Unternehmensgründung: Highway to Hell

Man muss schon etwas ganz besonders Blödes sagen, wenn man freitagsabends in Oliver Welkes Heute Show zitiert wird. Dass Schwedens Küste zum größten Teil aus Ufern besteht, zum Beispiel. Letzte Woche schaffte es die Bundesregierung, repräsentiert durch Verkehrsminister Alexander Dobrindt, aber auch, ohne überhaupt etwas gesagt oder getan zu haben: Denn Welke prangerte den zögerlichen Ausbau der IT-Infrastruktur in Deutschland an. Auf dem Datenhighway sei eben nicht die Hölle los. Deutschland liege im Modernisierungstempo sogar noch hinter Bulgarien und Rumänien. (Lacher aus dem Publikum.)

Tatsächlich erweckte die Bundesregierung auf ihrer eben abgeschlossenen Klausurtagung eher den Eindruck, als wolle man die Lösung der nächsten Probleme auf eine Zeit (und einen Partner) nach der nächsten Bundestagswahl verschieben. Die digitale Agenda, die daran krankt, dass sie mit Gabriel, de Maizière, Dobrindt und Maas vier Väter hat, wird nur mit mäßigem Interesse und Tempo weiterverfolgt. Des einen (Gabriel) Vorstoß sieht der andere (Dobrindt) als Verstoß im Konkurrenzgerangel. Es geht nicht um die Sache, sondern um Zuständigkeiten.

Bei seinem nächsten Vorstoß kann Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel dagegen hoffen, keinen Gegenwind aus den eigenen Kabinettsreihen zu bekommen. Denn mit der Absicht, mehr Geld für Wagniskapital und Startups aufzulegen, tingelt er in seinem ureigenen Wirtschaftssektor. Gabriel will den vom europäischen Investitionsfonds (EIF) und dem ERP-Sondervermögen finanzierten ERP/EIF-Venture-Capital-Dachfonds um eine Milliarde Euro aufstocken. In einem ersten Schritt war der Fonds bereits im vergangenen Herbst auf 1,7 Milliarden Euro angehoben worden. Neben der Ausweitung des INVEST-Programms im Jahr 2017 will Gabriel zudem einen High-Tech-Gründerfonds III mit einem Volumen von etwa 300 Millionen Euro auflegen.

Der Schritt ist löblich, denn in der Tat ist die Beschaffung ausreichender Geldmittel für den Start in die Selbständigkeit eines der größten Hürden bei der Neugründung. Und tatsächlich erweisen sich Startups, mehr noch als klassische Unternehmensgründungen, als mächtige Jobmotoren. Allein in Berlin hat sich die Zahl der Arbeitsplätze in Jungunternehmen innerhalb des letzten halben Jahrzehnts auf mehrere Zehntausend Jobs vermehrt. Und nicht zuletzt sind es die von den Startups verfolgten Innovationen rund um die Digitalisierung unserer Gesellschaft, die den Wirtschaftsstandort Deutschland voran bringen.

So weit, so gut. Aber Geld allein macht nicht glücklich. Nach den jüngsten Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) befindet sich die Gründungsstimmung jedoch auf einem Allzeittief, nachdem die Zahl der Gründungen ebenso wie der Gründungsgespräche zum vierten Mal in Folge zurückgegangen ist. Damit hat sich das Gründungsinteresse innerhalb von zwölf Jahren halbiert – auf nunmehr noch 205.000 Gespräche zu Gründungskonzepten und Geschäftsmodellen. Auffällig ist dabei, dass vielen angehenden Jungunternehmern der Sinn für den Kundennutzen abhanden geht. Sie entwickeln Konzepte, die technisch hip sein mögen, aber kaum eine Zielgruppe finden.

Da hilft dann auch kein Gründerfonds. Tatsächlich ist der in seinem Mittelstandsbauch vom Maschinen- und Automobilbau geprägte Standort Deutschland zu lange überheblich mit der Digitalen Agenda umgegangen. Statt Neues zu denken wurde Bewährtes optimiert. Gleichzeitig wachsen Kinder und Jugendliche mit einer größtmöglichen Wirtschaftsferne auf. Sie können zwar, wie unlängst eine Kölner Abiturientin medienwirksam reklamierte, Gedichte in fünf Sprachen analysieren, aber keine Steuererklärung ausfüllen. Und sie können auch keine Geschäftsmodelle entwickeln. Ja – fragt man Schulabgänger, dann ist sogar der Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn nur diffus vermittelt worden.

