Mehr Jobs für alle

Die Nachricht vom bevorstehenden Abschied hat die ganze Szene in Verzweiflung gestürzt. Nach 35 Jahren soll nun also Schluss sein. Die bayerische Kult- und Anarchoband „Biermösl Blosn“ ist nicht mehr. Die Brüder Well aus Günzlhofen nahe dem namengebenden Biermoos verabschieden sich von ihren Fans. Kann es nach den Biermösl Blosn überhaupt noch politisch inspirierte Volksmusik geben?

Die Nachricht traf umso härter, als einen Tag zuvor auch Steve Jobs seinen Abschied nahm. Und seit dem läuft die Medien- und IT-Welt gaga. Die Financial Times Deutschland änderte ihr Layout, aber nicht etwa für einen Abschiedsbrief an den charismatischen Apple-Chef, sondern um in einem offenen Brief an dessen designierten Nachfolger („Sorry, Mr. Cook“) klar zum Ausdruck zu bringen: Du wirst es nicht bringen. Du hast es nicht drauf. Das ist ein Job für Jobs und sonst niemand.

Auch das öffentlich-rechtliche Nachrichtenwesen geriet aus der Peilung. Der lifestyle-orientierte SWR brachte die Jobs-Meldung als Top-News, danach folgte die Einschätzung des Magazins Forbes, dass Angela Merkel die mächtigste Frau der Welt sei, und danach kam noch irgendwas mit Libyen.

Ja, glauben wir denn wirklich allen Ernstes, dass Apple ohne Jobs den Bach runtergeht? Dass jetzt die Zeit der iDeen vorbei ist? Wenn Jobs wirklich der Jahrhundertunternehmer ist, den die Medien ihm jetzt zuschreiben, wie kann er dann einen solchen Anfängerfehler machen und angesichts seiner Krankheit keinen geeigneten Nachfolger aufgebaut haben. Hat er aber.

Unternehmenslenker prägen ihre Firma und den Markt, für den sie arbeitet. Aber sie sind nicht unersetzlich. Wie geradezu austauschbar dieser Posten bei aller Prägung und Prägnanz sein kann, beweist insbesondere Hewlett-Packard, das mit äußerst charismatischen und richtungsweisenden Konzernchefs seit einem Jahrzehnt die Branche in Aufregung oder zumindest in Amüsement hält. Carly Fiorina schmiedete den größten PC-Hersteller, Mark Hurd baute den umfassenden Hardware-Konzern und Léo Apotheker macht in Software.

Keiner von diesen hat jene geradezu messianischen Salbungen erhalten, die jetzt Steve Jobs zugeschrieben werden. Und doch haben sie ihre Zeit geprägt und prägen sie noch. Denn der Unverzichtbarkeitsmythos ist kurzlebiger als man in der Sekunde des Abschieds zu glauben meint. Microsoft ohne Bill Gates? IBM ohne Thomas J. Watson? Google ohne Eric Schmidt? Geht doch, oder? Oracle ohne Larry Ellison wird auch gehen.

Und doch brauchen wir diese charismatischen Firmenlenker, die mit dem arroganten Allmachtsanspruch nicht dem Markt den nächsten Trend von den Lippen lesen, sondern soufflieren. Wir brauchen aber nicht einen Steve Jobs für immer, sondern viele Jobs für alle. Wir brauchen mehr Spitzenmanager mit dem Willen zum Gestalten – und nicht Gestalten mit dem Willen zur Konzernspitze. Wir sollten nicht dem einen nachweinen, sondern die anderen aufbauen.

Dies soll die Lebensleistung von Steve Jobs nicht schmälern. Vom iMac bis zum iPad hat er zwei Generationen ihre Identifikationstechnologie geschenkt. Sein souveräner Abschied angesichts einer seriösen Erkrankung reißt ihn nicht aus unserer Mitte. Er verlässt das Hamsterrad des Erfolgs aus eigenen Stücken, ehe er hinausgeschleudert werden kann. Das ist die wahrhaft charismatische Leistung.

