Cloud vs. Covid

Während sich die Menschheit Mobilitätsbeschränkungen auferlegt, können Daten uneingeschränkt rund um den Globus navigieren. Zumindest theoretisch. Praktisch aber gibt es auch dort Mobilitätsbeschränkungen, wie die Erfahrung der jüngsten Tage zeigt. Denn nahezu alle großen Cloud-Anbieter stoßen derzeit an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Denn immer mehr Unternehmen suchen ihr Heil gegen Covid-19 in der Cloud. Plötzlich weist Corona den Weg in die Digitalisierung.

Zwar liegen aktuelle Zahlen über die Cloud-Nutzung im aktuellen Quartal naturgemäß noch nicht vor, aber die Umsätze aus dem letzten Quartal weisen erneut massiv nach oben. Weltweit wurden in den letzten drei Monaten des Jahres 2019 rund 30,2 Milliarden Dollar für Infrastructure as a Service ausgegeben, heißt es in der Canalys Cloud Channels Analyse, die unverändert Amazon Web Services mit 32,4 Prozent Anteil als klaren Marktführer identifiziert. Allerdings wachsen die Verfolger schneller.

Denn während die 9,8 Milliarden Dollar Umsatz für AWS einer Zunahme von 33,2 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum entsprechen, hat Microsoft fast doppelt so schnell – nämlich um 62,3 Prozent – zugelegt und bei einem Umsatz von 5,3 Milliarden Dollar einen Marktanteil von 17,6 Prozent erlangt. Noch schneller wachsen Google Cloud (67,6 Prozent) und Alibaba Cloud (71,8 Prozent) bei allerdings deutlich geringeren Quartalsumsätzen unter zwei Milliarden Dollar.

Das dürfte sich im ersten Corona-Quartal weiter beschleunigen. Bei Collaboration-Angeboten wie Microsoft Teams oder Slack gehen derzeit Anfragen nach Millionen von Lizenzen ein. Cloud-Services wie Amazon Web Services und Microsoft Azure sind so stark ausgelastet, dass Kunden zwischenzeitlich keine zusätzlichen Virtual Machines starten konnten. Der Hunger nach Datenleitungen ist bereits so hoch, dass Anbieter von Video-Konferenzen angekündigt haben, die Auflösung der Videobilder zu senken, um mit dem Konferenz-Verkehr mithalten zu können. Auch Netflix will die Auflösung seiner Streams reduzieren, weil so viele Daheimgebliebene jetzt auf Entertainment setzen.

In der Tat: Cloud-Computing ist zum unbestrittenen Impfstoff gegen die Corona-Folgen in der Weltwirtschaft geworden. Wie sehr sich Services aus der Cloud jetzt als Retter in der Not erweisen, macht schon allein die Tatsache deutlich, dass der mehrere hundert Milliarden schwere Rettungsschirm der Bundesregierung an der Cloud-Infrastruktur der öffentlichen Hand hängt. Die Investitionsbank Berlin hat schon gewarnt, dass die eigenen Server angesichts der Nachfrage überlastet sind. Und auch das noch: Lieferdienste stellen die Zustellung von Toilettenpapier ein, weil sie im eigenen Logistikzentrum mit dem Datenvolumen der Bestellungen nicht mehr klar kommen.

Plötzlich taucht die alte Debatte über Netzneutralität wieder auf. Denn wenn Organisationen für den Ersthilfeeinsatz wie Feuerwehr und Rettungsdienste oder Regierungsorganisationen priorisierte Datenströme genießen, um die Sicherheit aufrechterhalten zu können, ist es nur noch ein Schritt bis zur bezahlten Besserstellung im Netz. Auf der Strecke dürften dabei diejenigen bleiben, die in der Umsetzung der digitalen Transformation ihrer Geschäftsprozesse schon jetzt abgeschlagen zurückliegen. Hier rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit.

Aber tatsächlich suchen kleine und mittlere Unternehmen jetzt händeringend nach Unterstützung, um ihre Bürokräfte ins Home Office zu schicken. Nach einer aktuellen Befragung erkennen jetzt 80 Prozent der Kleinunternehmen einen eklatanten Mangel an Digital-Knowhow in den eigenen Reihen. Sie sehen sich einer doppelten Bedrohung gegenüber: Sie müssen sich gegen die Auswirkungen von Covid-19 wappnen und finden keinen Zugang in die Cloud. Es hat den Anschein, dass wir nicht nur Krankenhäuser mit Notfallbetten und Beatmungssystemen brauchen, sondern auch Service-Rechenzentren mit schier unbegrenzten Kapazitäten.

