Lampen schenken, Daten sammeln

Viele Ausschussmitglieder im US-amerikanischen Kongress haben wahrscheinlich letzte Woche das Corona-Virus verwünscht, weil die Maßnahmen gegen dessen Ausbreitung ihnen eine der schönsten Szenarien eines Tribunals vermasselt haben: vier Top-Executives von milliardenschweren Unternehmen der Digitalwirtschaft auf der Sünderbank vor der großen Kommission zum Schutz des freien Marktes. Doch stattdessen beantworteten Jeff Bezos von Amazon, Tim Cook von Apple, Mark Zuckerburg von Facebook und Sundar Pichai von Google  gemütlich von ihren Home Offices auf die Fragen der Kartellwächter mit relativer Gelassenheit. Jeff Bezos, der vergessen hatte den Mute-Knopf zu drücken, konnte man sogar dabei zuhören, wie er einen Snack verdaute.

Im Grunde ist das rund sechsstündige Hearing ohnehin nur der audiovisuelle Höhepunkt einer langfristigen Befassung der US-amerikanischen Kartellbehörden und des Kongress-Unterausschusses mit der Frage, ob die vier Digital-Giganten ihre erworbene Monopolstellung zum Nachteil der Verbraucher nutzen oder doch eher nicht. Der Nachweis – so offenkundig er auf den ersten Blick erscheint – ist gar nicht so einfach zu erbringen. Denn zunächst einmal muss festgestellt werden, ob Verbraucher und Wettbewerber tatsächlich geschädigt oder benachteiligt werden. Dazu sind inzwischen meterweise Akten in Form von eMails, internen Memos, Gutachten und Marktanalysen gesammelt worden. Und das sechsstündige Hearing war wohl noch nicht einmal der Showdown. Der wird sich hinter den Kulissen in den Anwaltskanzleien und Regierungsbüros abspielen.

Eine marktbeherrschende Position ist aus Sicht der Kartellwächter grundsätzlich noch nichts schlimmes. Der Schmerzpunkt ist dann erreicht, wenn das Monopol zum Nachteil des Verbrauchers ausgenutzt wird, was zum Beispiel bei einem Preisdiktat oder durch Ausschalten des Wettbewerbs entstehen kann. Und weil dem möglichen Missbrauch von Marktmacht kaum Grenzen der Phantasie gesetzt sind, müssen sich die glorreichen Vier auch ganz unterschiedlichen Vorwürfen erwehren.

Amazon wird vorgeworfen, die Angebote Dritter auf seiner Verkaufsplattform schlechter zu stellen als vergleichbare eigene Angebote. Tatsächlich ist es sogar so, dass Amazon die Geschäftsideen der Kunden kopiert und mit der Kraft der eigenen Skalierungsfähigkeit günstiger und leistungsfähiger anbietet.

Apple wiederum muss sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, im eigenen Apple Store über Gebühr von den Aktivitäten Dritter zu profitieren. So zwackt Apple vom Umsatz, der mit jeder App aus dem Store erzielt wird, ein Drittel für sich ab. In diesem Store -Spiel können alle verlieren, außer Apple: denn während Apps durchaus Konjunkturzyklen von Marktaufbau über Hype bis Exodus unterliegen, partizipiert Apple an jedem Hype.

Facebook wird beschuldigt, mehr oder weniger jeden Wettbewerber im Feld der sozialen Netzwerke wegzukaufen oder wegzuloben. Dabei entgehen dem Markt Innovationen immer dann, wenn Neuerungen der Wettbewerber kaputt-integriert werden – ein Vorwurf, der allerdings nur sehr schwer zu erhärten sein dürfte.

Und schließlich muss sich Google mit dem klassischsten aller Kartellvorwürfe auseinandersetzen: dem der vertikalen Integration. Danach beherrscht Google die gesamte Wertschöpfungskette im Werbemarkt – angefangen bei den Plattformen für Werbebanner über das Rating der einträglichsten Web- beziehungsweise Werbeseiten bis zur Auswahl der Zielgruppen und der Analyse ihrer Profile.

Als Erfinder der vertikalen Integration gilt Nelson D. Rockefeller, der zur Ankurbelung des Ölverkaufs Öllampen an den privaten Verbraucher verschenkt haben soll. Das Rockefeller-Prinzip ist heute Kernelement der Plattform-Ökonomie: Tabs für Kaffeeautomaten, Boni für Fitness-Tracker und eben persönliche Daten im Austausch für vermeintlich kostenlose Services von Amazon, Apple, Facebook und Google. 

