Ginni und der Smarte Planet

Lange Zeit glaubte man (und manche tun es wohl noch immer), die Marskanäle wären das Werk fremder Intelligenzen. Kanäle waren sozusagen der Hinweis, dass der Rote Planet auch ein Smarter Planet sein dürfte. Diese Annahme hat sich allerdings als falsch entpuppt.

IBMs nun schon seit Jahren andauernder Versuch, den Planeten Erde ein wenig smarter zu machen, stützt sich nicht nur auf die eigene Intelligenz, sondern ganz wesentlich auf den Vertriebskanal, über den Hardware, Systemsoftware und mehr und mehr Service an den bedürftigen Kunden ausgerollt werden. Praktisch zeitgleich operiert IBM heute an beiden Aufgaben:

In New York werden die ermutigenden Arbeiten auf dem Weg zum Quantencomputer vorgestellt, mit dessen Hilfe in 15 bis 50 Jahren die Rechenaufgaben in einem Milliardstel der heute benötigten Zeit bewältigt werden sollen. Mit qubits (Quantum-Bits) wird unser Planet definitiv um einen Quantensprung smarter. Aber qubits sind eine Herausforderungen von morgen.

In New Orleans hingegen ermutigt Big Blue die Kanalarbeiter, die Segnungen der IBM flächendeckend in den Markt zu tragen. Auf dem IBM PartnerWorld Leadership Summit treffen sich rund 1500 Vertreter der Channel-Partner, um Herausforderungen von heute zu bewältigen.

Im Argen liegen vor allem die Margen. Mit Hardware und Systemsoftware lässt sich kaum noch vernünftig Geld verdienen. Denn Vertriebswege, Support und vor allem sinkende Preise bei wachsenden Personalkosten machen das Geschäft mit den schwarzen Kisten mühsam und kärglich. Kein Wunder, dass unter den Integratoren nicht nur ein ruinöser Preiskampf herrscht, sondern auch ein galoppierender Marktbereinigungsprozess.

Dabei hat die Neuausrichtung längst eingesetzt. Statt Hardware auf den Hof zu stellen und vor Ort zu pflegen, sind es die Ferndienstleistungen, die das wahre Geschäft bringen. Managed Services sind deshalb auch für IBMs mächtigen Vertriebskanal längst das smartesten Geschäftsmodell. Ohne Services aus der Cloud würde die weltweite IT-Infrastruktur längst zusammengebrochen sein. Die wahren Kanäle sind also tatsächlich unsichtbar. Wenn das nicht smart ist.

Aber auch die Managed Service Provider kommen in den Strudel der Marktbereinigung. Längst hat sich hier – wie seinerzeit im Lösungsgeschäft – ein Two-Tier-Modell entwickelt. Im Backend finden sich die großen Cloud-Betreiber, die Großkunden weltweit mit Rechenzentrumsleistungen, Wartungs- und Überwachungsaufgaben, Desktop-Betreuung und Sicherheits-Features bedienen. Im Frontend des Channel-Netzes entstehen hingegen immer mehr Wiederverkäufer, die die Backend-Services an kleine und mittelständische Kunden vertreiben.

Und für dieses dichtgeknüpfte Netz aus Cloud-orientierten Support-Partnern muss die neue Chefin Virginia „Ginni“ Rometty hier in New Orleans eine Message bereithalten. Ein Fünf-Jahres-Plan im Stile ihres Vorgängers Sam Palmisano, der aufzeigt, dass der Planet nicht nur smarter, sondern auch profitabler werden kann. Managed Services werden damit zum entscheidenden Erfolgsfaktor für den IBM-Kanal und Big Blue selbst. Seit Monaten promotet IBM deshalb ein neues Tummelfeld für Dienstleistungen, die aus der Cloud erbracht werden können: Big Data – große Rechenaufgaben und Datenvolumina. Sie bilden sozusagen die DNA für die nächste Margenrunde, während die klassischen Managed Services den Weg der Hardware gehen – ins Commodity-Business.

Erst mit dem Quantencomputer werden dann auch Big Data zur Commodity. Aber dann sind wir ja eh viel smarter.