Die Nachfrage nach Cloud-Services wird auch dann nicht nachlassen, wenn sich die Menschheit wieder frei bewegen darf. Nichts wird nach der Corona-Krise mehr so sein wie es war – nicht einmal in Digitalien.

Gesunder Menschenverstand und künstliche Intelligenz

Außerhalb der Neujahrsansprache haben die deutschen Bundeskanzler nur in Ausnahmefällen zum Mittel der Fernsehansprache gegriffen. Konrad Adenauer tat dies 1962 anlässlich des Besuchs von John F. Kennedy, Helmut Schmidt zeigte 1977 nach der Entführung von Arbeitgeber-Präsident Hanns-Martin Schleyer klare Kante, Hellmut Kohl würdigte 1990 die Wiedervereinigung und Gerhard Schröder erklärte 2003 sein Nein zum Irak-Krieg. Jetzt, 17 Jahre nach der letzten Fernsehansprache, griff Bundeskanzlerin Angela Merkel zu diesem Mittel, um an den gesunden Menschenverstand der Deutschen zu appellieren. In dieser größten Krise seit dem zweiten Weltkrieg – also seit einem Dreivierteljahrhundert – müsse jeder Verantwortung zeigen und möglichst zu Hause bleiben.

Sollte der Appell an den gesunden Menschenverstand nicht wirken, bleiben nur noch rigide staatliche Eingriffe in die persönliche Freiheit: Ausgangsperre, harte Strafen, Überwachung. Schon jetzt bröckeln die Widerstände gegen digitale Durchgriffe. Seit letzter Woche stellt die Deutsche Telekom dem staatlichen Robert-Koch-Institut Millionen Bewegungsdaten von Handy-Benutzern zur Verfügung. Zwar sind die Daten anonymisiert und gruppiert, so dass eine Rückverfolgung auf einzelne Personen unmöglich ist. Zwar beziehen sich die Profile auf die grobmaschigen Zellen im mobilen Netz, so dass eine genaue Identifizierung des tatsächlichen Aufenthaltsorts nur näherungsweise möglich ist. Aber mit dieser Maßnahme wurde eine Leitplanke im Datenschutz überwunden. Das sei „in der gewählten Form datenschutzrechtlich unbedenklich“, urteilte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber und ergänzte: „Vor allem unter den aktuellen Umständen spricht nichts gegen die Weitergabe dieser Daten zum Zwecke des Gesundheitsschutzes.“

Die Logik ist einfach: Wenn der gesunde Menschenverstand nicht ausreicht, muss digital nachgeholfen werden. Das Robert-Koch-Institut arbeitet offenbar selbst an einer App, mit der Bewegungsmuster genauer – und zwar auf der Basis der GPS-Daten – erfasst werden können. Das ist alles noch weit von den rigiden Methoden entfernt, die zunächst in China, jetzt aber auch in Israel genutzt werden. Dort wird auf personenbezogene Informationen zurückgegriffen, um jeden Einzelnen tracken zu können. Aus deutscher Sicht wäre dies gleich ein doppelter Eingriff in die Privatsphäre.

Und umgekehrt erkennen viele Unternehmen jetzt, dass sie ihre Bürokräfte gar nicht ins Home Office entlassen können, weil sie weder organisatorisch, noch technisch auf Remote-Zugriffe vorbereitet sind. Jetzt bestellen sie zu Hunderttausenden Lizenzen für Cloud und Collaboration. Anbieter wie die Deutsche Telekom, Amazon, Microsoft, Cisco oder IBM kommen dem Vernehmen nach nicht mehr nach. Jetzt rächt sich der langjährige Schlendrian bei der Umsetzung von Digitalisierungsstrategien. Ja, es zeigt sich sogar, dass allzu viele deutsche Unternehmen hinter der Digitalisierung noch weiter zurückhängen als bislang befürchtet. Aber die Angst vor dem Jobkiller Digitalisierung war bislang stärker als der gesunde Menschenverstand. Jetzt behindern mangelnde digitale Infrastrukturen den Versuch, die Zahl weiterer Infektionen zu verringern.

