Den Prozess machen

Allmählich trudeln die Technik-Prognosen für das neue Jahr ein. CES und CeBIT werfen ihren Schatten voraus. Doch die Zukunftstrends sind nicht mehr allein durch Technik definiert, wie eine Rückschau zeigt. Die Innovationen des Jahres 2015 lagen nicht in der Technologie, sondern in der Methodologie, nicht im Produkt, sondern im Prozess. Das ist das eigentlich Neue, ja Revolutionäre am soeben vergangenen Jahr, in dem uns deutlich wurde, dass der Megatrend „Digitalisierung“ nicht nur unsere Art der Zusammenarbeit neu definiert, sondern auch die Art und Weise unseres Zusammenlebens. Die Prozesse des Zusammenseins ändern sich überall und setzen die Politik unter Zugzwang. Ein paar Beispiele:

3D-Druck sorgt immer wieder für Hingucker auf den Industriemessen, wo sich Scharen von Messebesuchern um die Vitrinen versammeln, in denen Schicht für Schicht aus Geisterhand ein dreidimensionales Bauteil aufbaut. Dort, wo 3D-Drucker bereits im Einsatz sind, verläuft der Prozess deutlich weniger spektakulär, dafür aber umso effektiver. In der Medizin etwa werden Teile der Prothesen schon individuell nach den Knochen geformt, die sie ersetzen sollen. In der Zahnmedizin ersetzen gedruckte Zahnspangen die herkömmlichen Drahtgeflechte. – Aber ach, die Krankenkassen zahlen noch nicht für diese Innovationen.

In Bayern wurde letztes Jahr das erste Autobahnteilstück als Teststrecke für autonomes Fahren durch den Bundesverkehrsminister freigegeben – sehr zur Freude der bayerischen Automarken. In Kalifornien bestimmte ein Gericht, dass auch autonome Fahrzeuge ein Lenkrad brauchen – sehr zum Ärger von Google, das ein niedliches „Autochen“ entwickelt hat, dessen Selbstfahrfähigkeiten gerade durch den Verzicht auf ein Lenkrad signalisiert wird. Und zur Mobilisierung von Elektrofahrzeugen wird die Diskussion um Subventionen hierzulande lauter. Sehr zum Ärger des Bundesfinanzministers.

2015 war das Jahr der Lieferdienste. Vor allem um den Bringerdienst für Lebensmittel tobt in den Großstädten ein harter Wettbewerb. Kein Wunder – allein in Deutschland wurden 2015 in Deutschland knapp 20 Millionen Pizzen ausgeliefert, besagen Schätzungen. Da lohnt sich die Kombination aus Fahrzeugflotten und flotten Apps. Aber schon gehen die Paketboten in die nächste Runde: Amazon und Google experimentieren mit Drohnen, der Skype-Gründer Ahti Heinla probiert niedliche Transportroboter aus. Doch neben dem Kampf mit der Technik dominiert die Auseinandersetzung mit den Ordnungsbehörden um Überfluggenehmigung und Straßenverkehrsordnung.

Nach Einschätzung der Analysten von Ernst & Young sind Finanzanwendungen für Smartphones das ganz große Ding. Doch allein in Deutschland mussten im vergangenen Jahr 25 Fintech-Startups wieder dicht machen. Überweisungen allein sind offenbar noch kein ausreichendes Unterscheidungsmerkmal zu den Banken, Kredite aber schon. Da wird noch viel Deregulierungsgeist benötigt.

Bei Datenschutz und Datensicherheit hat das EuGH im Oktober den Safe Harbour Act gekippt. Am schnellsten und vollständigsten hat bislang Microsoft reagiert, das in Deutschland seine Cloud-Zentren in die Treuhänderschaft der Deutschen Telekom übergeben hat. Wie das europäische respektive transatlantische Verständnis für den Umgang mit Schutz und Sicherheit nun vereinheitlicht wird, ist nun Sache der Politik.

Und das wird auch 2016 so bleiben – die Politik kommt mit ihrem Regulierungsanspruch hinter dem Innovationstempo der Digitalisierung kaum richtig nach: Die Digitalisierung aller Lebensbereiche wird uns den Prozess machen – Altes wird optimiert, Überkommenes ausgesondert. Im Ergebnis werden unsere Prozesse im privaten und öffentlichen Leben, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft schneller, stromlinienförmiger, smarter und nicht zuletzt: individueller.