Oder wie schon die Well-Brüder in ihrem Fensterln-Lied „Window 98“ hellsichtig stabreimten: „Aus! Apple! Amen!“

Kampf in den Wolken

Wir kennen das aus Actionfilmen: Der Kampf in den Wolken verlangt Flugmanöver voller Finten und Finessen. Den Immelmann zum Beispiel, der einen halben Looping mit einer halben Schraube kombiniert und so die schnelle Richtungsänderung ohne Tempoverlust erlaubt. Muss man schon drauf haben, wenn man den Gegner in den Wolken abhängen will. Aber Vorsicht: Man kann bei diesem Manöver ganz schnell an Höhe verlieren…

Léo Apotheker hat mit zwei halben Kursmanövern einen Immelmann für HP versucht. Die Ankündigung, eventuell das PC-Geschäft abzustoßen (halber Loop), verbunden mit der Ankündigung, das britische Softwarehaus Autonomy zu schlucken (halbe Schraube) hat Analysen schockiert. Die HP-Aktie verlor brutal an Höhe, der neue Kurs – raus aus dem Consumer-Markt, rein ins Enterprise-Business – ist gefährdet.

Motorola hatte schon zum Jahresbeginn seine Flugformation aufgelöst und die eine Staffel auf Comsumer-Absch(l)üsse (Motorola Mobility), die andere auf Enterprise-Ziele (Motorola Solutions) ausgerichtet. Das gewagte und schon 2008 diskutierte Manöver kam offensichtlich zu spät: Google hat Motorolas Consumer-Staffel mit einem Flächenabwurf von 12 Milliarden Dollar noch in der Startphase erwischt und reiche Beute gemacht: 17000 Patente. Die Zukunft der Enterprise-Staffel ist nun ebenfalls ungewiss.

Dabei ist es ganz richtig, vor schwierigen Flugfiguren erst einmal ordentlich Ballast abzuwerfen. IBM hat dies längst getan, als es sein PC-Geschäft ausklinkte und seitdem in der Enterprise-Stratosphäre seine Kreise zieht. Die PC-Staffeln haben längst ihre Schubkraft für die Bilanzen eingebüßt, wie Microsoft jetzt schmerzlich im Windows-Markt spürt: Im zweiten Quartal des Jahres wurden 43 Prozent aller Smartphones mit Googles Android ausgestattet, 61 Prozent aller TabletPCs kommen von Apple. Und Windows 8 liegt noch flugunfähig im Hangar. Microsoft steckt im Zweifronten-Krieg zwischen Consumer-Markt und Enterprise-Business.

Und genau aus diesem Dilemma will Léo Apotheker jetzt seine Company mit der Immelmann-Kurve befreien: Raus aus dem Consumer-Markt, der längst zwischen Google, Apple und Microsoft aufgeteilt sein dürfte. Dafür aber rein ins Business-Segment, wo IBM, Oracle und Microsoft schon sind. Für diesen Kampf der Giganten ist „HP-minus-PC-plus-EnterpiseSearch“ aber eigentlich zu schwach – denn für die Lufthoheit im obersten Marktsegment braucht es mehr als Prozessoren, Speicher, Betriebssysteme, Services und Systemmanagement. Dem HP-Geschwader fehlt eine eigene Datenbank ebenso wie ein BI-/ und Reporting-Werkzeug zur Luftaufklärung. Eine eigene Anwendungs-Suite wird ebenso vermisst wie die Middleware zur Anwendungsintegration.

All dies hat SAP – haben Apothekers alte Kampfgefährten! Deren Führungsstab will gerade vom Boden der OnPremise-Lösungen abheben, um über ByDesign in die Wolken aufzusteigen. Dabei sollen Apps für den mobilen Entrepreneur für die nötige Wendigkeit beim Instrumentenflug sorgen. Doch auf lange Sicht fehlen SAP die globalen Stützpunkte mit jener Infrastruktur, die heute HPs Stärke ausmachen.

Es wäre nicht überraschend, wenn sich demnächst über den Wolken neue Allianzen auftun. Die Freiheit dazu ist jedenfalls grenzenlos. Deshalb muss HPs Kurs schnell wieder an Höhe gewinnen. Sonst droht die Bruchlandung, der Crash.

