Der Priol pfeifts vom Dach

Zum Jahreswechsel ist eine neue Merkel-Variante aufgetaucht. Sie verbreitete sich am letzten Tag im Jahr 2021 besonders schnell über die traditionellen Medien während der Neujahrsansprache. Sie verbreitete sich darin vor allem über die Herausforderungen und Chancen im neuen Jahr. Die neue Merkel-Variante wurde vom Willy-Brandt-Haus mit dem griechischen Buchstaben Sigma gekennzeichnet – in Erinnerung an eine der Vorgänger-Varianten, die es zwar zum Parteivorsitzenden gebracht hat, nicht aber ins Kanzleramt. Die jetzige Merkel-Variante geht genau umgekehrt vor, was sie besonders ansteckend macht. Allerdings hoffen Experten auf einen eher milden Verlauf in den kommenden vier Jahren.

Besonders überraschend war allerdings, dass die zentrale Neujahrsbotschaft nicht von der Merkel-Variante verkündet wurde, sondern vom Kanzler der Herzen namens Lauterbach, was ja übersetzt „sprudelndes Wasser“ im Unterschied zum „stillen Wasser“ heißt. Der Gesundheitsminister hat wieder Mal mit seinen Harvard-Freunden telefoniert – O-Ton: „Das sind alles ganz ausgezeichnete Experten, ich kenne sie alle.“ Und die sagen jetzt, dass die Omikron-Variante zwar ansteckender ist als Delta. Dafür fallen aber die Krankheitsverläufe in der Regel weniger dramatisch aus. Und die Kranken fallen weniger lange beim Wirtschaftsaufschwung aus. Denn da brauchen wir jeden Mann und Männin und natürlich auch die diversen Diversen.

Also: die fünfte Welle kommt, aber es wird keine Sturmflut. Mit dieser frohen Botschaft hat der Karl dem Olaf glatt die Neujahrsschau gestohlen. Aber der Olaf regiert ja sowieso von hinten heraus und lässt die Minister machen. Und das läuft, als wäre alles mit Oil of Olaf geschmiert. Da wird angekündigt, was das Zeug hält. Der Christian legt bei den Finanzen nach, der Cem bei den Agrarpreisen, der Robert bei Technologie-Innovationen, mit denen wir unser Klima retten und gleichzeitig den Mittelstand voran bringen. Und Nordstream Zwo ist geopolitisch noch nicht richtig eingeordnet, meint die Annalena.

Da klatschen nicht alle Beifall – vor allem die Unionisten holen sich derzeit Schwielen auf der Oppositionsbank, die dann auch noch nach rechts gerückt ist – physisch im Bundestag und psychisch, wenn der Merz kommt. Sein Zukunftsteam steht schon bereit, wenngleich die Altersstruktur der Kandidaten nicht so wirkt, als könnten sie alle die Zukunft noch erleben. Da wird man mit 76 noch ganz demütig.

Doch vor der Zukunft kommt ja noch das neue Jahr 2022, in dem wir unsere Freiheiten wiedergewinnen sollen werden, vielleicht. Die Freiheit ohne Masken und Moneten. Denn kaum werden wir wieder in die Läden strömen wie in alten Zeiten, wird auch alles teurer. So funktioniert Marktwirtschaft.

Seit dem Neujahrstag gibt es einige Neuerungen, die sich vor allem als Teuerungen erweisen. Energie wird ganz allgemein teurer – nicht nur die aus der Steckdose, sondern auch die aus den Energy-Drinks. Denn auf Dosen wird ab sofort ein Pfand erhoben – allerdings sind Impfdosen von dieser Regelung ausgenommen. Beim Benzin werden noch einmal eineinhalb Cent zugelegt, weil dort die CO2-Abgabe aufgeschlagen wird. Dafür wird die Ökostrom-Umlage gesenkt, mit der umweltfreundliche Anlagen für die Stromgewinnung aus Wind, Sonne und Wasser gefördert werden. Klingt unlogisch? Ist es auch.

Plastiktüten dürfen nicht mehr verkauft werden – aber wegwerfen darf man sie noch. Klingt komisch, ist aber so. Umgekehrt wäre es ökologisch sinnvoller. Überhaupt: erst aus der Kohle aussteigen, dann aus dem Atom. Dann müssten wir auch auf europäischer Ebene nicht klein beigeben und den Kleinmeiler-Befürwortern ihren Sonderweg überlassen. Ist ja nur ein Vorschlag der EU-Kommission, heißt es beschwichtigend. Aber aus Sicht der Öko-Bewegung ist es eher ein Vorschlag-Hammer. Dafür haben sie sich beim Verbot von medizinisch bedenklichen Farben fürs Tätowieren durchgesetzt. Es heißt, BioNtec arbeitet schon an einem neuen Impfstoff für farbige Tattoos.

Und natürlich wird der Mindestlohn erhöht – von 9,60 Euro auf 9,82 Euro. Das soll im Juli auf 10,45 Euro angehoben werden – oder doch gleich auf zwölf Euro, wie es die neue Bundesregierung im Koalitionspapier vereinbart hat. Bis dahin soll auch der Mindestlohn für Künstler – als der Applaus – erhöht werden. Es hilft ja nichts, wenn man vor dem Fernseher Beifall klatscht oder stehende Ovulationen produziert, die niemand bemerkt. Deshalb ist dieser humoristische bis kabarettistische Bonnblog eine kleine Anerkennung für Urban Priol, dessen Jahresrückblick mir aus der Seele gesprochen hat. Man kann in der Mediathek nachholen, wenn man verpasst hat, was der Priol von den Dächern pfeift. Sonst bleibt uns ja nur Nuhr.

Ach ja: Ihnen allen von Herzen noch ein gutes Neues Jahr!