Krise? Welche Krise?

Das Bild zeigt das chinesische Schriftzeichen für Krise, das zugleich auch Chance bedeuten soll.

Es herrscht eine merkwürdige Stimmung im Land. Zwar brach der ifo-Geschäftsklimaindex, der viel über die Gemütslage von Unternehmern und Managern aussagt, im April auf ein historisches Tief ein – und erholte sich postwendend im Mai angesichts von ersten Lockerungen bei den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus. Es war also nicht die „Bazooka“, die Vizekanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Ende März aus dem Futteral gezogen hatten, die die Stimmung aufhellte, sondern die Aussicht auf ein Stück mehr Normalität. Denn die aktuelle Situation ihrer Unternehmen bewerten die rund 9000 befragten Manager leicht schlechter als im April. Doch „in the long run“ fassen die Unternehmer, wenn nicht Optimismus, dann wenigstens Mut.

Es ist geradezu gespenstisch: für das laufende Jahr wird ein Konjunktureinbruch vorhergesagt, wie er sich seit der Aufzeichnung der Wirtschaftsdaten noch nicht ereignet hat und damit sogar den aus der Banken- und Finanzkrise ab 2008 in den Schatten stellt. Doch damals herrsche blanke Panik, während heute berechtigte Sorgen, aber eben auch Hoffnung auf baldige Besserung vorherrschen. Niemand scheint daran zu zweifeln, dass die Wirtschaft hierzulande wieder anspringt und sich eine Erholung auf das gewohnte Niveau in ein, zwei Jahren wieder einstellt.

Warum? Nur weil alle wiederholen, was der damalige EZB-Chef Mario Draghi schon 2008 sagte: „Whatever it takes“? Nach der dreistelligen Milliardensumme für einen ersten Rettungsschirm kommen nun praktisch im Wochentakt neue Förderpläne auf den Tisch. Der letzte kam soeben aus dem Bundeswirtschaftsministerium und verspricht Mittelständlern und Freiberuflern bis zu 50.000 Euro monatlich, wenn die Umsätze unter 60 Prozent des vergleichbaren Vorjahreszeitraums rutschen. Spezielle Förderprogramme für Startups, für das Handwerk, für Handel, Gastronomie und Hotellerie, für freischaffende Künstler, für Familien und private Haushalte sind in der Debatte. Und auch aus der Europäischen Union kommen Sicherungs- und Stützungsmaßnahmen, die vor allem den finanzschwächeren Ländern zugutekommen. Auch wenn man es nicht sagen will: auf lange Sicht stützen die wohlhabenden EU-Mitglieder diejenigen Länder, die entweder unter einer schwachen Wirtschaft leiden oder unter einer schlechten Haushaltsführung. Der Rettungsschirm gewährt ihnen quasi einen „voraussetzungslosen Grundkredit“. Doch entscheidend ist, was sie daraus machen – weiter wie bisher oder „back to the future“?

Das ist das Mantra für alle Krisengeschüttelten. Zwar gehört Jammern angesichts der zahllosen Fördertöpfe inzwischen zum guten Ton, in den Verbände, Unternehmen, private Haushalte, Selbständige und freischaffende Künstler unisono einstimmen. Denn wer jetzt nicht auf seine Misere aufmerksam macht, müsste morgen aus eigener Kraft gesunden. Doch anders als bei der Bewältigung der Krise vor zwölf Jahren gibt es diesmal in Deutschland keine bedingungslose Stützung. Vielmehr müssen sich Unternehmen die Fördermaßnahmen durch Investitionen in grüne und digitale Transformation erst verdienen. Die Rückkehr zur Normalität ist keine Rückkehr zum „status ex ante“, sondern zu einer „neuen Normalität“. Deshalb haben Kaufanreize für Verbrennungsmotoren schlechte Karten, während Subventionen für Stromer nur dann Sinn ergeben, wenn gleichzeitig auch die Infrastruktur aus Ladestationen, Stromtrassen und alternativen Energien vorangetrieben wird. Das wäre eine echte Win-Win-Situation, von der private Haushalte, Kernindustrien und staatliche Lenkung gleichermaßen profitieren.

Auch im Mittelstand gibt es wohl kein „Weiter so!“ Nach einer Umfrage der Analysten von PAC, die in der Wirtschaftswoche vorab veröffentlicht wird, plant immerhin ein Drittel der mittelständischen Unternehmen, ihr gesamtes Geschäftsmodell zu überdenken. Es hat den Anschein, dass die Kernbotschaft der digitalen Transformation damit im agileren Teil der rund drei Millionen Unternehmen in Deutschland angekommen ist. Sie nehmen die Krise als Chance, alles auf den Tisch zu legen und zu hinterfragen.

Und knapp die Hälfte will dabei in Technologien wie Internet der Dinge, Big Data Analytics oder Automation investieren – Innovationen, die hierzulande unter dem Begriff Industrie 4.0 zusammengefasst werden. Damit ist nicht grundsätzlich eine völlige Neuausrichtung des Geschäftsbetriebs verbunden, aber doch eine gründliche Durchforstung der Geschäftsprozesse. Spannend ist, dass der Mittelstand dabei weiterhin auf´s „Buzzword-Bingo“ verzichtet: wo beispielsweise in den USA Begriffe wie künstliche Intelligenz, Machine Learning etc. en vogue sind, setzen deutsche Unternehmen auf den Reboot ihrer Unternehmenssoftware. Die bestehenden ERP-Lösungen durch Alternativangebote abzulösen oder zumindest noch einmal neu aufzusetzen, um sie geänderten Prozessen anzupassen, ist für zwei Drittel der Befragten derzeit in der Diskussion.

„Krise? Welche Krise?“, möchte man fragen. Während nach 2008 vor allem Existenzsicherung betrieben wurde, gehen die Strategien heute in Richtung Zukunftssicherung. Das macht bei aller Gefährdung für den Einzelnen in der jetzigen Situation die Lage für den Wirtschaftsstandort Deutschland doch ganz komfortabel bzw. stimmt zumindest zuversichtlich.