Spioniert ihr noch oder klaut ihr schon?

Es ist ja in Blogs, Posts und News jeden Montag eine gute Übung, das am Wochenende in TV-Talkshows Abgehörte zu kommentieren. Wir wollen da auch nicht länger zurückstehen mit unserem Fazit: Für Verschwörungstheoretiker herrscht Hochkonjunktur! Geht es nach den Talkrunden, dann verheimlichte uns bis vorgestern die katholische Kirche den Milliardenreichtum ihrer Bistümer und bis gestern verheimlichte uns die US-amerikanische Botschaft in Berlin das Vorhandensein ihrer Ausspäheinrichtungen.

Mal abgesehen von der Frage, welchen Unterschied im Grundrechtanspruch es eigentlich machen soll, ob das Handy der Kanzlerin oder meins ausgespäht wird, bleibt zu diskutieren, wie ein von Kontinentaleuropa ernst genommenes Grundrecht im internationalen Maßstab gegen die Möglichkeiten der Technik und die mangelnde Ethik der Technologie-Supermächte gewahrt werden soll. Mehr Kryptografie, wie es die Telekom will? Mehr europäisches Engagement in IT-Technologie, wie es der geschäftsführende Wirtschaftsminister will? Oder mehr Aussperrung für Ausspäher, wie es der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar Sonntagabend bei Günther Jauch wollte?

Seine Einlassung zu Ausweisung amerikanischer Technologie-Unternehmen sollte eigentlich das Eröffnungsstatement für die nächsten Talkshows zur Ausspähaffäre werden. Denn die Hilflosigkeit, mit der die Europäer, offensichtlich allen voran die Deutschen, gegenüber den negativen Folgen der globalen Digitalisierung reagieren, ist fast schon beschämender als die ohnehin schon schändliche Tatsache, dass der Technologiewettlauf ins Internet hoffnungslos verloren gegeben worden ist.

Spioniert ihr noch oder klaut ihr schon? Sich gegen Ausspähung nicht zu wehren, ist selbstmörderisch – für den Rechtsstaat ebenso wie für die Wirtschaft. Denn neben der Intimsphäre jedes einzelnen Menschen ist das Insiderwissen jedes einzelnen Unternehmens das schützenswerte Gut eines Gemeinwesens. Beides ist jetzt gefährdet. Und während das Ausspähen von Kanzlerworten ein Vertrauensbruch ist, ist das Klauen von Know-how schlicht Diebstahl. Und beides ist ein Rechtsbruch.

Dagegen gibt es Mittel: Gesetze taugen nur so viel, wie zu ihrer Durchsetzung auch unternommen wird. Wenn die Kanzlerin jetzt eine Resolution in die UN-Vollversammlung einbringen will, wonach Ausspähung und Datenklau im Stil des 21. Jahrhunderts geächtet werden soll, dann ist das eine Initiative. Wenn die künftige Bundesregierung eine europäische Technologie- und Wirtschaftsoffensive lostreten würde, mit deren Hilfe wir uns aus dem Technologiediktat befreien könnten, dann wäre das die andere, wesentlichere Initiative. Mit „Industrie 4.0“ gibt es immerhin einen Ansatz für eine solche Aufholbewegung. Doch fehlt ihr bislang der politische Impetus.

Die Informations- und Kommunikationstechnik führt uns in den kommenden Jahren unweigerlich in die Cloud. Inwieweit wir Europäer bei ihrer Gestaltung mitreden oder nur abgehört werden, liegt an uns. Wir brauchen kein Lamento auf der Fernseh-Couch, sondern einen handfesten Plan zur Wiedererlangung europäischer Technologieführerschaft. Wer führt, wird nämlich nicht angeführt – nicht einmal von Freunden.

Und deshalb ist es auch das schädlichste Signal, als Technologieunternehmen öffentlich darüber zu sinnieren, seinen Firmensitz in die USA und sein Marktzentrum nach China zu verlagern. Aber darüber zu reden, ist ja nur noch eine Plattitüde…

Diskutieren Sie mit mir über die Auswüchse der digitalisierten Welt – am 8. November beim Thementag Cloud Computing in Köln. Weitere Informationen,  Agenda und Anmeldemöglichkeiten finden Sie hier.

Blackhole by Design

20 Millionen Euro Umsatz pro Jahr aus einem einzigen Softwarepaket – das ist für ein mittelständisches Softwarehaus, von denen es in Deutschland Zehntausende gibt, eine feine Sache. Für SAP, das heute einen Quartalsumsatz von mehr als vier Milliarden Euro ausweisen wird, sind es die berühmten Peanuts. Alles andere als Erdnüsse dagegen sind die nach unterschiedlichen Quellen auf drei Milliarden aufgelaufenen Investitionen, derer es bedurfte, um die erste (nahezu) komplette Cloud-Software fürs Enterprise Resource Planning, Business by Design, zu entwickeln, mit einer Cloud-Infrastruktur zu versehen und schließlich zu vermarkten.

