Mehr eChristmas

Es gab eine Zeit, in der wurde der eCommerce verlacht, weil seine Umsatzzahlen zwar prozentual massiv stiegen, aber real nicht die Bedeutung erreichten, die ihnen selbsternannte Auguren vorhergesagt hatten. Nicht die Analysten kamen ins Gerede, sondern der Handel über das Internet, dem mehr zugetraut worden war, als er tatsächlich zu leisten vermochte. Das war das Ende der Dot.Com-Blase.

Heute zeigt sich, dass dem mCommerce das gleiche Schicksal drohen könnte, denn die Vorhersagen für den mobilen Commerce sind wieder einmal überbordend. Allerdings gibt es diesmal einen entscheidenden Unterschied. Das Handelsgeschäft, das über mobile Endgeräte im Internet initiiert wird, ist offensichtlich tatsächlich sehr viel kraftstrotzender, als es vor einem Jahrzehnt der schwächliche eCommerce war. Nur – das hatte damals keiner der Analysten vorhergesagt.

Ein Grund für die seinerzeitige Ent-Haltung gegenüber dem Internet-Handel dürfte in der Haltung liegen, die der Internet-Käufer einzunehmen hatte. Vor zehn Jahren nämlich saß er am PC, also am Schreibtisch oder in einer Wohnnische und klickte sich durch die Shop-Angebote. Heute hingegen sitzt (oder liegt?) er entspannt auf der Couch mit dem Smartphone oder Tablet in der Hand und lässt sich von seiner Lieblings-App Kaufvorschläge anhand seiner Vorlieben, seinem Kaufverhalten und den Wunschlisten seiner Freunde vorlegen. Das ist nicht nur einfacher, sondern auch entspannter.

Tatsächlich beschäftigen sich Psychologen, die schon seit Jahrzehnten jeden Winkel der Ladenfläche verkaufsfördernd ausleuchten und beschallen lassen, nun mit der Kaufhaltung ihrer Couch-Kunden. Die, so ließ Google jetzt in einer Befragung ermitteln, treffen nämlich Kaufentscheidungen deutlich spontaner – also aus dem Touch-Impuls – heraus, wenn sie die Ware in einer komfortablen App quasi „auf dem Tablett“ präsentiert erhalten. Und in der Tat: Drei Viertel der Tablet-Benutzer verwenden ihren Flachmann zum Einkaufen. Und Branchen-Insider schätzen sogar, dass praktisch die Hälfte aller mobilen Bestellungen von einem iPad abgesendet wurden.

Und so wird der mobile Commerce – oder Couch-Commerce, was allerdings eher immobil wäre – zur sich selbst verstärkenden Welle. Denn Smartphones und Tablets gehören zu den zwei großen Rennern im diesjährigen Weihnachtsgeschenk. Wenn dann diese Präsente ausgepackt und eingeschaltet werden, werden ja auch sie zum Einkaufen von der Couch aus verwendet.

Einen ersten Hinweis auf diesen sich selbst verstärkenden Effekt könnten die angehobenen Prognosen geben. Der Bundesverband des Deutschen Versandhandels hat seine Umsatzerwartung von 5,5 Milliarden Euro auf 5,6 Milliarden Euro erhöht – und das wäre immerhin ein Anstieg um 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und das, obwohl die Eurokrise und die Sorge vor einem Wirtschaftsabschwung die Kauflust nicht gerade beförderten. Doch immerhin: für November und Dezember rechnet der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels mit einem Umsatz von 80,4 Milliarden Euro – das wäre immerhin ein Plus von 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wie hoch der Anteil des  Couch-Commerce dann tatsächlich sein wird, dürften erst die Post-Christmas-Shopping-Tage zeigen, wenn die neuen Smartphones und Tablets ausprobiert werden und das Umtauschgeschäft beginnt – für alle anderen Geschenke natürlich nur. Auch hier stehtübrigens der eCommerce hilfreich zur Seite: Vier Millionen Deutsche planen nach einer Umfrage des BITKOM; nach Weihnachten Geschenke auf Tauschbörsen weiterzuvertickern.

Frohe Weihnachten wünscht

Heinz-Paul Bonn

Mehr Leitung, weniger Leute

Eigentlich ist es kaum zu fassen: Deutschland ist einer der größten Telekommunikationsmärkte der Welt – und der Platzhirsch im Lande kämpft mit sinkenden Umsätzen. Doch heftiger Preiskampf im eigenen Land, schwieriger Zugang zu Wachstumsmärkten in Schwellenländern, das (vorerst) ohneiPhone-Spritze lahmende Geschäft im weltgrößten Telekommunikationsmarkt USA und schließlich ein überdurchschnittlich hoher Personalkostensockel machen es der Deutschen Telekom so richtig schwer durchzustarten.

