Das Umfrageergebnis kommt überraschend: Grundsätzlich steht kein Management der befragten 42.000 Unternehmen dem Einsatz von künstlicher Intelligenz negativ gegenüber. Lediglich 16 Prozent sehen allerdings den Einsatz skeptisch. Das ist das Ergebnis unter mittelständischen Verbundgruppen in 17 verschiedenen Branchen. Die Umfrage kann also als durchaus repräsentativ angesehen werden. Dass innerhalb so kurzer Zeit seit der Einführung von ChatGPT im vergangenen November das Nutzenpotential von KI so schnell und umfassend vermittelt werden konnte, ist in der Tat überraschend.
Das ist das neue IT-Tempo. ChatGPT brauchte noch zwei Monate, um auf 100 Millionen Nutzer zu kommen. Das jetzt von Meta vorgestellte Threads benötigte für diese Marke nur noch fünf Tage – auch, weil Instagram-Nutzer sich mit ihrem Account sofort anmelden konnten. Zum Vergleich: TikTok, die vor ChatGPT letzte IT-Innovation, benötigte für diese Marke noch neun Monate. Die nächste Produkteinführung dürfte bereits in Stunden diese Schwelle überstanden haben.
Aber Threads ist simpel, KI ist komplex: Dass der Zuspruch unter Managern dennoch so einheitlich positiv ist, beweist, welche Hoffnungen und Phantasien damit inzwischen verbunden werden. Denn KI ist nicht nur der Hoffnungsträger bei der internen und externen Unternehmenskommunikation. Es ist auch der Joker bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen. Und nicht zuletzt sollen KI-Systeme dabei helfen, Kosten zu reduzieren. Doch wer KI nur mit dem Ziel einsetzt, Kosten zu sparen, könnte sich über kurz oder lang selbst einsparen.
Es scheint, dass die Teams um Microsofts CEO Satya Nadella und Alphabets CEO Sundar Pichai ganze Arbeit geleistet haben. Beide haben bei der Verkündung ihrer aktuellen Quartalszahlen vor allem darauf abgehoben, dass nicht länger das Cloud-Business der Hoffnungsträger Nummer Eins ist, sondern das Geschäft mit der Künstlichen Intelligenz. Die Kunden fragen nicht mehr, wie sie KI einsetzen können, sondern wie schnell. Das weckt Börsenphantasien.
Schnelligkeit ist inzwischen die wichtigste Voraussetzung für Erfolg. Doch in Deutschland herrscht Deutschlandgeschwindigkeit. Gerade setzt sich unsere Volkswirtschaft ans Ende der europäischen Nationen. Und die Wirtschaftsinstitute überbieten sich mit Negativprognosen. Das Bruttoinlandsprodukt werde im laufenden Jahr um mindestens 0,3 Prozent sinken, während alle anderen Volkswirtschaften ein – wenn auch nur moderates – Wachstum erwarten lassen. Hier aber folgt auf die Winterrezession die nicht eingeplante Sommerrezession. Dabei hört und liest man die immer gleiche Suada: Energiepreise zu hoch, Genehmigungsverfahren zu langsam, Fachkräfte zu wenig, Nachfrage zu schwach.
Das sind nicht die Voraussetzungen für ein Deutschlandtempo auf Weltniveau. Dabei – und auch das ist durchaus überraschend – haben ausländische Investoren offensichtlich mehr Vertrauen in die deutsche Industrie als die Deutschen selbst. 52 Prozent der im vergangenen Jahr von den 40 Dax-Unternehmen ausgezahlten Dividende in der Gesamthöhe von gut 51,6 Milliarden Euro wanderten ins Ausland ab, wie die Unternehmensberatung EY ermittelte. Dabei hat der DAX-40 sogar rund sieben Prozent mehr ausgezahlt als 2021.
Der Grund für das internationale Vertrauen in die deutschen Top-Konzerne liegt in der breiten Internationalisierung des Geschäfts – und der Produktionsanlagen. Angesicht der Herausforderungen in Deutschland erwägen in der Tat immer mehr Unternehmen, Fabrikationsanlagen in den USA zu errichten. Steuerbegünstigungen der Biden-Regierung machen diesen Schritt immer attraktiver.
Das sind Optionen, die den meisten mittelständischen Unternehmen verwehrt bleiben. Sie müssen mit dem Deutschlandtempo vorankommen. Dabei kann KI helfen. Die Frage ist nicht mehr wie, sondern wie schnell.