Dabei ist Digitalisierung und vor allem künstliche Intelligenz alles andere als ein Jobkiller – im Gegenteil: sie retten Leben! Dafür gibt es zahllose Beispiele:

Bereits am 31. Dezember 2019 hatte die kanadische Gesundheitsplattform BlueDot vor Viren unbekannter Herkunft gewarnt, ohne deren biologischen Ursprung zu kennen. Das Tool wertete Nachrichten, wissenschaftliche Netzwerke und Meldungen offizieller Stellen aus. Anhand dieser Quellen wurde die Empfehlung abgeleitet, Wuhan weiträumig zu meiden – zu einem Zeitpunkt, als noch nicht von einer Quarantäne die Rede war. Mehr noch: Weil das KI-Tool Flugdaten auswertete, sagte BlueDot voraus, dass das Virus in den Tagen nach seinem ersten Auftreten nach Bangkok, Seoul, Taipeh und Tokio gelangen würde. Und genau das trat bald darauf ein.

Jetzt arbeiten Unternehmen wie die Tübinger CureVac AG an der Suche nach einem Impfstoff gegen COVID-19. Sie brauchen dazu nicht das Virus selbst, sondern lediglich seinen Bauplan. Bei der dafür nötigen Sequenzierung fand man nicht nur heraus, dass COVID -19 aller Wahrscheinlichkeit nach von Schlangen und Fledermäusen stammen. Sie identifizierten auch eine Protease, die dafür verantwortlich ist, dass das Virus überhaupt auf den Menschen übertragen werden kann. Jetzt wird mit hunderten Molekül-Kandidaten am Computer deren hemmende Wirkung auf die Protease simuliert – und KI-Algorithmen optimieren diesen Prozess.

In den USA arbeiten mehrere Initiativen, darunter die Chan Zuckerberg Initiative, Microsoft Research und die National Library of Medicine, an einer KI-Lösung, die die jetzt publizierten Tausende von Corona-Studien durchforstet und die Erkenntnisse zusammenfasst.

Künstliche Intelligenz wird unseren Kampf gegen das Coronavirus weiter begleiten – überall dort, wo menschliche Erkenntnisfähigkeit nicht ausreicht. Und wir werden KI überall dort einsetzen müssen, wo der gesunde Menschenverstand versagt. Die Corona-Krise rückt unsere Prioritäten zurecht. KI ist – um mit Olaf Scholz zu sprechen – die Bazooka gegen das Virus. Sie zu nutzen, ist eine Frage der Vernunft, nicht der Verzweiflung.

Hoppla, wir werden regiert!

Anfang März sah alles noch so aus, als würde nicht einmal das Coronavirus die Bundesregierung aus ihrer Lethargie locken können. Der Koalitionsausschuss kreißte und heraus kam ein Paket, das eher einer Ideensammlung über zukünftige Langfristmaßnahmen glich, als einem Aktionsplan zur Eindämmung einer Pandemie und deren wirtschaftlichen Folgen. Der BDI reagierte entsprechend verschnupft und legte seine Vorstellung von einem Maßnahmenkatalog vor, der vor allem angesichts gekappter Lieferketten, einbrechender Umsätze und unter Quarantäne gesetzter Belegschaften gefährdeten Unternehmen unter die Arme greifen sollte.

Dann tagten Mitte der Woche die Ministerpräsidenten, die schließlich nach einer Marathonsitzung der Bundeskanzlerin weniger ihre Beschlüsse als vielmehr ihre Sorgen vortrugen. Und seit Freitag, dem 13. wird in Deutschland wieder regiert!

Den Anfang machten Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Bundesfinanzminister Olaf Scholz, die eine nach oben offene Kreditzusage für praktisch alle Unternehmen aus Industrie, Handwerk und Dienstleistung bis zu einer Umsatzgröße von zwei Milliarden Euro zusagten. Jetzt werde geklotzt und nicht gekleckert. Und in der Tat: zwischenzeitlich war von einem Volumen von rund 500 Milliarden Euro die Rede – danach verzichtete man sogar auf die Nennung einer Obergrenze.

