We schaffen that!

Die Blattmacher bei Bild haben sich nach der Entscheidung der Briten für den Brexit mal wieder selbst übertroffen. Auf der ersten Seite titelten sie „OUTsch!“, auf der letzten Seite hießen sie selbstironisch die „Brefugees“ willkommen. Mit den bekannten Vorzügen der bewährten hiesigen Willkommenskultur (deutsche Frauen seien auch im nüchternen Zustand schöner) priesen sie den britischen Brexit-Flüchtlingen die Optionen einer Einbürgerung an. Tatsächlich, möchte man meinen, gibt es nach der Entscheidung der Briten gegen einen Verbleib in der Europäischen Union zwar zwei Verlierer – Europa nämlich und die Briten selbst. Dafür aber sehen sich ansonsten fast alle als Gewinner.

Auf den Schreck folgte der Schock – und dann machte sich doch schon so etwas wie Erleichterung breit. Die Hängepartie ist vorüber. Jetzt regieren die Fakten.

Die schuf zunächst einmal die Börse, die erwartungsgemäß das britische Pfund gegenüber dem Euro und dem Dollar abwertete. Das könnte durchaus unmittelbare Auswirkungen auf das Exportgeschäft der deutschen IT-Unternehmen haben. Nach Berechnungen des Hightech-Verbands Bitkom wurden im vergangenen Jahr allein im ITK-Bereich Waren im Wert von 2,9 Milliarden von Deutschland in das Vereinigte Königreich verkauft. Im ersten Quartal des laufenden Jahres war es schon wieder der Gegenwert von 626 Millionen Euro, was auf ein neues Rekordjahr hingewiesen hätte. Doch es ist wahrscheinlich, dass die Briten bei einem schwächeren Pfund Aufträge stornieren oder Entscheidungen sistieren.

Dabei ist es nicht überraschend, dass die Sorge um einen Umsatzeinbruch bei großen IT-Unternehmen größer ausfällt als bei den vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die in Deutschland das Herzstück der ITK-Industrie ausmachen. Insofern wird abzuwarten sein, ob die befürchteten Einbußen am deutschen Mittelstand vorbeiziehen können. Die bestehenden Geschäftsbeziehungen sind schließlich nicht selten auch Abhängigkeitsverhältnisse, in denen der Anwender auf das Knowhow seines Anbieters angewiesen ist. Da sind ein paar Cent Währungsverschiebungen doch eher Marginalien.

Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass auch die schiere Menge an Handelsverträgen, die eventuell mit einem aus der EU ausgegliederten Großbritannien neu verhandelt werden müssen, nicht zu den befürchteten Einbußen im deutsch-britischen Handel führen wird. Warum sollten dabei fundamental andere Bedingungen herauskommen wie in den bestehenden Verträgen? Und auch ein Großbritannien, das in der EFTA lediglich assoziiertes Wirtschaftsnachbarland der EU sein würde, wäre im Wesentlichen auf dem Vertragsniveau, das für die Briten heute ein Argument für den Rückzug aus Europa gegeben hat. Das ist das Absurde an der britischen Brexit-Debatte.

Frühzeitig frohlockte bereits die Startup-Szene, die sich in Berlin als Sieger über die europäische Konkurrenz-Metropole London sieht. Schon vor dem Brexit gab es Anlass zur Euphorie. Während an der Themse im vergangenen Jahr umgerechnet rund 1,7 Milliarden Euro für Neugründungen eingeworben wurden, waren es in Berlin immerhin 2,1 Milliarden Euro. Doch Vorsicht: der Wettkampf ums Startup-Capital wird nicht über den Brexit, sondern über die Erfolgschancen beim Exit entschieden. Es ist ein Wettlauf der Ideen, nicht der Ideologien.

Spannend dürfte die Entwicklung in Rechtsfragen des Datenschutzes sein. Zwar ist anzunehmen, dass Großbritannien als sicheres Land eingestuft wird, das ohnehin denselben Regeln folgt, wie bisher. Aus Sicht der strikten deutschen Datenschutzregelung könnte es aber einen Standortvorteil gegenüber der Insel geben.