Urbi @ Orbi

In Bloggerkreisen kursiert ein Satire-Blog, demzufolge Papst Benedikt XVI. in seiner aktuellen Enzyklika den Gebrauch von Virenschutz oder Firewalls beim Datenverkehr untersagt. Das göttliche Geschenk des Going Life, das sich beim Einnisten der Malware im Computerus vollzieht, werde ansonsten ausgeschlagen, der Akt des hacksuellen Internet-Kurses werde zum Freizeitvergnügen ohne Reue. Erst lacht man, dann aber wird man nachdenklich.

Allgemein  werden Viren, Würmer und sonstiges Software-Ungeziefer als Ausgeburt einer Entwicklung angesehen, in der die Zivilisation eine Computerdichte von einem Chip pro Quadratmeter überschritten hat. Doch nicht, weil es das Internet gibt, können die Erreger jeden Ort (urbs) auf dem ganzen Weltkreis (orbis) befallen, sondern weil die Endgeräte mitunter smarter sind als ihre Benutzer.

Nun, der erste richtig große Virus – Elk Cloner aus dem Jahr 1981 (also vor 30 Jahren) – verbreitete sich über Floppys, jenen biegsamen 51/4 Zoll-Disketten, über die Software distribuiert wurde. Während Elk die spielwütigen Apple-Anwender drangsalierte, fuchste fünf Jahre später der Virus namens Brain raubkopierende Windows-User – und wieder war die Floppy der Ort der Kontaminierung. Und der letzte Welterfolg der Malware – Stuxnet – verbreitete sich über den USB-Port auf PCs und Server.

Es ist keineswegs das Medium, das die Epidemie befördert, sondern die Fahrlässigkeit im Umgang mit unserer Umwelt. Zum Höhepunkt des EHEC-Ausbruchs hatte das Robert-Koch-Institut einen absoluten Geheimtipp zur Vorbeugung einer Ansteckung parat: Hände waschen! Auch Krankenhausärzten muss man, wie jüngste Studien zur Hygienesituation in Kliniken belegen, immer wieder hinter die Ohren schreiben, dass Sauberkeit keine Königsdisziplin, sondern eine Bürgerpflicht ist. Das gleiche gilt für Smartphone-Besitzer und Internet-User: safer hacks, sauber surfen!

Denn wir machen uns etwas vor, wenn wir die virale Verbreitung von Schädlingen oder Schadhaftem als technische Herausforderung abtun. Gerade jetzt, wo Google+ das gesamte Internet mit „+1-Buttons“ überzieht, wo schon Facebooks „Gefällt mir“-Schalter die Weblandschaft verschandeln, zeigt sich, dass der virale Befall eher ein gesellschaftliches Problem ist. Ob Aufmerksamkeitserreger (“Like it“) oder Krankheitserreger – wenn alle massenhaft das gleiche tun, begünstigt das nicht nur die Verbreitung von Schädlingen, sondern auch von – Langeweile, Belanglosigkeit, Beliebigkeit.

Die CeBIT will, wie man hört, dem Thema Sicherheit mehr Platz einräumen. Zwar dürften dabei vor allem technische Lösungen für Server-Farmen, Cloud-Rechenzentren und IT-Departments im Mittelpunkt stehen. Die CeBIT wäre aber gut beraten, den gesellschaftlichen Aspekt der viralen Belagerung zu würdigen: Nicht nur kriecht nach wie vor eine große Zahl von Viren und Würmer durch den USB-Port auf die Festplatten. Auch der Reflex, alles und jedes anzuklicken, zu öffnen, zu kopieren oder zu kommentieren – führt zur viralen Belastung der Web-Umwelt. Eine allgemeine Hygiene-Verordnung „für jedermann und überall“ wäre da sicher keine falsche Maßnahme. Innenminister und Verbraucherminister in einer konzertierten Aktion mit dem Papst (der wie, wie es heißt, den Geist der Erkenntnis senden will). Der Gesundheitsminister kommt auch, denn schließlich gibt es gegen den Klick-Infekt doch auch etwas von Ratiopharm. Oder sind wir bereits unheilbar erkrankt? Hier und überall – urbi et orbi?

