Uns geht´s ja noch gold

Die deutschen Systemhäuser sind schon jetzt die Gewinner der Digitalisierung. Das macht das aktuelle Branchenbarometer des Hightech-Verbands Bitkom deutlich, nach dem 82 Prozent der Unternehmen mit Informations- und Kommunikationstechnik hierzulande zuversichtlich ins zweite Halbjahr schauen. Nach einer leichten Eintrübung zum Jahresbeginn 2017 stieg der Branchenindex zu den Umsatzerwartungen in den ITK-Segmenten auf 76 Punkte – dem zweithöchsten Wert seit der Indexermittlung im Jahr 2001.

Und was heißt schon Eintrübung? Vor Jahresfrist war mit 77 Punkten das All-Time-High im Index erreicht worden – ein Wert, der nun nahezu wieder hergestellt worden ist. Zum Vergleich: Vor knapp zehn Jahren – zu Zeiten der Finanzkrise – lag der Index sogar im Minus. Seitdem arbeitet sich das Stimmungsprofil der deutschen ITK-Wirtschaft kontinuierlich von Bestnote zu Bestnote.

Und dabei ist die Stimmung in der Branche sogar noch besser als in der Gesamtwirtschaft, deren Vertreter ja schließlich die Hauptkunden der ITK-Industrie sind. Laut ifo Geschäftsklimaindex sind die Umsatzerwartungen über alle Industriezweige hinweg unverändert gut, aber noch ein Stück von ihrem Bestwert aus dem Jahr 2010 entfernt. Während die geringen Zinsen die Baubranche von einem Rekord zum nächsten treiben, hat der Großhandel leichte Bauchschmerzen wegen der befürchteten Abschottung der Märkte. Und im Einzelhandel klagen aus naheliegenden Gründen vor allem die Kfz-Händler.

Interessant ist aber, dass sich die Kunden in der Phase boomender Geschäfte mit der Erneuerung ihrer IT-Ausstattung befassen. Zwar sind es Umfragen zufolge vor allem die Themen Rationalisierung und Effizienzsteigerung, die den deutschen Unternehmern unter den Nägeln brennen. Aber die Modernisierung der IT-Infrastruktur könnte langfristig doch auch den erhofften Schub im digitalen Wandel bringen, der zu mehr Innovationsfähigkeit, mehr Umsatz und schließlich neuen Geschäftsmodellen führen wird. Dann wäre die ITK-Branche als Enabler der Wirtschaft auch der Garant für den nächsten Schub.

Dabei gibt es nicht nur Gewinner unter den Anbietern von Informations- und Kommunikationstechnik. Schon traditionsgemäß leidet der Hardware-Sektor unter den rapide sinkenden Preisen, die auch die Margen und damit den Spielraum für Neuausrichtungen minimalisieren. Dabei sind es ja gerade Investitionen in das Internet der Dinge, die die Umsätze für Hardware in die Höhe treiben. Allerdings ist es dort vor allem der Maschinenbau, der von der Digitalisierung der Fertigungsebene profitiert. Dennoch: 68 Prozent der Hardware-Anbieter setzen auf die Konjunktur.

Das hat seinen Grund auch darin, dass die Digitalisierung praktisch alle Lebensbereiche erfasst und gerade bei Consumer Electronics zu einem neuen Boom führt, bei dem sinkende Margen durch rapide steigende Stückzahlen mehr als ausgeglichen werden. Allein das Smartphone, das als Produktkategorie gerade einmal zehn Jahre auf dem Markt geführt wird, trägt schon satte 1,4 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Bis 2022, so ermittelten die Berater von Deloitte zusammen mit dem Bitkom, soll der Anteil sogar auf 1,7 Prozent steigen. Damit wäre das Smartphone als Branchensegment genommen schon alleine so groß wie die klassische Unterhaltungsbranche.

Klarer Sieger sind aber die Dienstleister und hier vor allem die Systemhäuser, die sich auf Großprojekte rund um die Digitalisierung komzentrieren. 86 Prozent der Systemhäuser gehen von steigenden Umsätzen aus, während die Softwareanbieter mit 83 Prozent positiver Erwartung ziemlich genau im Trend liegen. Ob sie die steigenden Umsatzerwartungen allerdings wirklich realisieren können, ist nicht so sehr eine Frage der Auftragsbücher als vielmehr der Payroll. Denn all überall sind Fachkräfte Mangelware – und damit das wesentlichste Hemmnis bei der Realisierung neuer Geschäftschancen.

Damit ist die Digitalisierung zumindest im ITK-Sektor alles andere als ein Job-Killer. „Unsere Branche schafft Jahr für Jahr rund 20.000 neue Jobs“, betont Bitkom-Präsident Achim Berg. Bis zum Jahresende sollen es branchenweit 1.051.000 Beschäftigte sein, die in der ITK-Industrie nicht nur Lohn und Arbeit, sondern auch attraktivste Karrierechancen finden. Der Mangel an Fachkräften hemmt dabei nicht nur die Software- und Hardware-Anbieter. Über alle Branchen hinweg könnten es nach Berechnungen des Bitkom gut und gern 51.000 Arbeitsplätze mehr sein, die für Fachkräfte für Informations- und Kommunikationstechnik bereit stünden.

Der Ruf nach ITK-Experten ist seit zwei Jahrzehnten ein Evergreen der Branche. Die Klagen darüber, im internationalen Vergleich hintanzustehen, haben nicht in ausreichendem Maße zu der einzig richtigen Schlussfolgerung geführt: die Ausbildung stärker in diese Berufe zu lenken. Es ist deshalb eine der wichtigsten Anliegen an die künftige Bundesregierung, die Bildungsinitiative gerade auf diese zukunftsweisenden technischen Berufe hin stärker auszurichten. Dem Land der Ideen dürfen die Ingenieure nicht ausgehen.

Aber noch geht’s uns ja gold, wie Walter Kempowski die Mutter seiner Kriegsfamilie sagen lässt. Dabei hören wir seit Jahren die Unkenrufe der Untergangspropheten, die wahlweise in der „amerikanischen Herausforderung“, im „digitalen Darwinismus“, in der „Marginalisierung der Wertschöpfung“ die Sendboten eines nahen Niedergangs erkennen. Dass sie seit Jahren durch starke Konjunkturzahlen ins Unrecht gesetzt werden, sollte dennoch niemanden zu einem fröhlichen „Weiter so!“ veranlassen. Gerade weil die Wirtschaft brummt, sind Investitionen in die Infrastrukturen überfällig, die diesen Boom befördern. Das sind sowohl Verkehrswege als auch Datenautobahnen, das sind Bildungseinrichtungen ebenso wie Gründungskulturen. Und nicht zuletzt sind es Integrationsanstrengungen, über die wir Menschen mit Migrationshintergrund in wertschöpfende Arbeitsverhältnisse bringen können. Wir können es uns gar nicht leisten, dass Wirtschaftsinformatiker, deren Abschluss hierzulande nicht anerkannt wird, sich mit Taxifahren durchbringen. Dann wäre es schon besser, sie kreierten das „nächste Uber“.