In den letzten Monaten haben sich viele deutsche mittelständische Unternehmen statt der GmbH die Rechtsform der Limited gegeben, um sich für den europäischen Markt besser zu positionieren. Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass die Regelungen für bestehende Organisationen unverändert bleiben. Andernfalls müssten bald neue Ausurteilungen des bestehenden Rechts her. Für Neugründungen ist die Limited jedenfalls keine Option mehr.

Insofern ist für deutsche ITK-Hersteller wie auch für Anwender vorläufig Ruhe die erste Bürgerpflicht. Wieviel sich tatsächlich ändern wird im Verkehr mit einem Großbritannien, das nicht mehr integraler Teil der EU sein wird, ist kaum vorherzusagen. Es sind schließlich nicht rechtspopulistische Politiker, die die Handelsbeziehungen definieren, sondern rational denkende Unternehmer. Und darauf ist in diesen Zeiten der lauten (dafür aber meist auch unlauteren) Parolen immerhin noch Verlass.

Die ganzen Überlegungen gelten ohnehin nur für den Fall, dass Großbritannien überhaupt aus der EU ausscheidet. Ich würde eine Wette dagegen halten, dass es überhaupt zu einem Austrittsgesuch kommen wird. Was ist schon eine Volksbefragung, werden sich die in die Enge getriebenen Ministerialen in Westminster fragen müssen. Da kann man doch gleich ein Referendum über das Referendum starten. Hier gilt nicht das deutsch-positive „Wir schaffen das!“, sondern auch das britisch-pragmatische „Wir schaffen das – ab!“

 

Microsoft lernt das Alphabet

Eric Horvitz und Ryen White, zwei Wissenschaftler in Diensten von Microsoft, haben jetzt in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Journal for Oncology Practice“ berichtet, dass sie in der Lage sind, anhand von an Bing gestellten Suchanfragen einen drohenden Bauchspeicheldrüsenkrebs vorherzusagen. Dabei gelang ihnen die Früherkennung anhand von Suchbegriffen wie „Appetitlosigkeit“, „Blähbauch“, Juckreiz“ oder „heller Stuhl“ in bis zu 15 Prozent der Fälle. Mindestens ebenso wichtig: Nur einmal in 10.000 Fällen stellten sie eine Fehldiagnose. Mal abgesehen von der Frage, wie wir es ethisch bewerten, wenn bei einer harmlosen Anfrage plötzlich ein Popup mit dem Hinweis: „Bitte kontaktieren Sie sofort Ihren Hausarzt“ auftauchen würde, zeigt der wissenschaftliche Hinweis, wohin die Reise geht, wenn wir Big Data, Social Media und Suchmaschinen intelligent miteinander verknüpfen.

Als gelernte Verschwörungstheoretiker wissen wir ja sofort, wie man unerklärbare Phänomene einzuordnen hat. Wir sehen sozusagen das große Ganze hinter dem Detail – oder andersherum das Detail hinter dem großen Ganzen. Ist aber auch jetzt egal. Deshalb ist für uns sofort klar, warum Microsofts CEO Satya Nadella so große Anstrengungen unternommen hat, der Welt den Kauf von LinkedIn und damit die Investition von satten 26 Milliarden Dollar zu erklären. Es geht überhaupt nicht um LinkedIn. Es geht um Microsoft, das sich auf den Weg zu einem Multimarken-Anbieter in der digitalen Welt begeben hat.

Und da ist Zeit Geld. Will sagen: Zeit kann man durch Geld erwerben – zum Beispiel, indem Microsoft Unternehmen hinzukauft, die auf dem Weg in die digitale Vernetzung von allem und jedem schon einen guten Zeitvorsprung haben. Und wo Steve Ballmer noch analog gedacht hat, beim Kauf der Telefonsparte von Nokia nämlich, denkt Nadella digital und vollvernetzt.

Es geht also keineswegs allein darum, dieses „fantastische Geschäft“ mit 19prozentigem Wachstum im jahresübergreifenden Vergleich weiter auszubauen, wie Satya Nadella betont. Wenn es sich „darum dreht, die beruflichen Profis zu verbinden“, soll die Integration mit Skype, Office365 und Dynamics CRM gute Dienste tun. Aber das wäre doch allein keine 26 Milliarden Dollar wert, oder? Nicht, wenn es allein darum ginge, über kurz oder lang mit Facebook gleichzuziehen.