Das soll jetzt anders werden: Rund 30 Milliarden Euro will der Konzern in den kommenden drei Jahren in den Ausbau der Infrastruktur stecken – und damit neue Umsatzquellen und Wettbewerbsvorteile erlangen. Dazu gehört der Ausbau des schnellen VDSL-Netzes. Zudem soll die Vectoring-Technologie, die eine Erhöhung des Durchsatzes auf 100 Megabit pro Sekunde erlaubt, forciert werden. Dann, so hofft Telekom-Chef René Obermann, sei der Tempo-Rückstand gegenüber den Kabelanbietern ausgeglichen. 24 Millionen Haushalte sollen in den Genuss des Turbo-Internets gelangen.

Auch mobil soll mit der Verbreitung der LTE-Technik kräftig zugelegt werden: 85 Prozent der Smartphone-Benutzer – also praktisch der deutschen Bevölkerung – sollen bis 2016 in den Genuss der Long Term Evolution gelangen. Dann sind 300 Megabit pro Sekunde keine Utopie mehr. Wie ernst es die Telekom mit diesen Investitionen meint, beweist die Tatsache, dass die liebgewordene 70-Cent-Dividende auf einen halben Euro gekappt wurde, um so die nötige Liquidität zu behalten.Allerdings: Auch Vodafone und O2 (Telefonica) investieren hier.

Der Unterstützung der Regierungsbehörden und Wirtschaftsverbände dürfte sich René Obermann indes sicher sein. Denn der flächendeckende Ausbau des Internets ist das Kernstück der vierten industriellen Revolution, auf die sich der siebte deutsche IT-Gipfel im November eingeschworen hat. Deutschland soll die modernste Web-Infrastruktur der Welt erhalten und mehr und mehr Kooperation und Kollaboration über das Internet erlauben.

Aber nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Organisationen soll durch die höheren Bandbreiten beflügelt werden. Vor allem der unablässige Austausch von Daten und Datenpaketen zwischen Maschinen wird die „Industrie 4.0“ beflügeln. Zwar rechnet man insgesamt mit einem Investitionsvolumen von 130 Milliarden Euro, ehe die vierte Generation flügge geworden sein wird. Aber eine Fraunhofer Studie im Auftrag des Branchenverbands BITKOM hat schon jetzt errechnet, dass sich allein in der Aufbauphase schon gesamtwirtschaftliche Effekte von rund 330 Milliarden Euro ergeben. Verbesserte Prozesse in der Supply Chain, die Vermeidung von Doppeluntersuchungen im Gesundheitswesen, weniger Staus im Personal- und Güterverkehr und eine Verringerung beim Stromverbrauch sind die Effekte, die dieses Einsparungspotenzial bringen.

Doch auch wenn die vierte industrielle Revolution neue Umsätze in die Kassen der Deutschen Telekom spülen wird – mehr Leitung allein reicht nicht beim Streben nach mehr Profitabilität. In den vergangenen fünf Jahren hat der Telekommunikationskonzern bereits 20.000 Personalstellen abgebaut – auf nunmehr 121.000 Mitarbeiter. Gerüchte, dass weitere 12.000 Arbeitsplätze zur Disposition stehen, seien „völliger Unsinn“, heißt es aus Firmenkreisen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich die dialektische Abwärtsspirale von „abstrus“ über „durchaus möglich“ bis zur vollendeten Tatsache schnell drehen kann. Mehr Leitung, weniger Leute – auch das ist eine Konsequenz aus „Industrie 4.0“

Teilen und mitteilen

Ostern ist ja bekanntlich am ersten Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond. So verlangt es die neutestamentarische Überlieferung. Weniger bekannt ist, dass das Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation – das CeBIT in Hannover –  jeweils ungefähr drei Wochen vor diesem astronomischen Ereignis angesetzt wird. Die Sterndeuter aus dem Messeturm in Hannover haben deshalb für das kommende Jahr den Messebeginn ebenfalls früh gelegt: ab dem 5. März teilen die geschätzten 4200 Aussteller wieder ihre Errungenschaften mit erwarteten mehr als 300.000 Besuchern.