Nur um die Dimensionen zu verdeutlichen: Würde sich nichts ändern, brauchte SAP  150 Geschäftsjahre, um mit By Design Umsätze in der Größenordnung der mutmaßlichen Investitionen zu erreichen. Kein Wunder, dass Produkt- und Technologie-Vorstand Vishal Sikka dieses Schwarze Loch aus seinem Kosmos entfernen will und jetzt das Aus für die Cloud-Software verkündet hat, wie am Wochenende nahezu alle Wirtschafts-Plattformen in Prints und Posts verkündeten.

Aber hat er das wirklich getan? Die offizielle Welt der SAP rotierte am Wochenende, um diese Fehlinterpretation zu korrigieren. Und die Medien schwenkten um: Nicht Business by Design werde eingestellt, sondern die Technologieplattform, auf der es beruht, wird runderneuert – mit der In-Memory-Datenbank Hana als neue Basis.

Zwei Grundprobleme, mit denen SAP seit der vollmundigen bis vorlauten Markteinführung von Business by Design 2007 zu kämpfen hatte, sollen behoben werden.

Erstens: die Nachfrage in der Cloud konzentrierte sich nicht auf monolithische Großanwendungen wie ERP, sondern auf Teilbereiche wie CRM, Projektmanagement, Finanzen, die als Cloud-Services in Ergänzung zu bestehenden standortgebundenen IT bereitgestellt werden, sowie auf hochspezialisierte Apps, die für den mobilen Nutzer zur Verfügung stehen. Deshalb kaufte SAP die Cloud-Spezialisten SuccessFactors und Ariba, die solche Teilaspekte bereits ideal abdeckten.

Zweitens: Die Kommunikation zwischen Anwendungsserver und Datenbankserver entpuppte sich als Flaschenhals in der Cloud, der für Wartezeiten sorgte, die an den Beginn des Internet-Zeitalters erinnerten. SAP hatte dies zunächst mit Zusatzinvestitionen in die Rechenzentrumskapazität auszugleichen versucht. Doch dann kam Hana, die die nervigen Datenbankaufrufe massiv beschleunigte.

Es ist nur konsequent, wenn SAP jetzt für Business by Design ein technologisches Revirement beschließt, und die SAP Hana Cloud Platform als Performance-Fundament für alle Zukunftsprodukte des Unternehmens – also eben auch für Business by Design – in die Architektur einziehen will. Das soll jetzt geschehen. In der Zwischenzeit bekommen ByD-Kunden ein weiteres Release – mit alter – beziehungsweise im Marketingdeutsch: bewährter – Technik.

Wenn SAP intern von Echtzeit in „Google-Geschwindigkeit“ spricht, dann offenbart sie, wer im Markt die eigentliche Standardkerze ist, an der SAP künftig die eigene Strahlkraft messen will. Es sind weniger die anderen ERP-Boliden wie Microsoft, Oracle oder Infor – es sind die Internauten der dritten Generation wie Facebook, SalesForce oder eben Google, an denen sich SAP messen lassen will. Das hatten schon die angekündigten Wachstumsraten anzeigen sollen: 10.000 Kunden und eine Milliarde Umsatz waren für das Jahr 2010 angekündigt worden. Doch das stürmische Cloud-Geschäft blieb aus – auch weil sich SAP – anders als ihre Web-Idole – technologisch an die Vergangenheit geklammert hatte.

Das soll jetzt anders werden: Und zwar erst einmal im Alleingang. Partner dürfen Add-Ons entwickeln wie bisher. Der Weg zu einer echten offenen Plattform, auf der andere ihre Lösungen aufsetzen und gemeinsam mit SAP vermarkten ist noch weit. Aber das ist kein Wunder. Erst muss mit Hana das Schwarze Loch gestopft werden.

 

Ciao CIO

Fast möchte man mit der bösen Königin fragen: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Wichtigste im Land?“ Und der Spiegel in Walt Disneys Märchenschloss in Orlando würde unweigerlich zu antworten haben: „Frau Königin, Ihr seid die wichtigste hier. Aber der CIO hinter den sieben Servern ist noch tausendmal wichtiger als Ihr!“ Nirgendwo sonst wird der Chief Information Officer so hofiert wie auf dem Gartner Orlando Syposium/ITxpo, das soeben zu Ende ging. Und mit immerhin 500 Einzelsessions mit zusammengenommen 8500 Besuchern ist das auch die größte Ansammlung von CIOs weltweit. Jeder vierte Gast, rund 2100 Besucher, nannte diese Berufsbezeichnung.

