danach. Entscheidend ist bei künftigen Wachstumsplänen die Qualität in der Beziehung zum Kunden – da sind sich Entscheider in den USA und Europa weitgehend einig. In den gigantischen Flächenländern Russland und China genießt hingegen Information Management, die Aufbereitung der Daten zu Wissen, oberste Priorität.

Drei Viertel der Entscheider stecken deshalb derzeit in Projekten zur Verbesserung der IT-Projekte – und dabei meinen zwei Drittel der Befragten ausdrücklich: Cloud Computing und/oder Software as a Service. Die Erwartungen an das Leben aus und in der Wolke sind nicht gering: 72 Prozent der Befragten erwarten, dass sie durch die Cloud ihre Kosten weiter senken oder zumindest die Kostenentwicklung zukünftig besser steuern können.  Allerdings sieht bereits mehr als die Hälfte der mittelständischen Planer, dass die IT-Budgets wieder steigen werden. Kosteneffizienz führt also nicht direkt in die Sparwelle, sondern in die nächste Investitionswelle.

Hier bleibt der Mittelstand seiner klassischen Haltung treu: mehr ausgeben ja, aber nur, wenn es auch mehr bringt. Wäre ja so verkehrt nicht.