Mittel für den Mittelstand

Einen „Liebesbeweis“ nennt die „Tagesschau“ den jüngsten Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, nachdem er erhebliche Steuerentlastungen für die 99,6 Prozent aller deutschen Unternehmen, die dem Mittelstand zugeordnet werden, angekündigt hatte. Sein jüngstes Kalkül: ein Steuerdeckel für Personenunternehmen bei höchstens 45 Prozent, ein Sozialabgabendeckel und Senkung des Arbeitslosenbeitrags sollen im Mittelstand Mittel locker machen, die wiederum in Innovationen und Investitionen fließen.

Natürlich, wenn künftig eingehaltene Gewinne nur noch mit 25 Prozent besteuert werden sollten, wären mehr liquide Mittel im Mittelstand verfügbar, um auf dem Weg von analog zu digital schneller voranzuschreiten. Allerdings: in den Zeiten starker Konjunktur, als die Mittel fehlten, weil Großprojekte vorfinanziert werden mussten, war die Bereitschaft zur grundlegenden Erneuerung auch nicht gerade ermutigend. Die zahllosen Studien über den Mittelstand als digitales Mittelmaß stimmen nicht gerade positiv.

Das gilt auch für die jüngste Umfrage zum Thema. 39 Prozent der vom Beratungsunternehmen Comteam laut Handelsblatt befragten Führungskräfte aus Unternehmen der deutschen Wirtschaft mit zwischen 1000 und 10.000 Mitarbeitern sieht sich nach wie vor für den digitalen Wandel, neue Ausbildungsmethoden wie eLearning oder bezogen auf eine datengetriebene Unternehmenskultur schlecht vorbereitet. Dabei wird deutlich, dass Investitionen in die technische Erneuerung allein nicht ausreichen, um sich in künftigen Märkten zu behaupten, Kultur und Knowhow müssen sich schon auch wandeln. Da aber haperts.

Pointiert gesagt: Marktmechanismen von gestern bleiben auch digitalisiert immer noch Marktmechanismen von gestern. Die Diskrepanz im Umgang mit dem digitalen Wandel wird immer wieder in Vergleichsstudien diesseits und jenseits des Atlantiks deutlich. In den USA rechnen mittelständische Unternehmen nach Investitionen in die digitale Erneuerung vor allem mit der Ausweitung des Marktes und der Gewinnung neuer Kundenkreise. In Deutschland und Europa herrscht dagegen die Hoffnung auf effizienteres und rationelleres Produzieren vor. Während die einen also mit der Veränderung ihres Marktes rechnen, hoffen die anderen darauf, dass alles so bleibt wie es ist – nur bei besseren Margen.

Das ist durchaus gefährlich, weil wir uns damit abfinden müssen, dass „günstiger“ – wenn auch nicht unbedingt effizienter – immer öfter woanders produziert werden wird. Der Trend in die Digitalisierung um das Ziel der Effizienz führt also eher zur Verlagerung von Fertigungsprozessen ins Ausland. Dagegen führt der digitale Wandel im Sinne einer stärker auf Individualität ausgerichteten Kundenorientierung, auf dienstleistungsorientierte Features eines Produkts und auf kurze Reaktionszeiten zu mehr Service im und um das Produkt, die allein das Qualitätsmerkmal „Made in Germany“ in die Zukunft tragen können.

Altmaiers Mittelstandsstrategie ist insofern positiv zu bewerten, weil sie eine finanzielle Entlastung anstrebt, nach der der Mittelstand neue Mittel zur Erneuerung erhält. Sie ist aber kritisch zu sehen, weil sie den Investitionen keine Richtung weist. Noch einmal pointiert formuliert: ein totes Geschäftsmodell ist auch digital ein totes Geschäftsmodell.

Dass diese Probleme im Mittelstand immer noch nicht erkannt werden, kann man aus dem gemeinsamen Mittelstands-Panel von KfW und ifo-Institut herauslesen. Denn darin geht zwar einerseits die Schere zwischen Großunternehmen und Mittelstand weiter auf: während die globalen Konzerne angesichts von Brexit-Unsicherheiten und amerikano-chinesischem Handelskrieg immer zweifelnder in die Zukunft sehen, ist die Perspektive aus Mittelstandssicht noch deutlich rosiger. Schaut man andererseits aber genauer hin, sind es die Handwerksbetriebe und das Baugewerbe, die das Stimmungsbarometer heben, während das verarbeitende Gewerbe und der davon abhängige Großhandel bereits mit Eintrübungen rechnen. Genau diese Branchen aber sind es, die vom digitalen Wandel am stärksten und am schnellsten umgekrempelt werden.

Es wird Zeit, die Mittel im Mittelstand nicht nur zu nutzen, um weiterzumachen wie bisher. Es geht darum, in neue Mittel für den Mittelstand zu investieren. Sonst bleibt nur noch das Mittelmaß. Da hilft dann auch kein „Liebesbeweis“ des Bundeswirtschaftsministers in Gestalt weiterer Steuererleichterungen.