Blade in Germany

„Die Cloud-Computing-Debatte ist vorüber“, frohlockte Dan Burton, als Vice Preisdent bei Salesforce für Public Policy zuständig. Er hat damit dem Rechnen aus der Wolke nicht den Tod angekündigt, sondern eine Ära eingeläutet, in der auch die amerikanischen Bundesbehörden mit dem Wolkenmodell rechnen. Immerhin ein Jahresbudget von 80 Milliarden Dollar verwalten die IT-Verantwortlichen der US-amerikanischen Regierungsstellen zusammen genommen. Auch nur ein Prozent wäre bereits ein warmer Regen für die Cloud.

Kein Wunder also, dass die Anbieter ihre Anstrengungen vervielfachen, den bewährten „Approved“-Stempel der Sicherheitsbeauftragten zu bekommen. Denn die Behörden wollen zwar bei den Betriebskosten sparen, nicht aber bei der Sicherheit. Anbieter wie Apple und Google haben sich bereits erfolgreich um das Gütesiegel bemüht und arbeiten intensiv daran, den IT-Staatssekretären das Cloud Computing jenseits von Office-Funktionen und Email-Speicherung schmackhaft zu machen. Microsoft, HP und Oracle suchen nach Wegen, das OnPremise-Geschäft mit Behörden zu OnDemand-Angeboten umzumünzen. Die Cloud als Antibürokratie-Vehikel? Der Weg in die Citizen-Cloud ist jedoch noch weit.

Auch in Deutschland, wo eine Elster noch lange keinen Entbürokratisierungs-Sommer macht, wirbt der IT-Gipfel unermüdlich für die Potenziale, die sich für Unternehmen und Bürger ergeben könnten, wenn Cloud-Services aus den Ämtern neue Services für die Crowd anbieten. Neuen Schub dürfte jetzt die Deutsche Telekom bringen, die sich schon lange für die „deutsche Cloud“ als Markenzeichen stark macht. Telekom-Chef René Obermann hat dies inzwischen zur Chefsache erklärt und will auf dem Mobile World Congress in Barcelona und der CeBIT in Hannover seine neue Dienstbereitschaft aus der Wolke ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

Denn „Cloud in Germany“ ist längst ein Markenzeichen, ohne dass sich hier ein Ministerium oder Bundesverband um eine Dachmarke bemüht. Wenn schon nicht die deutsche Gesetzgebung beim Datenschutz und der Datensicherheit, so ist doch deren Umsetzung in praktische Angebote ein Exportschlager der Zukunft: ein Blade für jeden Mittelständler. Die Deutsche Telekom wird im Ausland als Gralshüter des Datenschatzes wahrgenommen. Wenn der misstrauische deutsche Mittelstand in die Wolke geht, ist das ein Testimonial für den Rest der Welt. Die will dann auch ein Blade in Germany.

Vielleicht ist es ja noch ein Glück, dass der angestrebte Verkauf der Deutschen Telekom USA an AT&T auf der Zielgerade verendete. In diesem Ende könnte in der Tat ein Anfang innewohnen: So schwer es für Nicht-Amerikaner ist, einen Fuß in die Tür zu den US-Bundesbehörden zu bekommen – einen zweiten Anlauf unter der Cloud wäre es doch wert.

Dabei hört man auch aus Großbritannien widersprüchliches zum Engagement der Deutschen Telekom. Das dort zusammen mit France Telecom betriebene Unternehmen „Everything Everywhere“ soll dem Vernehmen nach ganz oder teilweise zum Verkauf stehen. Offenbar soll bei der Deutschen Telekom erst die Position auf dem Kontinent gestärkt werden, ehe erneut in angelsächsische und amerikanische Abenteuer investiert wird.

Auch eine Strategie: Manchmal muss man gehen, um stark wiederkommen zu können. Dann aber mit der neuen Dachmarke „Deutsche Cloud approved by German Mittelstand“ – oder so. Klingt ein bisschen blade, kommt aber bestimmt gut an.