Gartners Vizepräsident Peter Sondergaard brachte es in seiner Keynote auf den wunden Punkt: Der oder die CIO repräsentiert deshalb das wichtigste Amt im Unternehmen, weil aus den disruptiven Kräften der Informations- und Kommunikationstechnologie die entscheidenden Impulse für das zukunftsorientierte Unternehmen kommen – egal, ob in der Industrie, in der Dienstleistung oder im Finanzsektor.

Denn jedes Unternehmen ist unabhängig von seiner Kernkompetenz, seinen Kernmärkten und seinen Kernprodukten zunächst einmal eine technologiegetriebene Firma. Und Technologie meint hier insbesondere: ITK. Alle Zukunftsentscheidungen, so Sondergaards Credo, werden demnach von der IT-Strategie beeinflusst. Deshalb sagt Gartner auch eine Umwertung der Werte voraus: Künftige Finanz- und Investitionspläne im Unternehmen sind vor allem IT-Budgets.

Cloud Computing, Social Collaboration, mobiles Internet und das Internet von so gut wie fast Allem – einschließlich großen Datensammlungen aus dem Input von Search Engines und Sensoren, Aktoren und Autoren – werden jede langfristig strategische und kurzfristig taktische Entscheidung beeinflussen. Ja, sie sind im Grunde genommen die wahren Treiber dieser Entscheidungen. Sondergaard ist sich sicher, dass zum Beispiel Konsumgüterhersteller in zunehmendem Maße ihr Produktdesign direkt aus dem Feedback ihrer über das Web verbundenen Kunden assimilieren. Was gut ist und was nicht, das entscheidet künftig nicht mehr das Marketing, sondern die Schwarmintelligenz der weltweiten Kunden. Schon übernächstes Jahr, ist sich Gartner sicher, werden Konsumgüterhersteller, die sich vom Schwarm steuern lassen, leicht besser abschneiden als die, die noch auf die eigene Marktintelligenz setzen.

Das klingt happig, ist aber noch nicht einmal die alarmierendste aller Voraussagen, mit denen Gartner die Bedeutung des Chief Information Officers, der also eigentlich ein Chief Sourcing Officer sein wird, untermalt.  Bis zum Jahr 2017 nämlich, so mutmaßt Gartner, werden 75 Prozent der privaten Konsumenten ihre personenbezogenen Daten zusammenstellen und gegen Rabatte bei ihren wichtigsten Lieferanten eintauschen. Statt also mehr Verbrauchersicherheit und Datenschutz zu verlangen, geht es den gläsernen Käufern künftig nicht um mehr Anonymität, sondern um mehr Kreditwürdigkeit. Das ist Transparency in einer völlig neuen Auslegung.

Die wird sich laut Gartner auch in Bezug auf Datensicherheit ins völlige Gegenteil umkehren. Der Chief Information Officer des Jahres 2020 wird sich im Kampf um Geheimhaltung unternehmenskritischer Daten geschlagen geben, weil er erkennt, dass er Dreiviertel des Daten- und Mailaufkommens schlichtweg nicht vor dem Zugriff Dritter schützen kann. Die Sicherheitsstrategie im dritten Jahrzehnt dieses Jahrtausends wird also lauten: Lasset die Raubkopierer zu mir kommen.

Und nicht nur die Daten werden zum Gemeingut – ein Großteil der Produkte selbst wird es auch. Dazu führt unweigerlich das Aufkommen von 3D-Druckern, die es Wettbewerbern und Kunden, die in den Besitz von gerenderten Produktansichten kommen – und wer sollte das in der multimedialen Welt des Jahres 2020 nicht schaffen? –, erlauben, sich ihre eigenen Raubkopien zu produzieren. Nur Hightech-Produkte sind dann noch vor der Reproduktion aus dem Drucker geschützt. Aber so ein Designerteil wie, sagen wir, eine „Nana“ von Niki de Saint Phalle wäre dann schnell gemacht. Schade nur, dass die sich als Mitbringsel auch nicht mehr eignet. Die hat sich ja dann schon jeder selbst gedruckt.

Am Ende aber – und das sagte Gartner auf dem Symposion in Orlando nicht – wird auch der Chief Information Officer nicht zu retten sein. Denn wenn Daten und Güter frei durchs Web – oder wie das Internet of Everything dann auch immer gerade heißen wird – mäandern, dann ist auch die individuelle IT-Strategie frei verfügbar. IT ist so disruptiv, dass es sogar die Kinder der eigenen Revolution frisst.