Dann kam die Kanzlerin, nannte die Herausforderung die wahrscheinlich größte seit Bestehen der Bundesrepublik und stimmte die Bevölkerung auf Solidität und Solidarität ein. Der Bundestag peitschte die Neuregelung des Kurzarbeitergelds in drei Lesungen an einem Sitzungstag durch. Schließlich folgten die Ministerpräsidenten und verkündeten nach und nach Schul- und Kitaschließungen, Mobilitätseinschränkungen und Veranstaltungsverbote. Bis zum Sonntag hatten alle 16 Länder nachgezogen – ein beispielloses Vorkommnis in einer föderalen Republik, die die Entscheidungshoheit der Länder oftmals wider besseres Wissen hochhält. Die ungewohnte Einigkeit zeigt deutlich: hoppla, wir werden regiert!

Auch wenn noch nicht geklärt ist, wo und unter welchen Regeln Unternehmen an Überbrückungshilfen kommen können – dass sie sie in absehbarer Zeit beanspruchen müssen, scheint sicher. Gastronomen, Hoteliers und Veranstalter werden unmittelbar von den Einschränkungen getroffen. Logistikunternehmen wie die Lufthansa, Fraport oder der Hamburger Hafen spüren schon jetzt die Verlangsamung der Weltwirtschaft. Allein die 1000 größten globalen Unternehmen verfügen über zusammengenommen 12000 Niederlassungen – Produktionsstätten, Logistikzentren oder Büros – in zur Zeit aus Quarantänegründen abgeriegelten Regionen in China und Italien. Und der überwiegende Teil der Unternehmen kennt noch nicht einmal die Lieferanten der Lieferanten, mit denen er keine direkten Vertragsbeziehungen pflegt. Notfallpläne für den Fall, das wichtige Komponentenhersteller ausfallen, sind in kaum einem Unternehmen vorhanden. Logistikketten sind immer noch das: lineare Ketten ohne Ausweichmöglichkeiten.

Wie unvorbereitet das Coronavirus viele Unternehmen trifft, zeigt sich aktuell auch beim Umgang mit eingeschränkter Mobilität. Videoequipment für Telekonferenzen fehlen in vielen Unternehmen ebenso wie Organisationsmodelle für Homeworking. Und auch Lösungen für Collaboration haben nur einen geringen Durchdingungsgrad. Jetzt rächt sich, dass vor allem der Mittelstand in den letzten Jahren kaum in Digitalisierungsprojekte investiert hat.

Da könnte die Krise durchaus zum Ausgangspunkt für einen Bewusstseinswandel avancieren. Denn in Zeiten, wo bestehende Geschäftsprozesse über den Haufen geworfen werden, weil Logistikketten überdacht und die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern neu organisiert werden müssen, ist die Krise auch eine Chance für die digitale Erneuerung. Dann wird nicht nur regiert, sondern auch reagiert.

 

Ein Quantum Trust

Erinnern Sie sich noch an Cambridge Analytica? Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 nutzte das Unternehmen Informationen aus 85 Millionen Facebook-Profilen, um die Stimmung in den sogenannten Swing-States – den US-Bundesstaaten mit unsicherem Wahlausgang – zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen. „Wir bombardierten sie über Blogs, Webseiten, Artikel, Videos, Anzeigen – jede Plattform, die zur Verfügung stand –, bis sie die Welt so sahen, wie wir es wollten.“ Die Aussage der Ex-Mitarbeiterin Britanny Kaiser – wiedergegeben in der großen Netflix-Doku „Cambridge Analyticas großer Hack“ – wirkt noch immer verstörend und wirft schon jetzt ein düsteres Bild auf die bevorstehenden Wahlen. Dabei ist der Einfluss, den die KI- und Social-Media-Experten von Cambridge Analytica tatsächlich hatten, kaum belegt.

Und doch ist der Schaden groß – vor allem für Facebook. Im Vorfeld des Präsidentschaftswahlkrampfs hat das US-Magazin The Verge eine Umfrage aus dem Jahr 2016 neu aufgelegt und eine repräsentative Gruppe von US-Amerikanern nach dem Grad ihres Vertrauens in die großen Internet-Konzerne gefragt. Nur zwei von fünf Befragten würden demnach ihre persönlichen Daten der Zuckerberg-Company anvertrauen. Und 72 Prozent sind der Meinung, dass Facebook zu viel Macht genießt. Gleichzeitig würden es 55 Prozent bedauern, wenn es Facebook nicht mehr gäbe. Und sogar zwei Drittel finden es okay, dass WhatsApp und Instagram zum Facebook-Konzern gehören.