In der Folge konnte Rockefeller das Ölgeschäft von der Exploration über die Förderung und Raffinierung bis zur Herstellung der Endprodukte und den Tankstellen als globale Verkaufsstellen in der Standard Oil zusammenfassen. Seine Zerschlagung in Esso, Exxon, Agip, Chevron und andere ist der Urtyp des Antitrust-Verfahrens. Die Zerschlagung von AT&T in die sogenannten Baby Bells folgte, während der Versuch der Europäer, auch IBM oder Microsoft in Einzelteile zu zerlegen, scheiterte. Auch die IT-Anbieter mussten sich des Vorwurfs erwehren, einerseits die Dominanz bei Mainframes, andererseits bei Betriebssystemen zum Nachteil der Kunden und des freien Marktzugangs ausgenutzt zu haben. Heute ist die Marktmacht von IBM allein durch die Kraft der Märkte gebrochen, während Android zumindest in einzelnen Segmenten mehr Anteile hält als Windows.

Nichts gilt also ewig. Insofern ist es durchaus fraglich, ob sich die Kartellwächter tatsächlich in die Machtspiele der dominanten Digitalgiganten einmischen werden. Ihre Möglichkeiten sind zwar breit diversifiziert, ihre Chancen zur Veränderung der Marktmechanismen aber gering. Was könnten sie tun? 

Die Zerschlagung gilt als wenig zielführend. Facebook müsste sich von Instagram und WhatsApp trennen, Amazon die Logistiksparte von den Webservices lösen, Apple App-Store und Smartphone-Verkauf teilen – und Google müsste das Werbegeschäft auf mehrere Serviceorganisationen aufteilen. Aber was würde das ändern?

Im Raum steht darüber hinaus die Idee, die gesamte Branche auf offene Schnittstellen und Standards zu verdonnern, damit Dritte einen freien Marktzugang zu den Plattformen der Digitalgiganten haben. Dieser Prozess würde Jahre dauern und wahrscheinlich den Digitalgiganten genügend Raum und Zeit geben, auch auf der Basis offener Schnittstellen eine marktbeherrschende Position zu erreichen.

Interessant wäre auch der Zwang, den Kunden die Portabilität der eigenen Daten zu ermöglichen. Dann könnten Facebook-Kunden ihre gesamten persönlichen Daten, Kontakte, Vorlieben, Chats und so weiter mitnehmen, wenn sie zu einem anderen Anbieter wechseln wollen. Aber wäre das nicht ein Wechsel vom Regen in die Traufe?

Es hat durchaus den Anschein, dass Strafzölle wegen der Verstöße gegen das Kartellrecht bei den Digitalgiganten schon zum Geschäftsmodell gehören. Google musste alles in allem in Europa schon 8 Milliarden Euro blechen, ohne dass dies Einfluss auf die Marktmechanismen gehabt hätte. Bei den jetzt anstehenden Untersuchungen, denen sich Apple in Europa gegenübersieht, stehen bis zu 26 Milliarden Euro an Strafe (das wären 10 Prozent des zu bewertenden Umsatzes) zur Debatte. Der beste Ansatz, etwas mehr Marktgerechtigkeit zu schaffen, dürfte darin bestehen, die Datenkraken die Steuern zahlen zu lassen, die sie den Staaten, in denen sie operieren, auch tatsächlich schulden. Bisher konnten alle durch kreative Buchhaltung und unter tätiger Mithilfe staatlicher Finanzbehörden zum Beispiel in Irland die Steuerzahlungen massiv einschränken. 

Wenn aber soziale Netzwerke wirklich sozial sein wollen, dann sollten sie auch überall vor Ort Steuern zahlen, mit denen die Sozialstaaten ihre Wohltaten finanzieren. Dazu müssen sich nicht nur die Wettbewerbsbestimmungen ändern, sondern auch die Steuergesetze überhaupt. Denn über kurz oder lang werden wir nicht mehr Dollars oder Euros besteuern müssen, sondern Daten. Wenn die Datengiganten weiter – im übertragenen Sinne – Lampen verschenken und dafür Daten sammeln wollen, müssen sie für diese Währung auch bewertet werden können. Das wäre dann übrigens auch eine Gleichstellung gegenüber jenen „Offline-Unternehmen“, die noch physische Produkte herstellen und dafür echtes Geld einnehmen, das sie versteuern müssen. Aber bis dahin werden noch viele Lampen verschenkt und viele Daten gesammelt werden.