Auf Gedeih und Erwerb

Wir haben uns an schwindelerregende Beträge – und wohl auch an durch Schwindel erregte Beträge – längst gewöhnt. Demnächst doch eher 1000 Milliarden für den Euro-Rettungsfonds? Oder demnächst 10 Milliarden Dollar für den Börsengang von Facebook? Oder doch nur zehn Euro Mindestlohn für ausgesuchte Branchen? Seit drei Jahren hält uns eine Geldmarkt-Arithmetik in Atem, die nicht immer und überall Krise genannt werden sollte, weil sie längst in eine Nachkrise-Phase übergegangen ist: der der Neubesinnung.

Nirgendwo war dies stärker zu spüren als in Davos – dem zeitwillig vom World Economy Forum zum World Egomany Forum verkommenen Weltkongress des Kapitalismus. Aber noch nie gingen von der Akropolis der Weltwirtschaft so irritierende Schwingungen aus wie in diesem Jahr: Kapitalismuskritik.

Eigentlich war es ja immer schon schick, Kritik zu üben an der Marktwirtschaft, wie wir sie leben,– um dann ans Telefon zurückzukehren und die nächsten Leerverkäufe zu tätigen. Aber jetzt, in Davos, hagelte es Kritik und Selbstkritik. Schon Barack Obamas Rede zur Lage der Nation am Vorabend von Davos, in der eine Reichensteuer von mindestens 30 Prozent zum Wahlkampfthema erhoben wurde, setzte den Ton, den danach David Rubinstein aufgriff, der das Ende der „Art Kapitalismus, die wir bisher erlebt haben“ vorhersagte. Danach ging es immer so weiter mit den Wortbeiträgen. Alternativen allerdings gab es nicht, dafür aber dann doch eine Menge Selbstbestätigung.

Negativ sei, sagte SAPs Co-Vorstand Jim Hagemann-Snabe, „ein Kapitalismus ohne Verantwortung“. Positiv dagegen sei eine Marktwirtschaft, die auf Nachhaltigkeit setzt. Das klingt trivial, ist aber trotzdem wahr. Wenn ERP-Anbieter Unternehmen mehr Effizienz und Produktivität eröffnen, dann ist das Ergebnis dieser Beratungsleistung tatsächlich nicht einfach nur mehr Profit, mehr Markt und mehr Möglichkeit. Zu den Enterprise Ressourcen gehören ebenso Rohstoffe und Energie, Maschinenkraft und Präzisionstechnik, Intelligenz und Kreativität. Und nur so kann eine Wertschöpfung erzielt werden, die alle erreicht.

Das ist wohl auch die Botschaft, die die Doppelspitze der SAP den Mitarbeitern zum 40sten Jubiläum gemailt hat. Denn dieses Jahr sei das Jahr, „in dem wir richtig Gas geben und der Welt zeigen werden, was die SAP wirklich drauf hat.“ Der Appell an die eigenen Ressourcen im Unternehmen ist wohl die richtige Antwort auf die Kapitalismuskritik von Davos: Die Selbstfindungskrise dort ist vielleicht vor allem eine Beteiligungskrise. Nachhaltigkeit fängt bei der wichtigsten Unternehmensressource an – den Menschen. Ob als Kollege oder Konsument, der Einzelne gewinnt an Bedeutung.

Das ist (nicht nur, aber eben auch) eine Folge der sozialen Netzwerke, die eine ungefragte Beteiligung von jedem an allem und jedem ermöglichen. Dass dieser Wert ungeahnte Höhen erreicht, zeigen die Prognosen für den mutmaßlichen Börsengang von Facebook, der alles bisher Dagewesene übersteigen soll. Auch das „i“ in Apples Lifestyle-Produkten steht für das Individuum, der wichtigsten Ressource, die wir kennen.

Darauf will sich auch SAP einstellen. Aus dem langweiligen Unternehmen der ersten vier Dekaden soll jetzt die schnieke, schnelle Company werden, die Menschen „für Anwendungen begeistern und ihnen das Leben erleichtern“ will. Dahinter steckt eine Erkenntnis, die uns Steven Jobs hinterlassen hat: Es gibt keine Innovationen ohne Emotionen!

