Wer hats erfunden?

Diese Ricola-Werbung, in der ein nerviger Schweizer das Urheberrecht auf ein Kräuterbonbon reklamiert, ist zu einer stehenden Redewendung geworden, wenn es darum geht, geistiges Eigentum zu beanspruchen. Mal ist es ein Finne, mal ein Amerikaner, natürlich auch mal ein Deutscher, der fälschlicherweise für sich beansprucht, diese hustenlösenden Drops in die Welt gesetzt zu haben. Sie alle lassen sich von einem kleinen Zupfer an der Jacke beeindrucken und kehren reumütig zur Wahrheit zurück. Ja, die wachsamen, nimmermüden Schweizer.

Aber anders geht’s wohl nicht im internationalen Patentrecht, wenn man klein ist: Dann muss man wachsam und nimmermüde sein, denn die Raubkopie droht immer und überall. Das Plagiat als Geschäftsmodell ist durchaus tragfähig – es spart Entwicklungskosten, vermeidet die Risiken des Fehlschlags und geht schneller als die mühselige Forschung. Sich dagegen zu wehren fällt vor allem kleinen und mittleren Unternehmen zunehmend schwer. Patente müssen nicht nur im eigenen Land, sondern nahezu in allen Industrie- und Schwellenländern durchgesetzt werden. Allein an der Vielsprachigkeit dieses Unterfangens scheitern mittelständische Unternehmen. Sie konzentrieren sich auf Schwerpunktländer und hoffen, dass der eigene Erfindungsreichtum schneller Früchte trägt als der Erkundungsreichtum der faulen Konkurrenz. Vor allem die mehr als tausend Hidden Champions in Deutschland, Unternehmen mit wenig Außenwirkung, aber weltweiter Marktführerschaft in ausgesuchten Märkten, müssen hier ständig um ihr Eigentum kämpfen. Die geistige Enteignung durchs Raubkopieren droht jeden Tag rund um den Globus.

Der mangelnde Respekt vor dem geistigen Eigentum hinter der Softwareentwicklung hat Microsoft vor Jahren bewogen, den gesamtwirtschaftlichen Schaden der Raubkopien rund um Windows zu beziffern. Allein 1,5 Milliarden Dollar gehen demnach dem Konzern durch illegal genutzte Microsoft-Software in den sogenannten BRIC-Ländern (Brasilien, Russland, Indien, China) flöten. Und selbst in Deutschland wird der wirtschaftliche Schaden durch das Raubkopieren auf 1,7 Milliarden Euro an Lizenz- und Dienstleistungsgeschäft angesetzt. Allein an raubkopierten Computerspielen entsteht ein Verlust von 680 Millionen Euro. Alles in allem genug, um Tausende neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Dass die Entwürdigung geistigen Eigentums bei Doktorarbeiten nicht Halt macht, haben die Politikskandale der jüngsten Vergangenheit gezeigt. Hier liegt der wirtschaftliche Schaden zwar deutlich niedriger, das politische Porzellan, das hier zerschlagen worden ist, hat jedoch einer ganzen Nation durchaus geschadet. Das Land der Dichter und Denker gerät in Verruf als Land der Zinker und Zocker.

Am Dienstag dieser Woche laden die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft zum „Tag des geistigen Eigentums“ ins Haus der deutschen Wirtschaft nach Berlin. BDI, DIHK, Markenverband und APM wollen vor allem die Gefahr und Gefährdung des Mittelstands diskutieren, die aus der unrechtmäßigen Aneignung der Resultate angestrengten Nachdenkens – ob in Forschung und Entwicklung, in Prozessen und Produkten, in Worten und Bildern – entstehen. Es geht um zweierlei: Schärfung des Bewusstseins, dass der Ideenklau überall drohen kann. Und Schärfung des Bewusstseins, dass der Ideenklau schnell getan ist und oft als Kavalierdelikt abgetan werden kann.

Es ist interessant, dass der Verwertungsgedanke geistiger Leistungen erst mit der Renaissance in unser Weltbild getreten ist. Er ist sozusagen ein Kind der Individualisierung unseres Denkens und Handels. Mit der Vorstellung, dass Urheber ein exklusives Verwertungsrecht ihrer Gedankenleistung gewinnen, zündete überhaupt erst unsere geistige, technische und wirtschaftliche Entwicklung. Ohne sie wäre der Fortschritt-Drops schnell gelutscht – egal, wer ihn erfunden hat.