Da helfen weder Geld noch gute Leitungen. Wenn der IT-Ausbau in Deutschland nicht gleichzeitig mit dem Ausbau von IT- und Wirtschafts-Skill erfolgt, ist die Digitale Agenda nur ein Kalenderblatt der Geschichte. Ohne Gründergeist gefährden wir den Wirtschaftsstandort Deutschland gleich doppelt: Dem Mittelstand fehlen die Nachfolger und den Startups die Ideen. Dann wäre wirklich die Hölle los.

Um beide – Mittelstand und Startups – zusammenzubringen, organisiert der Bundesverband Deutsche Startups im Europa-Park Rust vom 15. bis 17. Juli unter dem Motto „Mittelstand von Morgen“ eine Großveranstaltung zum Thema. Dort wird auch das zusammen mit Florian Nöll entstandene Buch „Heute Startups – morgen Mittelstand“ vorgestellt. Hier geht’s zu Anmeldungen und Programm.

 

Ist die Welt doch ein Ponyhof?

Wie fühlt man sich, wenn 75 Prozent der weltweiten Geschäftstransaktionen über die eigene Produktplattform abgewickelt werden? – Verdammt verantwortlich! Und zwar für alles!

Aber bislang vielleicht nicht verantwortlich genug, meinte jetzt SAP-Vorstandsvorsitzender Bill McDermott auf der SAPPHIRE Now in Orlando. Denn, so seine Selbstkritik, den Mitarbeitern des größten deutschstämmigen Softwarehauses habe es bislang an wichtigen Tugenden im Verantwortungsbewusstsein für deren Kunden vermissen lassen. Die wichtigste Tugend dabei sei die Empathie, das Mitfühlen mit den Geschäftsproblemen und Herausforderungen der Kunden.

Das klingt schon ein bisschen nach Ponyhof. Nur dass der weltweite SAPonyhof eine Multibillionen-Community der größten, erfolgreichsten und demnach auch anspruchsvollsten Unternehmen der Welt ist. Da darf man die Zügel nicht schleifen lassen. Das aber, auch diese Selbstkritik ließ der CEO in seiner im Gestus einer amerikanischen Vorwahlkampf-Rede vorgetragenen Keynote durchblicken, habe SAP getan, als man sich auf die Runderneuerung der eigenen Software-Suite konzentriert habe. Zwar hat SAP mit HANA eine zukunftsweisende Plattform in die Welt gestellt und mit S4Hana auch die Anwendungs-Suite dazu erneuert. Aber man habe dabei vergessen, dass dieser Wandlungsprozess nur mit und bei den Kunden erfolgreich sein kann.

Das aber haben im vergangenen halben Jahr zahlreiche CIOs zum Ausdruck gebracht. Der Message haben sie mit dem Hinweis auf die vielen Milliarden Dollars und Euros Nachdruck verliehen, die die SAP-Customer-Community bislang in ihre IT-Umgebung gesteckt hat. Und jetzt steht eine der größten Transformationen an, die die Menschheit je erlebt hat: die Digitalisierung der gesamten Geschäftsprozesse und des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Und dabei, bitte schön, möge die SAP nun ihren Kunden genauer zuhören, besser folgen und mehr Verständnis, mehr Empathie aufbringen.

Keine schlechte Forderung in einer Welt, in der Technik nur erfolgreich sein kann, wenn sie erfolgreich angewendet wird. Das gilt für Autobauer und Maschinenbauer ebenso wie für Dienstleister oder Produzenten, für Startups ebenso wie für mittelständische Familienunternehmen und Großkonzerne. Nur, von Zeit zu Zeit muss man dieses Business-Mantra ins Gedächtnis rufen. Denn Organisationen haben die Tendenz, auf sich selbst zu schauen, sich selbst zu optimieren und dabei den eigentlichen Daseinszweck zugunsten der Selbstbezüglichkeit zu verlieren.

Bill McDermott fügte dem Ponyhof-Mantra von der Kundenzuwendung zwei weitere SAP-Klassiker hinzu: Umfassende Vision gepaart mit dem Streben nach größtmöglicher Einfachheit. Aber über allem steht von nun an die Ausrichtung der SAP-Ziele auf die Ziele ihrer Kunden. Das ist doch schön.

Dass dem auch Taten folgen, hat SAP in den Tagen der SAPPHIRE Now zu beweisen versucht. Zum Beispiel mit der Ankündigung, noch enger mit Microsoft zusammenzuarbeiten. S4HANA gibt es nun vollständig integriert und verwaltet auf Microsofts Azure-Plattform, wobei Office-Funktionen und die Oberfläche Fiori noch enger zusammenwachsen. Auch mit Lenovo hat SAP seine Daten- und System-Management-Lösungen erweitert. Und nicht zuletzt haben sieben weltweit führende Unternehmen ihr Testimonial abgegeben, wie gut es jetzt mit der empathischen SAP in einem sich revolutionär verändernden Geschäftsleben klappt.