So gesehen: Sind wir nicht alle ein bisschen SAPple?

Was kostet die Wolke?

Die Cloud weckt Phantasien – nicht unbedingt an der (Aktien)Börse, aber in den Einkaufsabteilungen der großen IT-Anbieter.  Dort werden die (Geld)Börsen weit geöffnet, um Vorsprung im Rennen um die beste Wachstumsposition einzukaufen. Egal, ob Marktanteile, Technologien oder Produkterweiterungen gesucht werden, immer geht es darum, Zeit zu sparen, die für Eigenentwicklungen und harmonisches Wachstum in einem schnelllebigen Markt nicht mehr zur Verfügung zu stehen scheint. Cloud-Übernahmen haben sich zu einem zuverlässigen Indikator für IT-Trends erwiesen. Nach Customer Relationship Management und Business Intelligence ist jetzt offensichtlich Human Capital der ganz große Cloud-Coup.

Wie heiß der Markt inzwischen gelaufen ist, zeigt das Ringen um SuccessFactors, für dessen Übernahme SAP nach der jetzt erfolgten Freigabe der Kartellbehörden rund 3,4 Milliarden Dollar hinlegen will. Der Kauf tut doppelt gut. Denn der Human Capital Spezialist soll nicht nur Business by Design aufhübschen, er soll auch nicht ins Oracle-Lager fallen. Mit einer Übernahme von SuccessFactors durch die Ellison-Company hatte die Branche eigentlich gerechnet. Doch SAP war offensichtlich schneller.

Jedenfalls dürfte der Kauf von RightNow durch Oracle (1,5 Milliarden Dollar)  im Oktober 2011 nur der Auftakt einer Einkaufstour im Wolkenland sein, mit dem der SAP-Rivale seine Präsenz im Cloud Computing weiter auszubauen beabsichtigt. Es würde nicht weiter überraschen, wenn sich in Redwood allmählich eine Due Dilligence-Abteilung mit den Büchern von Marc Benioffs Salesforce befassen würde. Der CRM-Spezialist wächst, was das Zeug hält – mit Sicherheit die beste Waffe gegen eine feindliche Übernahme. Im laufenden Geschäftsjahr, für das im Februar Zahlen erwartet werden, sollen gut 2,25 Milliarden Dollar zusammenkommen.

Für sein Ziel, 2013 einen Umsatz von 3 Milliarden Dollar nahezu ausschließlich aus SaaS-Gebühren und „App-Anagen“ zu erzielen, geht Benioff selbst auf Einkaufstour. Zum Jahresende übernahm Salesforce mit Rypple  einen direkten Konkurrenten von SuccessFactors. Für das Humankapital hat Salesforce gleich einen eigenen Produktbereich aufgemacht.  „SuccessForce“ klingt nicht nur wie ein Plagiat, sondern hält auch noch einen weiteren Nadelstich bereit: das Geschäft verantwortet kein geringerer als John Wookey, der bis August 2011 als Executive Vice President bei SAP ein Cloud-Dreamteam aufgebaut hat – unter anderem aus ehemaligen Oracle- und Salesforce-Mitarbeitern!

Wookey, der wie Marc Benioff seine Wurzeln bei Oracle hat, wo er zuletzt als Senior Vice President für Application Development zuständig war, dürfte sich bei Salesforce über mangelnde Arbeit nicht beklagen. Denn die Benioff-Company ist derzeit der größte Ankäufer von Cloud-Anbietern: Vor der Rypple-Übernahme verleibte sich das Unternehmen aus San Francisco schon die Consulting-Company Model Metris, den Social Media-Spezialisten Assistly, die Verschlüsselungs-Experten von Navajo-Systems, den Medien-Monitor Radian6 und die auf Echtzeitkommunikation fokussierte DimDim ein – alles Schnäppchen, über deren Preis Salesforce möglichst Stillschweigen wahrt. Alle Salesforce-Akquisitionen gehen mehr oder weniger unmittelbar in die Arrondierung des CRM-Lösungsangebots. So wurde aus DimDim beispielsweise die Plauderplattform Chatter.

