Diese Woche gründet sich im Bitkom eine Projektgruppe ERP. Jetzt erst? Im Jahr 2013?
Man möchte meinen, es gibt kaum etwas Angestaubteres als Enterprise Resource Planning. Aber immerhin ist Deutschlands größtes Softwarehaus mit dieser Materie groß und reich geworden. Und immerhin gibt es noch ein gutes halbes Hundert mittelständischer Softwarehäuser, die mit branchenorientierten ERP-Systemen ihr gutes Auskommen haben.
Anfang der neunziger Jahre hatte die Gartner Group den Geistesblitz, aus der Materialbedarfsplanung so etwas wie die umfassende Ressourcenbedarfsplanung zu machen und das eben nicht MRP, sondern ERP zu nennen. Damals hatten wir gerade erst diesen CIMsalabim von der alles und jeden umfassenden computerintegrierten Fertigung ausgeträumt und uns auf die Basics der planenden und ordnenden Unternehmensführung konzentriert: Enterprise Resource Planning eben.
Die neunziger Jahre entpuppten sich dann als die Boomjahre für ERP-Höfe. Das Jahr 2000 stand vor der Tür und mit ihm die Not, die individuellen, mit dem Y2K-Bug verseuchten Anwendungen abzulegen. Auch mancher Wettbewerber ging da den Weg allen Irdischen, weil er es verabsäumt hatte, die Datumsgrenze rechtzeitig zu erneuern. Ein schöner Akt der Marktbereinigung – zumindest für die Überlebenden.
Man möchte meinen, im ERP-Geschäft hätten wir schon alles erlebt. Der Rest ist Schweigen und Marktverdrängung. Warum also jetzt eine Projektgruppe im Bitkom? Warum nicht lieber noch eine Projektgruppe für Industrie 4.0? Für noch ein Internet der Dings?
Warum? Weil sich auf den alten ERP-Höfen große Kontinentalverschiebungen abzeichnen! SAPs Versuch, mit Business by Design ein Komplett-ERP in die Cloud zu verschieben, ist unter anderem am Allmachts- und Alleinvertretungsanspruch des Walldorfer Unternehmens gescheitert. Es war ein Konzept von gestern, nämlich das des monolithischen ERP-Pakets, das da in die Cloud verschoben wurde. Ganz offensichtlich war das nicht mehr attraktiv. Denn die ERP-Plattform der Zukunft ist kein Monolith, kein allumfassendes Ganzes, sondern eine Mall, in der Spezialfunktionen durch Apps abgedeckt werden.
Die alten ERP-Höfe stehen vor fünf gravierenden Herausforderungen:
- Es ist notwendig, innovative Techniken vor allem da aufzugreifen, wo eine neue „User Experience“ adressiert werden muss: Tablets und Smartphones als ERP-Endgeräte verlangen eine andere Darstellung als die guten alten Listen.
- Die Komplexität der Unterfunktionen eines ERP-Systems explodiert gerade zu. Wo heute noch ein LVS, ein Lagerverwaltungssystem, ausreicht, werden zunehmend Systeme fürs Logistic Resource Planning gefragt. Customer Relationship Management ist ein weiteres Beispiel für immer komplexere Unterabteilungen auf dem ERP-Hof.
- Damit werden die klassischen Softwarehäuser zu neuen Partnermodellen gezwungen. Ein neues Kooperations- und Wettbewerbsverhalten wird dazu führen, dass Generalisten Spezialisten auf ihre Plattform einladen, um zusätzliche Funktionalität bereitzustellen.
- Dieses Affiliate-Modell lässt sich nur durchsetzen, wenn wir unsere Lösungswelten soweit normieren, dass eine weitgehende Kombinierbarkeit ermöglicht wird. SOA ist freilich daran gescheitert.
- Die Cloud aber muss dieses Versprechen einlösen. Cloud Computing wird sich im ERP-Markt nur dann durchsetzen, wenn es gelingt, die Anwendungsintegration zwischen ERP-Plattform und zahllosen Apps zu automatisieren. Das könnte zum Beispiel eine Workflow Engine für Business Objects leisten.
Aber ob das die großen Plattformanbieter wirklich wollen? Das Ende der alten ERP-Höfe dürfte der Anfang der neuen sein. Es gibt viel zu diskutieren in einer Projektgruppe ERP. Auch 25 Jahre nachdem der Begriff ERP in die Welt gesetzt wurde.