Die „beste SAPPHIRE Now aller Zeiten“, wie Bill McDermott sich selbst lobte, hatte doch etwas von einem Ponyhof. Nur, die Hürden sind deutlich höher. Und die Steaks sind heißer.

 

Watson! Watt sonst?

Kommt eine Grundschullehrerin zu Watson und will fragen…, kommt aber nicht dazu, weil IBMs künstlicher Intelligenzler ständig seine Vorzüge vorstellen muss. Schließlich unterbricht sie ihn (also eigentlich „es“ statt „ihn“, so weit wollen wir es mit der Vermenschlichung für AI-Computer nun doch noch nicht treiben) mit einer herrischen Geste und platzt heraus. „Was muss ich tun, damit die Kinder auch mal still sind?“ – Watson schweigt lange und antwortet schließlich: „Zu dieser Frage ist mir keine Lösung bekannt.“

Dies ist einer von vielen Werbespots, mit denen IBM ihren zentralen Hoffnungsträger, das Expertensystem Watson, der Menschheit näher bringen möchte. Cognitive Computing nennt IBM selbst das System, das in der Lage ist, aus unstrukturierten Daten empirisches Wissen zu ziehen und damit Handlungsempfehlungen auszusprechen. Und das ist ein riesiges Arbeitsfeld. Denn trotz der alles speichernden und sammelnden ERP-Systeme in Unternehmen, mit denen die Firmenressourcen verwaltet und verplant und damit praktisch jedes Firmengeschehen gesteuert wird, sind es nach Schätzungen von IT-Wissenschaftlern lediglich acht Prozent aller in einer Organisation vorhandenen Daten und Informationen, die in strukturierter Form vorliegen. Alle anderen Daten entziehen sich als Wort oder Bild den Auswertungsmöglichkeiten von klassischen Datenbanksystemen.

Noch. Denn Watson soll nach den Vorstellungen der IBM in all diese Gebiete vordringen und dabei die Möglichkeiten einer In-Memory Datenbank, dem derzeit hellsten Stern am Big-Data-Firmament, hinter sich lassen.

Doch es ist ein weiter Weg bis zum kommerziellen Erfolg, den IBM nach so vielen Quartalen mit Umsatzrückgang und Verlusten so dringend benötigt. Vor gut einer Dekade begannen IBMs erste Versuche im Gesundheitswesen, die inzwischen – nach jahrelangem Input von Anamnesedaten und Diagnosen und der kontinuierlichen Verbesserung der Denkleistung von Watson und seiner Vorgänger – zu nennenswerten Ergebnissen bei der Identifikation seltener Krankheitsbilder führen.

Neben vornehmlich humanen Projekten im Gesundheitswesen gibt es inzwischen auch handfeste monetär orientierte Kunden. Zum Beispiel Talkspace, das mit CaféWell eine Online-Plattform für die wachsende Zahl der Selbstoptimierer bereithält. Wer Ratschläge und Trainingstipps für sein individuelles Gesundheitsprogramm wünscht, kann hier auf Watsons Wissen zurückgreifen. Das kognitive System hilft auf einer anderen Plattform dabei, für Online-Gesprächstherapien den richtigen (menschlichen) Therapeuten zu finden.

Versicherungen, Ingenieurbüros, Online-Plattformen, Autobauer – sie alle erkennen in Watson ein System, das dabei hilft, firmeninternes Know-how zu bewahren, zu sortieren, auszuwerten und verfügbar zu machen. Jetzt haben sich acht Universitäten zusammengeschlossen, um Watson mit Informationen zu Cyber-Attacken zu füttern. Im Ergebnis soll Watson – Schritt eins – vor Cyber-Attacken warnen, im zweiten Schritt Cyber-Attacken abwehren helfen. Dies wäre in der Tat ein Multimilliarden-Business, das nach einer Lernphase von gut einem Jahr in Angriff genommen werden soll.

Offen ist freilich noch, wie das Watson-Ecosystem, das innerhalb von IBM durch Lauri Saft vertreten wird, finanziell funktionieren soll. Wo liegen die Geldströme, mit denen Big Blue wieder zum Darling der Aktionäre werden möchte? Über die „Watson Developer Cloud“ können Entwickler auf die APIs zurückgreifen, die IBM (das hätte es früher nicht gegeben!) offengelegt hat. Anders als Apple oder Google hofft IBM nicht auf Hunderttausende von Apps mit minimal invasiver Wirkung, sondern auf die mobilen Anwendungsfälle, die Hunderttausende von Spezialisten noch besser, noch effizienter, also maximal invasiv machen sollen. IBM kehrt damit nach einer langen Irrfahrt durch das Me-Too-Business zu dem zurück, was Big Blue einmal groß gemacht hat: Das tun, was andere nicht tun können.

