Inzwischen kennt es jeder, das Enterohämorrhagische Escherichia coli – kurz Ehec. Das vor rund 30 Jahren im Pansen eines Rinds wildgewordene Bakterium vom Stamme der bestens aus dem Biologieunterricht bekannten E.coli verübt seit gut einer Woche tödliche Anschläge auf Norddeutschland: Hunderte sind erkrankt, mehr als zehn Patienten bereits verstorben – von innen heraus geschwächt durch das von Ehec verursachte hämolytisch-urämische Syndrom (HUS). Und mindestens ebenso bedrohlich: Auch wenn das Labor der Münsteraner Universitätskliniken den Ehec-Typen schnell identifzieren konnte und eine Spur des Erregers auf spanische Salatgurken verweist – der genaue Weg, die genaue Ursache für die Epidemie ist noch völlig unklar. Derweil vergeht die Zeit…
Es ist nämlich keineswegs egal, ob in China ein Sack Reis umfällt, in Hamburg eine Palette Salatgurken auskippt oder in Malaga Gülle versprüht wird. Lebensmittel sind mobiler als Menschen, sie absolvieren auf ihrem Weg auf den Teller globale Reisestrecken, gehen buchstäblich von Hand zu Hand und erfahren extreme Umweltbedingungen: von brütender Hitze ins Kühllager, vom gleißenden Licht in die Dunkelkammer. Nicht selten sind sie dabei durch kaum mehr geschützt als jene Haut, die sich vor Millionen von Jahren bewährt hatte, bevor es den globalen Lebensmittelmarkt gab.
Die Gesetzgeber in der Europäischen Union haben das erhebliche Gefahrenpotenzial gesehen, das sich aus der Wertschöpfungskette aus Verbreitung, Verarbeitung und Verkauf (dem „Inverkehrbringen“, wie es auf büro-kratisch richtig heißt), ergibt. Mit der EU-Verordnung 178-2002 haben sie EU-weit die gesetzlichen Vorgaben an Lebensmittelproduzenten vereinheitlich und präzisiert. Danach müssen die Player in der Supply Chain jeweils den Vorgänger und den Nachfolger benennen können, von dem sie und an den sie die einzelnen Lebensmittelchargen geliefert (bekommen) haben. In der Folge lässt sich damit minutiös und schnell rückverfolgen, welche Erdbeerernte in welche Joghurtpalette geriet. Ausgespart in der Verordnung wurden allerdings die Erzeuger und Teile des Handels und des Handwerks.
Durch diese Nachweislücke scheint das Ehec-Bakterium geschlüpft zu sein. Und genau dieser Bruch in der chargenorientierten Rückverfolgung macht auch jetzt das Aufspüren der Wege, über die die Bakterien-Invasion auf Norddeutschland hereingebrochen ist, zu einem Detektivspiel gegen die Zeit. Solange die Quellen nicht zweifelsfrei eingegrenzt werden können, ist es völlig angemessen, die Warnungen global und pauschal auf Gurken, Tomaten und Blattsalat auszuweiten.
Rund zwei Millionen Euro, so beklagen Landwirtschaftsvertreter, gehen dadurch täglich den Bauern an Einnahmen verloren. Ähnlich waren die Zahlen im vergangenen Februar, als Dioxin-Eier die Verbraucher in Atem hielten. Und ähnliches könnte sich wieder ereignen, wenn es nicht gelingt, die Quellen möglicher Verunreinigungen schneller und präziser identifizieren zu können. Die informationstechnischen Mittel, die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln (und anderen Produkten, die Gefahr für Leib und Leben verursachen können) auch auf Erzeuger und deren Lieferanten und minutiös auch auf Großmärkte oder das Handwerk auszudehnen, sind längst da. Das Internet der Dinge, die Kommunikation von Waren und ihrem Status, ist längst Realität. Datenpools für ein übergreifendes Tracking- und Tracing-System gibt es bei jedem Online-Buchverkauf, warum nicht auch bei Food.
Tracking as a Service ist ein globales Thema – das spürt man selbst hier in Australien bei der Eröffnung der dortigen CeBIT-Dependance, wo „German Ehec“ ein Topthema ist. Tracking as a Service könnte die lebensrettende Maßnahme des Cloud Computings sein. Ein Thema nicht nur für Saure-Gurken-Zeiten, sondern vor allem für jene IT- und Exzellenz-Gipfel, in denen über die ganz großen Infrastrukturinvestitionen gesprochen wird. Der Ausstieg aus der Unsicherheit könnte sofort beginnen, ohne Super-GAU und Moratorium.