Genossen, schafft für mehr Sicherheit!

Unnötige Anglizismen wie das CeBIT-Motto „Shareconomy“ oder der modernistische Gattungsbegriff Cloud Computing werden 1966 nicht in den feierlichen Reden zitiert worden sein, als Information Technology noch Angewandte Datenverarbeitung (ADV) geheißen hat. Aber genau das hatte Heinz Sebiger und 64 weiteren Steuerberatern aus dem Kammerbezirk Nürnberg vorgeschwebt, als sie eine Genossenschaft für die elektronische Verarbeitung von Daten ins Leben riefren und damit praktisch die erste IT-Community hierzulande – oder gar weltweit? – gründeten. Heute zählt die Datev-Community erstmals mehr als 40000 Genossen.

Ihr oberstes Markenzeichen müsste eigentlich jeden Marketing-Manager zur Verzweiflung bringen: Sicherheit! Puh. Buchungsbelege! Geht’s noch? Kann man sich was Angestaubteres denken? Und doch: Die Datev ist so ziemlich das Angesagteste, was auf dem deutschen IT-Markt zu finden ist. Das nach Umsatz gerechnet viertgrößte deutsche Softwarehaus ist mit 760 Millionen Euro, unverändert satten Wachstumsraten und einem Mitarbeiterbestand von 6000 Beschäftigten ein Aushängeschild für so manches Markenzeichen wie „German Cloud“, „Software made in Germany“, „Deutscher Datenschutz“ – die Datev ist kein Marktbegleiter, kein Wettbewerber, sondern eine Instanz: Wenns die Datev macht, kann es nicht grundfalsch sein…

Zum Beispiel Cloud Computing: Die Datev ist der ideale Beweis dafür, dass Software und Services on Demand alles andere als ein neues Konzept darstellt – es ist vielmehr der Gründungsgedanke der Genossenschaft, die 1969 ihr erstes eigenes Service-Rechenzentrum für ihre Steuerberater-Dienste einweihen ließ – durch keinen geringeren als den damaligen Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß. Heute heißt „Cloud Computing“ im Datev-Idiom immer noch ganz unaufgeregt „Digitale Zusammenarbeit“. Das klingt beileibe nicht so sexy wie „Shareconomy“ – ist aber unheimlich erfolgreich.

Ein paar Zahlen: Täglich holt die Datev 800.000 Kontoauszugsdaten ein – der Service wächst monatlich um 6000 Konten, deren Belege gesichtet und gesichert werden. Rund 1000 Unternehmen entscheiden sich Monat für Monat zusätzlich dafür, ihre Belegverwaltung der Datev anzuvertrauen. Derzeit sind es 65000 Unternehmen, die zusammen ein Volumen von 5 Millionen “Belegbildern“ generieren – monatlich wohlgemerkt. Und nicht zuletzt: 80 Prozent der rund 3,14 Millionen umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen haben Finanzbuchhaltungsdaten bei der Datev gespeichert.

Die Datev-Community aus nunmehr 40.000 Genossen hat einen gemeinsamen Nenner – Sicherheit. Sie ist möglicherweise die wichtigste Währung, über die das Nürnberger Unternehmen verfügt. So sicher wie die Bundesbank und so flexibel wie die Bundesregierung!

Dass sich auch die Datev immer wieder neu erfinden muss wird gerade jetzt unter der Ägide des Sebiger-Nachfolgers Dieter Kempf deutlich: Digitale Zusammenarbeit ist mehr als Services rund um Belege und Steuerberatung. Es ist steuern und beraten. Kein Wunder, dass die Datev im Zeitalter des Cloud Computings nicht nur auf die Daten schaut, sondern auch auf die Anwendungen, mit denen sie produziert werden.

Es dürfte nicht überraschen, wenn die Datev nicht nur für die Sicherheit der Daten als Marke herhalten könnte, sondern auch für die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsprozesse im und zwischen Unternehmen. Die Datev als Anwendungs-TÜV – das wäre, das ist ein Exportschlager, der im europäischen Ausland auch schon erste Blüten treibt. Neben Industrie 4.0 ist „Security 4.0“ ein wichtiger Exportschlager. Genossen, schafft für mehr Sicherheit.

Übrigens: Heinz Sebiger wurde in diesen Tagen 90. Gratulation.