Deshalb investiert Nadella in Lösungen für Preemptive Analytics, das heute schon für Feedback-gestützte Entwicklungsprozesse eingesetzt werden kann, morgen aber schon Einzug in praktisch alle Erkenntnis-orientierte Vorfälle eingebunden werden soll. Die Früherkennung von Krankheiten ist nur ein Beispiel. Analog auf die Maschinenwelt angelegt stehen auch vorausblickende Wartungsarbeiten auf dem Lösungsprogramm. Und im Umfeld von Industrie 4.0 wären auch vorauseilende Produktionsschritte denkbar: „ich weiß, dass demnächst ein weißes Dings bestellt wird, ich weiß nur noch nicht von wem.“

Im LinkedIn-Netzwerk steckt unglaublich viel Kompetenz. Der Wert liegt nicht bei der Lösung, sondern in dem Netzwerk und den professionellen Mitgliedern. Hier ist das soziale Netzwerk deutlich weiter als die SharePoint-Community. LinkedIn bietet aber nur wenige Möglichkeiten, nach dieser Business Competence auch effektiv zu suchen. Das kann die Suchmaschine Bing leisten, während die Sprachlösung Cortana zugleich als lernende Maschine dazu beitragen wird, dass auch komplexe Anfragen komfortabel bedient werden.

Während Cortana Business-Englisch lernt, lernt Microsoft das Alphabet. Die Redmonder werden unter Satya Nadellas Führung zu einem ähnlich wie Google aufgestellten Multi-Media-Marken-Molloch, dessen Kernkompetenz der Produktivität betrieblicher Mitarbeiter und Organisationen ist. Deshalb wird langfristig auch das Zusammenspiel von Komponenten wie Bing, Cortana und den Backbone-Lösungen ERP und CRM vorangetrieben, die allesamt Träger großer Datenmengen sind.

Apples Siri, Googles Echo, IBMs Watson bekommen mit dem Microsoft-Deal Konkurrenz. Aber noch besser: Microsofts Wettbewerber sind auch Microsofts Kunden. Von Amazon bis Zalando setzen alle – ob sie wollen oder nicht – auf Microsoft-Lösungen, die das neue Alphabet mit Leben füllen.

 

 

 

Kempf kommt wie gerufen!

Eben rufe ich im aktuellen Bonnblog nach den Transformers, da erscheint auch schon einer am Horizont. Prof. Dieter Kempf, bis zum Anfang des Jahres noch Vorstandsvorsitzender der Datev in Nürnberg und in dieser Position langjähriger Vizepräsident des BDI. Die Chancen stehen exzellent, dass Kempf am Ende des Jahres BDI-Präsident und damit Nachfolger von Ulrich Grillo sein wird. Damit stünde ein Transformer an der Spitze des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Kempf hat es fertig gebracht, den Riesenapparat Datev in das digitale Zeitalter zu befördern. Eine Steuerberater-Genossenschaft hat nicht unbedingt per se den Ruf, Innovationsführer zu sein. Aber die Nürnberger verfügen über die größten Rechenzentren mit 47 Petabyte Datenspeicher für 40400 Mitgliedern und deren Hunderttausende Kunden. Und sie ist noch vor der Deutschen Telekom der erste Cloud-Anbieter in Deutschland. Über ihre Cloud-Services werden mehr und mehr Buchungsvorgänge in Deutschland und im benachbarten Ausland digitalisiert und als Services angeboten.

Das ist nicht allein Kempfs Leistung, aber sie gelang unter seiner Ägide. Sie gelang, weil Kempf es versteht, mit anderen zu kommunizieren, Visionen zu vermitteln und dann die richtigen Kräfte in die richtige Richtung wirken zu lassen. Dass ihm das auch bei der Digitalen Transformation gelingen könnte, macht ihn zu einem Hoffnungsträger für die deutsche Industrie.

Ruft die Transformers!

Es läuft wie ein Mantra durch alle Managementberatungen: Die Digitale Transformation wird kommen, aber weder Gesellschaft, noch Wirtschaft, noch Politik seien darauf vorbereitet. Das stimmt – und es stimmt auch wieder nicht.