Aber ist die CeBIT überhaupt noch zeitgemäß? Ist ein fester Messeplatz in einer zunehmend virtuell gut eingerichteten Welt noch lebensnah? Ist eine Computerschau mit Ausstellungsständen und Reklameaufwand in der Zeit der Social Media und des Cloud Computings nicht ein Anachronismus?

Man könnte meinen, dass die CeBIT von jenen Kopfgeburten, die sie selbst hervorgebracht hat, allmählich aufgefressen wird: OnDemand-Computing, Virtualisierung, Web-Communities – dies alles sind immerhin technische und gesellschaftliche Erscheinungen, die auf der CeBIT selbst erst das Licht der Vermarktungswelt erblickt haben. Doch jetzt ist die Messe gelesen…

Einspruch, Euer Ehren! Das Erfolgsgeheimnis der CeBIT war immer eine Atmosphäre des Teilens und Mitteilens. Längst sind die Marketiers, sind die Entwickler mit den Vorbereitungen für ihre Messebotschaften und Präsentationen befasst. Die CeBIT ist ein Kulminationspunkt für Entwicklungsleistungen. Es mag absurd klingen: Aber die Dinge werden fertig weil die Messe droht. Das Ereignis in Hannover ist insofern ein wesentlicher und globaler Synchronisationspunkt. Am 5. März sind wir fertig – komme, was da wolle.

Und die CeBIT ist und bleibt ein Gegenentwurf zur Beiläufigkeit der im Vorbeigehen über die sozialen Medien verbreiteten Botschaften. Was dort en passant, so im Vorbeigehen, gebloggt und gepostet wird, ist eine Botschaft aus dem Handgelenk. Die Botschaften, die wir auf der CeBIT teilen und mitteilen, sind hingegen Marksteine. Sie setzen die Orientierungspunkte für die IT-Konjunktur.

Und die boomt unverändert und braucht für das kommende Jahr die CeBIT als Medium der Selbstmotivation. Denn IT geht eigentlich immer. In der Krise müssen wir investieren, um uns auf raue Zeiten einzustellen. Im Boom können wir investieren, weil wir uns auf das Wachstum einstellen müssen. 71 Prozent der vom Bitkom befragten IT- und TK-Unternehmer sehen folglich keinen nennenswerten Konjunktureinbruch im kommenden Jahr. Sie erwarten im Gegenteil mehr Umsatz als im laufenden Jahr, das mit einem Umsatzplus von 2,8 Prozent deutlich über den Erwartungen – auch des Bitkom – lag. Zwar wird die 2-Prozent-Hürde im kommenden Jahr eher nicht übersprungen – aber ein satter Zuwachs auf neue Bestmarken ist doch drin.

Denn die teilende Gesellschaft, die nicht nur neue Geschäftsmodelle für die gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen findet, sondern auch nach neuen, besseren Methoden, um Wissen zu teilen und Arbeitsprozesse auf viele auszudehnen, findet auf der CeBIT ihr prägendes Motto: Shareconomy – teilhabende, mitteilende Wirtschaft.

Das ist nicht das Motto einer Technologie, nicht einer neuen Disziplin, sondern eines gesellschaftlichen Wandels, der sich derzeit vollzieht und dem die CeBIT einen Namen gegeben hat. Nach einer IBM-Studie unter 1700 CIOs weltweit sind Partizipation, Vernetzung und Meinungsfreude die neuen Währungen der IT-Strategen. Für sie sind Soziale Netzwerke, offene Firmenkultur, Partnerschaft weniger eine Technikleistung als vielmehr eine Geisteshaltung. Ihre technische Basis hingegen – zum Beispiel Cloud Computing, Big Data, Business Process Optimization und Knowledge Management – sind die Exponate auf der CeBIT 2013.

Shareconomy – die Wirtschaft, die teilen und mitteilen lernt, ist eine Basiströmung für die kommenden Jahre. Und wer hat´s erfunden? Die Hannoveraner!

In Dubai dabei

„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, formulierte Rosa Luxemburg in ihrer posthum erschienenen kritischen Würdigung der russischen Revolution. Und der Satz, der dieser steilen Sentenz vorweg gesetzt ist, klingt wie ein aktueller Kommentar zur World Conference on International Telecommunications: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit“. Als wäre der Satz der neuen chinesischen Führung ins Stammbuch geschrieben, warnt er scheinbar vor jeder Einflussnahme im Internet. Ein offenes, ein transparentes Internet wollen wir – aber will es auch die International Telecommunication Union, einer Unterorganisation von rund 190 Ländern der Welt und zusätzlichen Unternehmen und Forschungseinrichtungen.