Nur, der Anbietermarkt hat sich geändert: Mit Amazon, Google, Microsoft sind viele unterwegs, die in künstlicher oder kognitiver Intelligenz promovieren und einen Milliardenmarkt anstreben. Der Wettbewerb ist schon heiß gelaufen. Doch für IBM ist Watson die letzte verbliebene Trumpfkarte. Die einzige Antwort, die Watson auf diese Frage hat, lautet: „Watson! Watt sonst?“

 

SAPple

In einer Welt, in der jeder jeden kaufen könnte, sind schon Kooperationen Anlass zur Spekulation. Es sollte eigentlich nichts Besonderes sein, wenn SAP mit Microsoft über eine engere Zusammenarbeit diskutiert. Immerhin sind gut und gerne 90 Prozent der Endgeräte, von denen aus auf SAP-Software zugegriffen wird, von Microsoft dominiert. Aber, dass dabei schon zweimal über eine Fusion der beiden Software-Riesen diskutiert worden sein soll, entfacht doch die Phantasie. Da muss man noch nicht einmal Verschwörungs-Fanatiker sein.

Jetzt verspricht Apple, die SAP-Software auf seine mobilen Geräte iPhone und iPad zu bringen. Eigentlich nur logisch. Denn die Welt der Gegenwart ist schon mobil – die Zukunft hingegen wird wearable und virtuell real. Da lohnt es sich, mit jedem der potentiellen Device-Designer zusammenzuarbeiten. Also eigentlich keine Nachricht, oder?

Oder doch? Anders als Microsoft hat sich Apple seit Jahrzehnten dem Markt für Geschäftskunden verweigert. Zwar gibt es eine hochloyale Geschäftskundschaft in der Kreativindustrie, aber der Markt für ERP-Systeme, über die Unternehmen ihre Geschicke und Geschäfte steuern, verzichtet weitgehend auf die Unterstützung aus Cupertino. Dabei sind doch gerade hier die langfristigen Bindungen möglich, die einen soliden Umsatzsockel sichern. Stattdessen ist Apple mit der Fokussierung auf das hoch volatile Privatkundengeschäft zur weltweit wertvollsten Firma emporgestiegen. Aber derzeit ist die Aktie im Sinkflug, Apple droht – wie schon einmal – die Spitzenpositionen an Alphabet (also Google) zu verlieren. Denn die nächsten Highflyer-Produkte, mit denen die nächste Umsatz- und Gewinnrakete gezündet werden kann, sind nicht in Sicht.

Jetzt soll also der direkte Zugriff auf die Hana-basierenden SAP-Anwendungen vom iPad und iPhone aus zusätzliches Geld in die Kassen spülen. Aber warum sollte das funktionieren? Die schon 2014 mit IBM eingegangene Partnerschaft hatte anscheinend nicht die erhofften Auswirkungen. Das freilich könnte an den seither kontinuierlich enttäuschenden Quartalsergebnissen von Big Blue liegen.

Da könnte die Partnerschaft mit den Walldorfern tatsächlich aussichtsreicher sein. SAP will seine Benutzeroberfläche Fiori auf die mobilen Apple-Geräte bringen und diese zugleich mit Afaria, den seinerzeit über Sybase erworbenen Tools fürs Gerätemanagement, weltweit ansteuern. Das könnte zumindest dem Arbeitsplatztrend entgegenkommen, wonach jeder Mitarbeiter sein eigenes Device auswählen und anwenden darf. Zudem wandelt sich der Arbeitsplatz derzeit ohnehin rapide. Ein fester Desktop klingt irgendwie nach 20. Jahrhundert. Im 21. Jahrhundert erfolgt das Unternehmensmanagement von unterwegs aus – und sei es aus Panama…

Die neue SAPple-Umgebung wird freilich gleich auch den Herausforderungen der digitalisierten Arbeits- und Fertigungswelt begegnen müssen. Ob dazu Gestensteuerung oder doch lieber gleich virtuelle Realität das Werkzeug der Zukunft ist, bleibt abzuwarten. Aber für beide Seiten dürfte es besser sein, diese Entwicklungsaufgaben gemeinsam anzugehen. Die Arbeiten an der Benutzeroberfläche Fiori hatten seinerzeit SAP-Entwickler ohnehin schon an den Rand des Wahnsinns getrieben. Das muss man nun nicht wiederholen, sondern kann es getrost den Experten überlassen. Die Expertise der SAP liegt nun mal eindeutig im Prozessumfeld und das liegt tief unter der Oberfläche.