Ob das reicht? Die Taschen der Cloudianer sind gut gefüllt – und die Panik, im Cloud-Gewitter abgehängt zu werden, ist groß. Die Übernahme des Video-Telefonieservices Skype durch Microsoft im vergangenen Jahr war Steve Ballmer immerhin 8,5 Milliarden Dollar wert. Und Léo Apotheker war bei HP bereit, für Autonomy zehn Milliarden Dollar hinzulegen. Was kostet die Welt?

Was macht eigentlich Larry Ellison?

Oracles sieggewohnter CEO, Larry Ellison, scheint seine bekannt markante Rhetorik in letzter Zeit eher nach innen als nach außen gerichtet zu haben: Während noch bis zum Herbst 2011 kaum ein Event in der Branche ohne einen markigen Kommentar des passionierten Firmenaufkäufers verstrich, hat sich winterliche Stille über den Großmogul der amerikanischen Software-Szene gelegt.

Freilich ist alles relativ: Hier noch eine kleine Ohrfeige für den ehemaligen Kollegen Marc Benioff von Salesforce und dort das Gerücht, das die jüngsten schwachen Zahlen des deutschen Software-Vize Software AG möglicherweise Ellisons Kaufgelüste befeuern würden. Aber sonst: Seit kurz vor Weihnachten die mit einem Wachstum von zwei Prozent für Analysten enttäuschen Quartalszahlen von Oracle gemeldet wurden, herrscht weihnachtliches Elysium.

Im Unterschied dazu meldet Erzrivale SAP jetzt sensationell gute Zahlen – das muss der Neid den Walldorfern einfach lassen. Und zu diesen Zahlen hat Oracle paradoxerweise auch noch beigetragen…

Es ist schon anerkennenswert, wenn man in schwierigen konjunkturellen Zeiten und angesichts eines Paradigmenwechsels von „Ground“ zu „Cloud“ für das zurückliegende Geschäftsjahr vorläufige Umsatzzahlen von 14,23 Milliarden Euro ausweisen kann. Auf knapp vier Milliarden Euro  belaufen sich dabei die reinen Softwareerlöse. Die Marge von 39,6 Prozent wird unter anderem auch deshalb erreicht, weil dreistellige Millionen-Rücklagen frei wurden. Nachdem zu erwarten ist, dass die Strafzahlungen an Oracle nicht mehr die Größenordnung erreichen, die noch vor einem Jahr auf dem Richtertisch lagen, sieht die Lage wieder rosig aus. Damals war SAP zum Übernahmekandidaten Nummer Eins – auch für Oracle – ernannt worden. Jetzt wird SAP wieder eher zum Käufer.

Zum Beispiel für den Anbieter von Schulungssoftware, datango AG. Gleichzeitig wird der Kauf des US-Unternehmens Successfactors für 3,4 Milliarden Dollar abgeschlossen. Und schließlich bleiben Gerüchte bestehen, wonach die mit enttäuschenden Zahlen aufwartende Software AG auf der Watchlist der Walldorfer stehen soll. Gerüchte vom Zusammengehen der Nummer Eins und Zwei in Deutschland hat schon seit Jahrzehnten die Träume von einer Großsoftwareschmiede aus Deutschland beflügelt. Sie werden mit jedem wackeligen Quartalsbericht neu beflügelt.

Doch SAPs Berichtsinhalte sind derzeit alles andere als wackelig. Sowohl das Mobilgeschäft als auch die neue InMemorsy-Datenbank (160 Millionen Euro Umsatz) und natürlich die Cloud-Computing-Aktivitäten lassen die Analysten hoffen. Während Oracle 2011 und vor allem im Gefolge des Rechtsstreits um TomorrowNow große Sprüche markierte, hat die Doppelspitze bei SAP offensichtlich einfach nur Fakten geschaffen.