Mehr Transparenz gibt es auf der heute in Dubai beginnenden zehntägigen Konferenz wohl nicht. Trotz der Bemühungen von WCITLeaks und anderen Transparency-Plattformen bleibt weitgehend undurchsichtig, was die Konferenz zur Frage der künftigen Internet-Regulierung beschließen will. Was heraussickert, lässt uns gespannt in Dubai dabei sein: Nicht weniger als die direkte Einflussnahme auf Internet-Angebote, auf das, was Websurfer in ihrem Land sehen und nicht sehen dürfen, steht zur Diskussion. Dabei wäre das noch nicht einmal das schlimmste Szenario: Sollten beispielsweise Telekommunikations-Betreiber mehr Einfluss auf die Ausgestaltung der von ihnen bereitgestellten Webzugänge haben, könnte jeder Provider das über ihn zugängliche Angebot steuern.

Es wäre ungefähr so, als würde Google allein durch seinen geheimen Suchalgorithmus das eine Webangebot promoten und das andere behindern. Aber, hoppla: So ist es ja im tatsächlichen Leben.

Tatsächlich aber ist nicht zu befürchten, dass sich die 190 Länder wirklich auf eine fundamental andere Regulierung des Internet-Datenverkehrs einigen werden. Zwar wollen fast alle Länder einen neuen Vertrag, der das Tor zu einer stärkeren Einflussnahme durch Staaten, Behörden und Unternehmen weit aufstößt. Aber weder die USA, noch die Europäische Union wollen ernsthaft Änderungen am Status Quo. Die Möglichkeit einer stärkeren Einflussnahme durch Staaten oder lokale und globale Provider mag zwar diskutiert werden, dürfte aber kaum konsensfähig sein.

Natürlich ist es eine Überlegung wert, dass diejenigen Unternehmen, die die Infrastruktur als Investition bereitstellen, jenen eine stärkere Kostenbeteiligung aufbrummen wollen, die über zusätzlichen Content als erste von größeren Bandbreiten profitieren – die sozialen Medien beispielsweise, oder die Streaming Media-Anbieter. Sie benutzen die Datenautobahn für ihre Geschäftsmodelle, ohne sich am Ausbau des Datennetzes zu beteiligen. Aber brauchen wir dafür eine Konferenz einer UNO-Unterorganisation. Das müssten doch auch die Marktkräfte regeln können…

Dubai wird möglicherweise eine ganz andere Frage aufwerfen: Ist das Internet überhaupt noch regulierbar – von regierbar ganz zu schweigen? Wir haben neue Sozialisierungsmethoden erfunden wie Graswurzel- oder virales Marketing. Communities führen zu neuen Erscheinungen (und übrigens auch Wortschöpfungen) wie Flash Mobs oder Shit Storms. Wie würde denn ein Shit Storm aussehen, der über die westliche Welt hinwegfegen würde, die einer stärkeren Einflussnahme auf das Internet die Ports öffnete? Die Freiheit im Internet ist doch immer auch die Freiheit der Andersdenkenden, wäre wohl tatsächlich der gemeinsame Konsens.

Es mag vielleicht etwas rosarot klingen – aber alles in allem überwacht das Internet sich doch ganz gut selbst. Der Aufruhr gegen Googles oder sonst wessen Vorstöße auf eine stärkere Beeinflussung des Webs beweist doch eher, wie alert, wie wach die Web-Community hierzulande ist. Das ist ein Standortvorteil, den man nicht unterschätzen sollte. Es kommt ja nicht von Ungefähr, dass Deutschland unter Chinas Jugend einen hervorragenden Ruf hat. Wer hätte das gedacht: Basisdemokratie und Bürgerprotest als Exportprodukt.

Da fällt mir noch eine (etwas angestaubte) jüdische Anekdote ein: Jossele ruft aus den USA bei seinem Bruder in Russland an und fragt, wie es den Kindern geht. „No“, sagt Bruder Ephraim, „Rachel ist in Bulgarien und führt den Sozialismus ein, Nathan ist in Polen und führt den Sozialismus ein und Benjamin ist nach Israel ausgewandert.“ – „Und“, fragt Jossele, „führt er da auch den Sozialismus ein?“ – „Bist du verrückt, doch nicht bei unseren eigenen Leuten!“

Eben. Machen wir uns mal wegen Dubai keine Sorgen. Oder?