Der Gott der kleinen Dinge

Als Arundhati Roy 1996 ihr Buchmanuskript zu ihrem Welterfolg „A God of Small Things“ englischsprachigen Verlagen anbot, hatte sie nicht einmal ein Faxgerät, um die Angebote der begeisterten Lektoren entgegenzunehmen. Heute, 16 Jahre später, ist Indien einer der größten Telekommunikationsmärkte der Welt – und irgendwie auf Augenhöhe mit den USA: Denn so wie bei der letzten IBM Information on Demand-Veranstaltung in Las Vegas das Wifi-Netz zusammenbrach, kippte diese Woche zur NASSCOM Indian Leadership Forum in Mumbai das Mobilnetz unter dem Ansturm der ein- und ausgehenden Telefonate, Mails und Textnachrichten.

Als die spätere Booker-Preisträgerin Roy mit der Niederschrift ihres Manuskripts begann, war Indiens IT-Markt immerhin 100 Millionen Dollar groß – zu groß, um übersehen zu werden. In diesem Jahr wird sich der IT/BPO-Umsatz auf 100 Milliarden Dollar vertausendfacht haben – zu groß, um sich nicht zu fürchten. Tatsächlich zeigen sich Sorgenfalten. Kann Indien dieses Wachstum weiterführen? Oder wächst nicht im Gegenteil die Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung in anderen Weltregionen. Immerhin 60 Prozent der Software- und Service-Umsätze der indischen IT/BPO-Industrie hängt von der Entwicklung der Budgets in den USA ab. Also gilt auch hier: Hustet Amerika, bekommt Indien Schnupfen.

Dennoch sagen die großen IT-Companies in Indien bis 2013 sagenhafte 200.000 neue IT-Jobs im Lande voraus. Bis 2020 werden sensationelle 225 Milliarden Dollar Umsatz für die Branchen angestrebt. Der Grund hierfür liegt nicht nur darin, dass Indien innenpolitisch ein gigantisches eGovernment-Programm losgetreten hat, das die Bürokratien der westlichen Hemisphäre weit hinter sich lassen dürfte. Der Grund liegt auch in einer breit diversifizierten Exporttätigkeit, die Indiens IT-Companies Präsenzen in immerhin 70 Ländern der Welt beschert. Das vielleicht stärkste Momentum dürfte allerdings aus der Tatsache entstehen, dass Indiens IT-Companies den Mittelstand entdeckt haben.

In der Tat: der Gott der kleinen Dinge ist in Indiens IT-Landschaft eingetroffen. Tatsächlich präsentieren sich hierzulande Tausende von kleinen Anbietern, die mit Spezialangeboten für Cloud Computing, Social Media, Mobile Communication und Business Analysis auf Nischenmärkte ausgerichtet sind. Umgekehrt sind Hunderttausende indischer Klein- und Mittelstandsunternehmen  auf der Suche nach IT-Lösungen, die sie OnPremise oder OnDemand einsetzen können. So ist hier ein Zusammenschluss von Textilunternehmen zu sehen, der gemeinsam ein für die Branche optimiertes ERP-System über die Cloud nutzt.

Auch im Business Process Outsourcing (BPO) beginnt die Arbeitsteilung mittelständische Größenordnungen zu erreichen. Im Pharma-Sektor beispielsweise finden sich immer häufiger Unternehmen, die mit gezielten Angeboten entlang des Produktlebenszyklus aufschlagen: Wirkstoffentwicklung, klinische Studien, Patentanmeldungen, Diagnosen – der gesamte Bereich der Forschung und Entwicklung steht zum Outsourcing bereit.

Der Umsatz, den kleine und mittlere Unternehmen durch IT- und Outsourcing-Services erbringen summierte sich im letzten Jahr auf attraktive fünf Milliarden Dollar. Dabei wächst der Markt jedoch um rund 40 Prozent jährlich. Startups sorgen für einen kontinuierlichen Zustrom an Geschäftschancen. Waren es 1995 gerade mal 75 Unternehmen, die im IT-Sektor gemeldet waren, sind es inzwischen 2400. Doch auch in Indien hat der Gott der kleinen Dinge zugeknöpfte Taschen. Ähnlich wie in Deutschland stöhnt der Mittelstand über den schwierigen Zugang zum Kapitalmarkt. Da geht es dem Indian Mittelstand offensichtlich nicht besser als dem German Mittelstand – Dachmarke hin oder her.