Dabei fragte man sich die ganze Zeit: Was machen eigentlich Bill McDermott und Jim Hagemann-Snabe? Jetzt wissen wir es: ihre Arbeit.

Äwwer Kaffee koche künne kann se jot

Die Produktpräsentationen auf der CES in Las Vegas gehen dieses Jahr praktisch nahtlos über in die Prunksitzungen beim Carneval in Köln. Deshalb schnell zurück aus dem Spielparadies in die Spaßhochburg.

Mit im Gepäck sind die neuesten Schimären aus den Werkstätten der Produktentwickler, die sich immer weiter auf dem großen Konvergenz-Tripp zwischen E- und U-Elektronik voran wagen. Dass Telefonieren inzwischen so ziemlich die unspannendste Funktion von SmartPhones ist, fällt ja schon kaum noch auf. Und dass der Fernseher zum universellen Medienzentrum für Videos aller Kanäle – Sender, YouTube, Eigenproduktion – sein werden, wird uns auch nicht unbedingt erst seit dieser CES eingetrichtert. Auch der scheinbar paradoxe Trend, das SmartTVs gleichzeitig flacher werden können und 3D-Funktionen bieten, ist uns schon gut geläufig. Bleibt dem Chronisten allenfalls die Ankunft der OLED-Technologie (Organische Leuchtdioden), die mit dem 55-Zoll-Bildschirm von LG auch gleich den „Best of CES“-Award absahnte. Kleiner Hausfrauentipp: Wer größere Präsentationsflächen will, muss die OLEDs einfach nur gießen!

Bemerkenswert ist es schon, dass inzwischen auch die Autobauer ihre Karossen zwischen die Racks der Computerbauer schieben – und man weiß nicht mehr auf den ersten Blick, in welchem Teil eigentlich mehr Rechenpower, mehr Webfähigkeit und mehr Systemsteuerung steckt.

Audi stellte sein neues A3-Cockpit aus, in dem ein kleiner Touchscreen die Steuerung des Multimedia- und Navigationssystems erleichtern soll. Das ganze Auto wird ab März durch einen 1,2 Gigahertz Dual-Core-Prozessor gesteuert. Daimler experimentiert nicht nur mit einem umfassend kommunizierenden Fahrzeug, das nicht nur den Fahrer, sondern auch sonstige Verkehrsteilnehmer in seinen Chat einbezieht. Auch die neue Display-Technik, mit der Informationen direkt auf die Windschutzscheibe projiziert werden, zeigt Daimler-Vorstand Dieter Zetsche.

Und KIA, nicht unbedingt für die Luxusklasse bekannt, hat zusammen mit Microsoft einen totalen App-Overkill bereitgestellt: Das Auto meldet per SMS seine Position, wenn es aus dem zuvor definierten Gebiet herausgesteuert wird. Der Fluchtversuch mit der lapidaren Erklärung, „Ich geh mal eben Zigaretten holen“, klappt also auch nicht mehr so reibungslos.

Auf die Macht der sozialen Medien setzt Don Rich, der ein landesweites Radarfallenwarnsystem aufbauen will. Ford hingegen werkelt an einem Pollenflugwarnsystem, das seine Informationen ebenfalls über Social Networks sammelt und verbreitet. Eine Kombination beider Planungen würde vielleicht die Renaissance des wunderbaren Ford Escort ermöglichen – natürlich im Retro-Look.

Auch die weiße Ware ist hier auf der CES vertreten: Kühlschränke mit integriertem Einkaufszettel sind ja schon genau so ein alter Hut wie Backautomaten, die sich die günstigsten Stromtarife aussuchen. Aber was wir nach wie vor schmerzlich vermissen, ist das ultimative Smart-Social-Touch-App-Phone-Audio-Navi-Home-Video-Sky-Fridge-Espresso-Latte-Mobile – mit dem wir Lotti Krekel bei der nächsten Kölner Prunksitzung beeindrucken können: Äwwer Kaffee koche künne kann se jot!