SolBIT – alt genug zum Teilen

Sol lucet omnibus, wusste der Lateiner – die Sonne scheint für alle – und verstand damit so etwas wie einen Hauch von Sozialismus. Passend zum Messekunstwort der diesjährigen CeBIT – Shareconomy, die Wirtschaftslehre vom Teilen – zeigte sich die Sonne von ihrer angenehmsten Seite. Sie war zumindest am ersten und zweiten Messetag der uneingeschränkte „Star“ der CeBIT – denn der beste Messestandort war auf dem Campus vor dem Congress Center. Den teilten sich – ganz im Sinne des Messemottos – Aussteller und Besucher.

Das hatte Auswirkungen auf das Besuchsverhalten: Die CeBIT legte einen Blitzstart hin. Allein in den ersten drei Stunden schienen die Kontaktzahlen des ersten Messetags des Vorjahrs erreicht zu werden – und die Erwartungen stiegen sprunghaft. Dann aber kam die Mittagszeit und die Gänge leerten sich sichtlich. Und offensichtlich kehrten die Besucher auch am Nachmittag nicht zurück. Das Spiel wiederholte sich am zweiten Tag, der aber dennoch der bekannt starke Messemittwoch war. Nachmittags interpretierten die Besucher das Messemotto mit sonnigem Gemüt: Was schert mich die Ökonomie. Die einzige Ökosphere, die zählte, war die Rasenfläche.

Eine zweite mögliche Wirkung der Sonne war die außerordentlich positive Stimmung in den Gesprächen. Nach dem dunkelsten Winter seit Aufzeichnung der Wetterdaten hatten sonnige Gemüter Gute-Laune-Stimmung und zeigten lebhaftes Interesse an Investitionsmöglichkeiten. Ob man allerdings aus dieser Hochstimmung tatsächlich auf ein Konjunkturhoch schließen sollte oder doch nur auf das meteorologische Hoch, werden wir abwarten. Der Schneeeinbruch zum Ende der Woche jedenfalls brachte keinen nennenswerten Stimmungseinbruch in der geteilten Wirtschaft.

Bei aller Diskussion im Umfeld um sinkende Besucherzahlen und Ausstelleranmeldungen: Die CeBIT ist unverändert ein Meilenstein in unserem Marketingkalender; 4100 Unternehmen teilten in den Messehallen ihre Innovationen. Aber die Bedeutung der CeBIT als Ankündigungsmesse verblasst. Niemand kann mehr auf den März warten, um seine Produktpalette rundzuerneuern. Dies geschieht immer und überall, das ganze Jahr und rund um den Globus. Aber die Bedeutung der CeBIT misst sich vor allem in der Anzahl der Kontakte, der Verkaufschancen, in „Leads“. Ein CeBIT-Auftritt finanziert sich aus den Leads, die wir in Kunden umwandeln können. Auch hier aber gilt: Niemand kann bis März warten, um neue Kontakte zu generieren. Bedarf besteht über das ganze Jahr hinweg.

Liegt es an den 30 Jahren CeBIT-Wallfahrt, in denen man nicht jünger geworden ist, – oder ist das tatsächlich ein Trend, der sich uns darstellt? Die CeBIT ist eine „junge Messe“. Das sieht man nicht nur an der hohen Zahl von Start-ups die in Hannover auf zwei Gemeinschaftsständen ausstellten. Es zeigt sich auch, dass die Entscheidungsträger immer jünger werden – gerade im Mittelstand kommen junge Leute immer früher in Positionen, in denen sie über hohe Investitionen entscheiden. Das zeigt sich auch im geänderten Nachfrageverhalten. Dass beispielsweise auch ERP-Lösungen auf dem Touch-Tablet „laufen“ und damit mobil sind, ist für sie eine Selbstverständlichkeit.