Deutschland bietet tausendfach alles unter einem Dach

Er ist Wochenende für Wochenende Gegenstand von Sonntagsreden – und an den Werktagen ist er der Arbeitgeber von gut drei Vierteln aller sozialpflichtig Beschäftigten: der Mittelstand. Es ist interessant, dass die Unternehmensgröße in Deutschland immer noch als „Stand“ gekennzeichnet ist, der seine Herkunft und sein Selbstverständnis (sic!) aus dem ständischen Gefüge des Mittelalters her zu definieren scheint. Der mittelständische Unternehmer hat es irgendwie also doch sich selbst zuzuschreiben, dass er als rückständig, miefig oder mittelmäßig gilt.

In den anderen großen Sprachen der westlichen Hemisphäre gibt es den Standesbegriff so nicht: der Mittelstand ist dort eher die Middle Class oder middle-sized, Clase Media, Classe Moyenne. Es ist hingegen faszinierend, dass beispielsweise in den USA auch kleinste Unternehmen (wir würden sie auf nervo-bürokratisch „KMU“ nennen) sich selbst als „global companies“ bezeichnen, sobald Kunden außerhalb der Vereinigten Staaten bedient werden. Im Gegensatz dazu gibt es in Deutschland wiederum eine außergewöhnliche Anhäufung von „Hidden Champions“, wie der Unternehmensberater und Wirtschaftsprofessor Hermann Simon erstmals 1990 beobachtete, – jenen in der Öffentlichkeit kaum bekannten Firmen mit nicht mehr als drei Milliarden Euro Umsatz, die gemessen am Marktanteil zu den Weltmarktführern in ihrem Segment gehören.

Ihnen, die sich in ihren Branchen nahezu sämtlich selbst ein Denkmal gesetzt haben, will Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler jetzt ein weiteres Denkmal errichten: „German Mittelstand“. Ziel der neuen Dachmarke ist es, weltweit ein Zeichen für die mittelständischen Tugenden, für mittelständisches Ingenium und für die Artenvielfalt eines ständig vom Aussterben bedrohten Unternehmerstands zu setzen. Der Ex-Exportweltmeister Deutschland, der diesen Titel lange Zeit gerade wegen seiner Hidden Champions behauptete, will im Ausland für eine der wichtigsten tragenden Säulen der German Economy werben, obwohl eine Werbung im Inland fast noch mehr Not täte. Die Mehrfachbelastungen durch Bürokratie, Arbeitsrecht, Steuerrecht und Kreditklemme stemmt der Mittelstand stoisch. Eine Dachmarke schafft hier nicht unmittelbar Erleichterung – aber sie verschafft Awareness, die in Umsatz gedollart, umgerubelt, veryent oder yuanisiert werden kann.

Dabei gibt es schon längst eine Dachmarke, die freilich nicht auf deutschem Boden gewachsen ist, aber zum Gütesiegel schlechthin avancierte: „Made in Germany“. Ursprünglich von den Briten im Merchandise Marks Act von 1887 erdacht, um vermeintlich minderwertige Ware vom Kontinent abzuqualifizieren, wurde der Hinweis zu einem Qualitätssiegel erster Güte. Das ist nicht der Lohn einer Marketinganstrengung im Stile einer Dachmarkenkampagne, sondern dem Streben nach Produkt- und Prozessverbesserungen zu verdanken, wie esfür deutsche Mittelständler typisch ist. Die Wirtschaft genau in diesen Tugenden weiter zu stärken, ihr Finanzierungsmöglichkeiten für Innovationen zu eröffnen und die Möglichkeit zu lassen, sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren, wäre und ist die wichtigste Dachkampagne, die das Wirtschaftsministerium leisten kann.

Der Bundeswirtschaftsminister ist die Unterstützung der großen Branchenverbände, die stark durch mittelständische Unternehmen geprägt werden, gewiss. Aber schon in ersten Statements haben deren Sprecher das Bidirektionale der Initiative betont: Awareness im Ausland, Fairness im Inland.

Einen Nebeneffekt dürfte die neue Dachmarke zusätzlich haben: Nach Taler (Dollar), Gemutlichkeit, Blitzkrieg, Kindergarten und German Angst wird auch der German Mittelstand endlich im englischen Sprachraum ankommen. Und dann vielleicht als Importware auch wieder nach Deutschland zurückkehren, wo das unselige und unsägliche „KMU“ endlich dort landen sollte, wo es hingehört.