Lange Zeit schien es, als würden die Naturgesetze für die Cloud nicht gelten. Die Anziehungskraft zum Beispiel, die Cloud Computing auf den Mittelstand ausüben sollte, ist seit Jahren ausgesetzt. Und auch Moores Gesetz, wonach sich die Dichte und damit Komplexität integrierter Schaltkreise alle 18 Monate verdoppelt, schien auf die Rechenleistung aus der Wolke keine Auswirkungen zu haben. Denn eine erste Ableitung aus dem Mooreschen Gesetz ist ja die erlebte Praxis, dass sich im Gegenzug die Kosten für eine und dieselbe Rechenleistung innerhalb dieser 18 Monate halbieren sollten.
Lange Zeit aber schien dieses Gesetz für die Cloud nicht zu gelten – die Infrastrukturleistungen, die aus der Wolke bereitgestellt werden, nahmen zwar kontinuierlich zu: mehr Speicher, mehr Rechenpower, mehr Übertragungsleistung. Aber der Preis für Infrastructure as a Service blieb seit einer halben Dekade erstaunlich stabil. Seit zwei Zyklen sollte Moores Gesetz auf die Kosten keinen Einfluss gehabt haben?
Doch. Seit 2013 herrscht gerade eine Preisschlacht unter den Anbietern systemnaher Cloud-Services. Nachdem lange Zeit Amazon das Preisdiktat innehatte, hat sich jetzt Google an die Spitze der Abwärtsbewegung gesetzt. Bis zu 40 Prozent weniger zahlen Googles Cloud-Kunden von einem auf den anderen Tag – und Amazon, Microsoft, IBM folgen en Suite. Wie eine Börsenkorrektur wurden die Preise praktisch auf das Plateau herabgesenkt, das Gorden Moore ihnen bereitet hatte.
Das ist durchaus eine schlechte Nachricht für jene Anbieter, die ihr margenschwaches Boxengeschäft durch ein attraktiveres Geschäftsmodell mit dem Cloud Computing ersetzen wollen – IBM zum Beispiel. Jetzt müssen es doch (nur) die Economies of Scale bringen, nach denen der Betrieb eines Rechenzentrums für viele kostengünstiger operieren kann, als viele Rechenzentren für jeweils einen.
Das ist aber auch eine schlechte Nachricht für jene Anbieter, die neben dem Cloud-Geschäft keine echte Cash-Cow außerhalb der Mooreschen Gesetzmäßigkeiten haben – Amazon zum Beispiel, deren margenschwaches Retailgeschäft zwar weltweit dominant ist und so ziemliche alles, was man kaufen kann, abdeckt. Aber der plötzliche (und diesmal nicht selbst angezettelte) Einnahmeverzicht schlägt schon ins Kontor.
Denn die Investitionen in weltweit operierende Service-Rechenzentren gehen mit den steigenden Kundenzahlen und den strenger werdenden legalen Anforderungen erheblich in die Höhe. IBM plant (wie berichtet) den Ausbau seines Dienstleistungsparks auf 40 Zentren und nimmt dafür mehr als eine Milliarde Dollar in die Hand. Microsoft hat im zurückliegenden Jahr insgesamt Investitionen von 4,3 Milliarden Dollar getätigt. Google haute sogar 7,4 Milliarden Dollar raus. Bei Amazon waren es 3,4 Milliarden Dollar. Obwohl es dank des Mooreschen Verdopplungsszenarios mehr „Bang for the Buck“ gibt, haben sich diese Investitionen in den letzten fünf Jahren praktisch verzehnfacht.
Bilanzgewinn ist nicht das Ziel im Preiskrieg, sondern Landgewinn. Es geht darum, die wachsenden Kapazitäten so schnell wie möglich auszulasten und Marktanteile überall dort hinzuzugewinnen, wo sich Nachfrage auftut – in den Industrieländern ebenso wie in den Schwellenländern wie in den unentwickelten Ländern. Denn für jede dieser Wirtschaftsregionen hat die Cloud ein eigenes Heilsversprechen: mehr Flexibilität hier, mehr Wachstum da und überhaupt Rechenleistung für alle dort.
Außerdem aber gilt es, das Terrain vorzubereiten für die wahre Königsdisziplin des Cloud Computings – die Bereitstellung von Software und Services, für Anwendungen und Analysen, für die denn auch stabilere Preise erzielt werden können. Google hat ebenso eine Office Suite im Angebot wie Microsoft – und beide wollen die Plattformen, von denen diese Cloud-Services genutzt werden, zur ubiquitären Wolkenwelt ausbauen. Apple und wiederum Google haben das gleiche Ziel auch mit Blick auf ihre App-Stores, in denen Milliarden von Kleindownloads das Geschäft stärken. Und IBM wie auch SAP verbreiten sich in der Wolke, um ihren Großkunden die Plattform der Zukunft zu bereiten. Oracle kündigt diesen Schritt für den Sommer 2014 an.
So schön diese Entwicklung für den Anwender ist, der sich nunmehr über stetig wachsende Rechenleistung bei kontinuierlich sinkenden Preisen freuen kann. Er kann seine Ressourcen für andere, mehr das eigene Geschäft betreffende Aktivitäten nutzen – und damit ein Versprechen der Cloud-Marketiers einlösen. So gefährlich ist das Spiel für die Anbieter, die immer höhere Investitionen bei sinkenden Margen nur mit mehr Effizienz kompensieren können. Der Markt freilich ist beliebig groß und angesichts von Mehrfachnutzern nicht einmal durch die Zahl der Weltbevölkerung begrenzt. Aber am Ende führt Moores Gesetz doch zu einem weiteren, noch mächtigeren Naturgesetz: Darwins „Survival of the Fittest“. Kann sein, dass wir uns erst im Mesozoikum des Cloud-Zeitalters befinden, wo Größe und nicht Hirn alles zählte. Aber dann kommen die Säuger der zweiten Cloud-Generation…