Viele Unternehmensberater sehen nämlich in dem Mantra eher ein Menetekel, ein „Gewogen-und-zu-leicht-befunden.“ Zu leicht nimmt es demnach die Geschäftsleitung mit der digitalen Herausforderung, die zwar alle kommen sehen, aber eher so hinnehmen wie die nächste Unwetterfront: keine Versicherung gegen mögliche Schäden, keine Vorkehrungen, um sie zu vermeiden; keine Veranlassung etwas zu tun, bevor es zu spät ist.

Die Übereinstimmung darüber, welche Ziele mit der Digitalen Transformation zu erreichen sind, ist zwar unter den Firmenlenkern groß, ergeht sich aber eher im pauschalen Managementsprech, wie jetzt die Beratungsfirma DoubleYUU (die sich rühmt, auch die Bundeskanzlerin zu ihren Kunden zu zählen) ermittelt hat. Demnach sehen neun von zehn Befragten in der Sicherung der Zukunftsfähigkeit das dominierende Ziel in der Digitalen Transformation. Und immerhin zwei von drei der gut 1000 Teilnehmer an diesem Online-Fragebogen suchen in der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse eine Steigerung der Kundenzufriedenheit.

Diese hehren Ziele sind so richtig wie trivial. Jede Innovation, jede Reorganisation in der Wirtschaft hat diese beiden Perspektiven. Profitabilität, Schnelligkeit, Marktführerschaft sind dabei die Zielsetzungen, die diesem Streben attestieren, sie herbeiführen, ja garantieren. Aber bei den Fragen, was genau jetzt im konkreten Transformationsprozess zu tun ist, welche Schritte die richtigen und die naheliegenden sind, da herrscht Schulterzucken. Es wird ein wenig am Status quo gebosselt oder an der ganz großen Vision gefeilt. Dazwischen, an den Meilensteinen vom Heute zum Morgen, finden sich keine wegweisenden Markierungen.

Nach Einschätzung der von DoubleYUU Befragten fehlen in der Hälfte der Unternehmen belastbare Roadmaps zur Digitalen Transformation. Das kann nicht verwundern, denn bei 58 Prozent der Unternehmen sind noch keine Gesamtverantwortlichen benannt. Die oberste Managementriege sieht sich selbst als Vorreiter, aber nur einer von fünf Mitarbeitern traut ihr die digitale Kompetenz auch wirklich zu. Da verwundert es nicht, dass nach dieser Selbsteinschätzung vier von fünf Unternehmen heute noch kaum Fortschritte bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse gemacht haben.

Es wird höchste Zeit, dass wir die Transformers rufen! Aber sucht sie nicht in der IT-Abteilung. Zwar wird den IT-Experten die höchste digitale Kompetenz zugeschrieben. Aber was hilft das schon, wenn sie in ihrer Ausbildung nicht die Kommunikationskompetenz, nicht den Blick für die Geschäftsprozesse, nicht die Hingabe an den Kunden, nicht die Innovationskraft für neue Produktangebote erworben haben. Der Transformer ist ein Allrounder, kein Eierkopf. Er ist ein Netzwerker, kein Linearbeschleuniger.

Und da krankt es in deutschen Unternehmen gewaltig. Die Kommunikationsstränge sind entlang des Organigramms ausgerichtet. Sie dienen der Durchsetzung des Managementwillens von oben nach unten und dem Reporting von Vollzugsmeldungen von unten nach oben. Doch die Abteilungen sind nach wie vor abgeteilt – deshalb heißen sie auch so. Die Ohren der Zuständigen sind ständig zu, wenn es darum geht, die Belange der anderen wahrzunehmen.

Tatsächlich geht es in der Digitalen Transformation weniger um Technik im Sinne von Maschinen und Steuerungen. Darum geht es auch. Aber in Wirklichkeit müssen die Transformer neue Kommunikationstechniken einführen: horizontal, barrierefrei und vernetzt. Das müssen übrigens auch die Unternehmensberater erst noch verstehen, die sich ans Topmanagement wenden und hier ihre Evangelien verlesen. Top-Down ist 20. Jahrhundert. Wir müssen einfach querfeldein. Ruft die Transformers!