Apropos: Microsofts Noch-CEO Steve Ballmer gab auf dem Gartner Symposion eine seiner letzten großen Keynotes – launig, spritzig, witzig. Die CIOs des Jahres 2013 werden ihn vermissen – bis sie selbst verschwinden…

Unter der Wolke tobt ein Sturm

Durch Cloud Computing, sollte man meinen, verlieren die Standorte an Bedeutung. Wenn Software ubiquitär zur Verfügung gestellt werden kann, dann ist es egal, von wo aus man darauf zugreift. Das ist die reine Lehre aus Anwendersicht.

Aus Anbietersicht scheint es genau anders herum zu laufen. Wenn Software von überall auf der Welt zur Verfügung gestellt werden kann, dann ist es entscheidend, an den Standorten zu agieren, wo die smartesten Leute, die besten Ideen und die kreativste Kultur existieren. Und offensichtlich ist es das, was den agilen Aufsichtsratschef der SAP AG, Hasso Plattner, umtreibt.

Er möchte die rund 6000 Entwickler in Deutschland nicht nur schütteln, um sie aufzurütteln. Er möchte auch den Firmensitz dahin verlagern, wo er selbst längt das Epizentrum des Cloud-Bebens lokalisiert hat – ins kalifornische Silicon Valley, nach Palo Alto, wo er selbst seit Jahren wohnt.

Die zukünftige Cash Cow der zukünftigen SAP SE hingegen, die In-Memory-Datenbank HANA, wurde in wesentlichen Teilen am Plattner-Institut in Potsdam entwickelt. Und die neue auf HANA basierende SAP Business Suite wird mindestens so intensiv von europäischen Anwendern im Piloteinsatz getestet wie in den USA.

Dennoch ist das Gras in Kalifornien durch Hasso Plattners Brille gesehen grüner.

Deutschland, so macht er in immer lauter werdenden Zeitungsinterviews und in immer schwieriger durch die Belegschaft in Walldorf zu verdauende interne Memos deutlich, ist einfach kein Standort für das schnelle Geschäft mit dem Cloud Computing. Der Wow-Effekt findet bei den Präsentationen auf dem biederen Walldorfer ERP-Hof einfach nicht statt. Im Silicon Valley hingegen glänzen die jungen Start-ups mit den Smart-Apps bei ihren Pitches vor Venture Capitalists.

SAP spielt offensichtlich die umfassende Neuordnung der Welt in der eigenen Nussschale nach: Deutschland ist als Standort einfach nicht sexy genug und SAP verträumt – weich gebettet in den Pfühlen der stetig fließenden Wartungseinnahmen ihrer auf Jahre durch horrende Investitionen gebundenen globalen ERP-Kunden – die Zukunft. Deutsche Entwickler, so könnte man Plattner interpretieren, haben den Kopf nicht in den Wolken, sondern im Sand.

Derzeit scheint Plattner allerdings das exakte Gegenteil von dem zu erreichen, was er bezwecken möchte. Die Walldorfer Programmierer, die mit einem Durchschnittsalter von 38 Jahren in der Tat den personell ältesten Entwicklungsstandort der SAP repräsentieren, fühlen sich angesichts der Verlagerungsdebatte und der Demotivationsmails eher verunsichert bis verunglimpft. Das wäre in der Tat verdorrtes Gras, auf dem Kreativität eine seltene Blume wäre.

Vielleicht aber schaut Plattner nur auf den nächsten Trend – den offensichtlichen – und übersieht dabei den übernächsten Trend, der für den Standort Deutschland äußerst chancenreich ist. Die Kanzlerin hatte jetzt im Umfeld ihrer Sondierungsgespräche auf der Suche nach einer belastbaren Koalition auch eine Richtlinie für eine einheitliche Internet- und Industriepolitik formuliert. Wir werden, meinte sie in ihrer wöchentlichen Videobotschaft, dies vor allem in der Automobilindustrie, im Maschinenbau und in der chemischen Industrie beweisen. „Hier muss Deutschland Weltspitze sein, und darauf müssen wir besonders achten“, sagte die Kanzlerin, die weiterhin drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung auszugeben plant.

Die globalen Automobilbauer, Maschinenbauer und Chemieunternehmen sind in ihrer überwiegenden Zahl SAP-Kunden. Diese Anwender haben SAP groß gemacht. Und sie erwarten jetzt von ihrem IT-Hoflieferanten Initiativen in Richtung Industrie 4.0. Es wäre das Premium-Assignment für die Walldorfer Entwickler, der nicht in flotten Präsentationen, sondern durch fitte Prozessinnovationen befördert wird. Das wäre eine frische Brise unter der Walldorfer Gewitterwolke.