Für die jünger werdende CeBIT-Gemeinde ist das Teilen von Informationen, Ideen und Innovationen gang und gäbe. Insofern hat der Slogan Shareconomy ins Schwarze getroffen. Dabei ist es faszinierend, dass Services – wie zum Beispiel Carshareing – ein CeBIT-Thema sind. Die CeBIT wandelt sich damit von einer Messe für IT-Produkte zu einer Show für Dienstleistungen, die erst durch IT möglich oder zumindest wirtschaftlich möglich werden. Vielleicht sollte man künftig nicht nur ein Partnerland, sondern eine Partner-Anwenderbranche zur CeBIT einladen. Fürs Teilen wären ja Hallen genug da…

Internationaler Büchsen-Macher

Stanley Kubrick hat der IBM, den International Business Machines, ein ewiges Denkmal gesetzt – den HAL 9000-Computer, dessen gigantische Datenspeicher nahezu das gesamte Raumschiff Discovery One ausfüllen. Sein rotes Infrarot-Licht ist der einzige Hinweis auf so etwas wie Software – der Rest ist Hardware, Big Iron, Blech-Büchsen.

Das Denkmal ist so hellsichtig und weitsichtig, dass  es mehr als vier Jahrzehnte, nachdem es erstmals über die Leinwand flimmerte, den immer noch andauernden Grunddissens der IBM symbolisiert: Wer generiert eigentlich die Wertschöpfung – die Hardware, ohne die nichts läuft, oder die Software und Services, ohne die man keine Hardware braucht? Im Film ist es die Softare, die die Mission schließlich gefährdet…

Ganz seltsam waberte diese dichotome Grundsatzfrage auch hier in Las Vegas durch die Räume des Convention Centers. Als langjähriger Wallfahrer zur IBM Partner World habe ich Big Blues Wandlungen und Anwandlungen Welle für Welle miterleben können. Aber diesmal waren der Generationswechsel und der Themenwechsel so manifest wie nie. Und doch – auch wenn überall das Hohe Lied von Big Data, Cloud Computing und Business Intelligence auf diesem immer smarter werdenden Planeten gesungen wurde, am Ende kam doch immer wieder dieselbe Coda: Und dafür liefert IBM nicht nur die Software und Services, sondern auch eine einzigartige Hardware-Palette. Die Hommage an den CIO, der als Herr über das Data Center immer noch die Rieseninvestitionen in Schränke und Kabelbäume genehmigt, hatte in jedem Redebeitrag ihren wiederkehrenden Nachhall.

Aber IBM muss wie die gesamte Informationswirtschaft nicht den Fokus auf den Information Officer setzen, sondern den CFO, den CEO und den CMO adressieren. Der Wert der Informationstechnik liegt nämlich nicht in sich begründet, sondern in dem, was die Anwender aus ihr machen. Niemand brachte dies klarer zum Ausdruck als Bruno di Leo, Senior Vice President Sales and Distribution: „Wichtig ist nicht, was wir verkaufen, sondern wie wir verkaufen“, rief er den IBM-Kollegen und Business Partnern zu. Nur über den Wert, den IT eröffne, könne IBM ihr Ziel erreichen, „die wichtigste Firma der IT-Firma zu sein“ und zu bleiben. Nichts Geringeres war schon immer der Anspruch der Watson-Company.

Und dieses Ziel teilt Big Blue mit ihren Partnern, in die eine Milliarde Dollar an Marktanreizen, Rabatten und Technologie gesteckt werden soll. Allein 44 Innovationszentren weltweit, auf die Partner rund um den Globus zurückgreifen können, sollen das gemeinsame Geschäft voranbringen. 150 Millionen Dollar will IBM allein im laufenden Jahr in gemeinsame Marketingaktivitäten stecken.

Und in welche Sparten soll das Geld fließen? Dorthin, wo die schönsten Wachstumsraten winken. Infrastrukturen für smarter Cities zum Beispiel, deren Ausgaben um 13 Prozent jährlich wachsen sollen. Big Data natürlich, wo Umsatzwachstum von 17 Prozent erwartet wird. Und natürlich im mobilen Internet mit Wachstumsraten von 18 Prozent. Schließlich als ewiger Spitzenreiter: Cloud Computing mit Steigerungen von 22 Prozent – mehr als ein Fünftel pro Jahr.

Das sind die Themen einer gemeinsamen Agenda für IBM und ihre Partner – allerdings auch für ihre Marktbegleiter.

Natürlich sollen auch die Partner in den smarter werdenden Planeten investieren. Am Ende stehe nichts weniger als eine neue Ära des Computings – was auch immer das ist.

Mag sein, dass wir uns am Beginn eines neuen Zeitalters befinden. IBM ist auf jeden Fall am Beginn eines weiteren Generationswechsels. Aber in einem wird sich Big Blue treu bleiben – als internationaler Büchsen-Macher.