Vermummungsverbot 2.0

Ich bin nicht Stiller. Ich bin Bonn – und das ist mein Blog. Und die Meinung, die hier vertreten wird, ist meine Meinung – die ich mit anderen teile oder zumindest anderen mitteile (was nicht unbedingt das gleiche ist). Ich flüchte dazu nicht in die Anonymität, sondern – im Gegenteil – suche die Öffentlichkeit. Ich betrachte es als Privileg, erkannt und gekannt zu werden. Ich kann aber die Gedanken derjenigen nachvollziehen, die die Anonymität als Privileg suchen. Sie möchte Innenminister Hans-Peter Friedrich dann ans Licht der Öffentlichkeit zerren, wenn deren Meinungsäußerung nicht dem Mainstream entspricht. Nur: Wer entscheidet darüber, was Mainstream ist und was nicht?

Viele, die den Mut fassen möchten, sich öffentlich zu äußern, suchen dazu den Schutz der Anonymität. Angestellte zum Beispiel, die auf einer Gewerkschaftskundgebung für ihre Rechte und Forderungen einstehen wollen, später aber Repressalien ihrer Arbeitgeber fürchten. Oder Bürgerrechtler, die sich vor rechten Verfolgungen fürchten, wenn ihr Bild oder ihr Name an die Öffentlichkeit gerät. Oder erinnern wir uns an die erste Homo-Demo, die nur möglich wurde, weil die Teilnehmer sich vermummt hatten. Ist, wer im Kölner Karneval mit einer Clownsmaske auf „jeck jebrasselt“ ist, auch schon gleich in die Anonymität gewährende Vermummung geflüchtet?

Die Beispiele sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern entstammen der anhaltenden Diskussion um das Vermummungsverbot, das das Versammlungsrecht eingrenzt. Ziel des in Deutschland 1985 verabschiedeten Verbots ist es, die Verfolgung von während Demonstrationen begangenen Straftaten zu erleichtern. Der Aufruf zu Straftaten oder die Schaffung einer argumentativen Grundlage für Straftaten soll jetzt auch nach den Vorstellungen von Innenminister Hans-Peter Friedrich aus der Anonymität gerissen werden. Sein Vermummungsverbot für das Internet sieht vor, dass anonym geäußerte Meinungen im Internet gelöscht werden.

Das ist technisch und moralisch so fragwürdig wie der Internet-Alarmknopf, den Kriminalbeamte nach den Anschlägen von Oslo forderten und der wohl eher dem internationalen Denunziantentum als der globalen Verbrechensbekämpfung gedient haben würde. Dass der Innenminister ein „Offenes Visier“ in der Debatte fordert, ist schon sprachlich eine Meisterleistung, denn das Visier dient im Sport und diente im Kampf dazu, sehen zu können, während zu erwartende Schläge abgewehrt werden. Die Vermummung dient hingegen dem „Nicht-gesehen-Werden“ – unabhängig davon, ob man Schläge austeilt oder einzustecken befürchtet.

„Das Internet ist für so viele Menschen so wichtig geworden,  dass aus dem World Wide Web nicht der Wilde Wilde Westen wird“, hatte unlängst FBI-Direktor Steven Chabinsky als Antwort auf die jüngsten Hacker-Angriff auf US-Einrichtungen und Unternehmen geäußert – und prompt eine Replik von „Anonymous“, der für die Taten verantwortlich gemachten Hacker-Gruppe, erhalten: „Ich möchte Sie fragen, guter Mann, wann war das Internet nicht der Wilde Westen? Glauben Sie wirklich, Sie hätten auch nur die geringste Kontrolle darüber?“

Dass Innenminister Friedrich nunmehr eine ähnliche gelagerte Widerspruchswelle aus der Netzgemeinde erfährt, kann nicht nur nicht überraschen, sondern war (von ihm) erwartet worden. Dabei hat er inzwischen selbst auf die Kritik (auch auf anonyme) reagiert und seinen Sprecher dementieren lassen, im Innenministerium würden entsprechende Gesetzesinitiativen vorbereitet. Leider gibt es aber auch keine Toleranz-Initiative aus dem Innenministerium, die ein gesellschaftliches Umfeld schaffen könnte, dass den Wunsch nach Anonymität obsolet machte.