Überraschend aber ist, wem die US-Bürger am stärksten vertrauen: Microsoft wird von drei Vierteln der Befragten Vertrauen entgegengebracht, Amazon von 73 Prozent. Dies ist insofern bemerkenswert, als beide Unternehmen den Markt für Cloud Computing und Speicherdienste mehr oder weniger unter sich aufteilen. Auch bei den beliebtesten Internet-Marken rangieren Amazon (Rang 1 mit 91 Prozent der Nennungen) und Microsoft (Rang 5; 89 Prozent) nahezu gleichauf in der Bürgergunst. Dazwischen rangieren mit jeweils 90 Prozent der Nennungen Google, die Google-Tochter Youtube und Netflix.

Während Google trotz seiner marktbeherrschenden Stellung nie ein Imageproblem hatte, fehlte es Microsoft in den Dekaden vor und nach der Jahrtausendwende durchaus an dem nötigen „Quantum Trust“. Anders als Google wurde Microsoft die Dominanz auf dem Desktop stets zum Vorwurf gemacht – eine Stimmungslage, die überhaupt erst die Renaissance von Apple als Windows-Alternative möglich machte. Aber Microsofts schlechtes Image war auch hausgemacht: Die Unternehmenskultur unter Bill Gates und Steve Ballmer galt als barbarisch, auf Konfrontation ausgelegt und eher markt- und machtorientiert, denn kundenorientiert.

Das hat sich innerhalb eines guten halben Jahrzehnts unter CEO Satya Nadella fundamental geändert. Seine Definition von Kundenorientierung klingt in der Tat revolutionär: „Wir wollen unsere Kunden auf dem Weg in die Digitalisierung nicht abhängig von uns machen. Wir wollen vielmehr, dass unsere Kunden durch Microsoft unabhängig werden.“ Das Bekenntnis zu Open Source, die Demokratisierung von KI, die ethischen Engagements sind Beispiele für diesen Ansatz. Dass dies nicht umsatzschädlich sein muss, zeigen die beeindruckenden Quartalsberichte der letzten Jahre.

Das Quantum Trust, das die Kunden Microsoft entgegenbringen, ist eine der Säulen, die die Aufholjagd gegenüber Amazon im Markt für Cloud Services tragen. Nach Expertenschätzungen wird es in den zwanziger Jahren auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amazons Web Services und Microsofts Azure- und Dynamics-Angeboten hinauslaufen. Das ist nicht unerheblich angesichts der Tatsache, dass Cloud Computing die dominierende IT-Infrastruktur der nächsten Zukunft sein wird. Dass Microsoft hier überhaupt in die Position eines Herausforderers gegenüber Amazon gekommen ist, muss ebenfalls der Kulturwende durch Satya Nadella zugeschrieben werden.

Diese Kulturrevolution ist nach einer Vergleichsstudie der London Business School tatsächlich beispielhaft für Unternehmen, die davon leben, einen kontinuierlichen Strom an Innovationen zu generieren. Die Studie extrahiert vor allem die Kultur des ewig lernenden Managers – im Gegensatz zum weit verbreiteten „ewig besserwissenden Manager“ – als entscheidendes Qualitätsmerkmal. Das allerdings darf auch getrost zur Amazon-Kultur gezählt werden. Kaum ein Unternehmen beherrscht die Kunst so vollendet, von seinen Kunden zu lernen. Dies allerdings mit dem negativen Aspekt, dass Amazon dazu neigt, die Geschäftsmodelle seiner Kunden zu übernehmen und zu optimieren. Das stört übrigens die befragten US-Bürger wenig. 81 Prozent würden es bedauern, wenn es Amazon nicht gäbe – bei Microsoft nur 75 Prozent…

Es wäre interessant zu sehen, wie eine Vertrauensfrage der Internet-Giganten auf dem deutschen oder europäischen Markt ausfallen würde. Meine Prognose: die Rangfolge würde sich nicht ändern – abgesehen davon, dass die Deutsche Telekom einen Spitzenplatz einnehmen würde. Dagegen dürften die Zustimmungswerte insgesamt deutlich geringer ausfallen. Ob freilich neue Initiative wie Gaia-X von Anfang an auf ein ausreichendes Quantum Trust aufbauen kann, darf getrost bezweifelt werden. Staatsinitiativen genießen nun mal keine Vorschusslorbeeren.