Neue Fische im Teich

Also das ist jetzt kein Blog zur Bundestagswahl 2013. Auch wenn dort neue Fische im Teich die klassische Mehrheits-Arithmetik durcheinander gebracht haben…

Es geht um neue Märkte und ihre neuen Protagonisten. – Zum Beispiel in der Weltraumfahrt.

Im vergangenen Jahr dockte die unbemannte Raumkapsel „Dragon“ an der internationalen Raumstation ISS an, um anstelle der ausgemusterten Space Shuttles Material hinaus und Müll hinab zu bringen. Es war nicht nur der erste private Flug in Richtung auf die mit internationalen Steuergeldern finanzierte Station. Es war auch der Start in ein milliardenschweres Transportgeschäft. Die NASA hatte nämlich dem Unternehmen nach dem geglückten Erstflug einen Auftrag im Wert von 1,6 Milliarden Dollar erteilt und damit zwölf weitere ISS-Anflüge bestellt.

Elon Musk, die südafrikanische Unternehmer-Ikone, wollte mit Space X eigentlich zum Mars. Das ist aber vorerst noch ein bisschen weit. Und das Geschäft mit den Speditionsflügen zur ISS ist auch irgendwie lukrativ. Neben den großen Raumfahrtagenturen und ihren über Jahre an fetten Trögen träge gewordenen Zulieferern etabliert sich plötzlich ein schlankes, dynamisches Unternehmen.

Das Geld kann Musk nicht nur in die Weiterentwicklung seiner Raumfahrtträume stecken, sondern auch in den Ausbau der Elektromobilität. Denn zum Musk-Imperium gehört auch der Newcomer Tesla, der Japanern, Chinesen, Amerikanern, Deutschen und Franzosen zeigt, wie man ein Elektroauto baut, das nicht nur weite Strecken überwindet, sondern dabei auch noch dynamischen Fahrspaß bietet. Auf der IAA – der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt – gehörte Tesla mit der S-Limousine für 70.000 Dollar wieder zu den Highlights des Elektro-Fahrgeschäfts.

Die traditionellen Automobilbauer konstatieren, dass Tesla eine ganze Menge weniger Gepäck im Rücken hat und deshalb schneller als andere westliche Autobauer agieren kann. Der neue Wettbewerber kommt allerdings reichlich ungelegen angesichts der Aufholjagd, die im Elektromobilitätsmarkt läuft. Das gilt auch für Google, die plötzlich mit einem autonomen Fahrzeug durch Kalifornien stromert. Während Daimler mit einer fahrerlosen Testfahrt an die historische Fahrt von Bertha Benz 1888 anknüpft, fährt Google mit eigener Technik allen davon – kopflos, aber nicht hirnlos.

Und wer erinnert sich nicht an die lustigen Kamerafahrten der Google-Autos, die vor einem knappen halben Jahrzehnt weltweit in den Großstädten Fassaden ablichteten und damit eine neue Straßenansicht (Street View) offerierten. Damals war es noch ein Skandal, dass bei der Gelegenheit auch gleich alle ermittelten WLANs registriert wurden. Deren Daten helfen heute dabei, für Smartphones ein hinreichend genaues Positioniersystem zu bieten, ohne dass dabei gleich das amerikanische Global Positioning System oder das (milliardenschwere) europäische Galileo-System genutzt werden müsste. Während die Europäer noch mühsam Satellit um Satellit ins All hieven, werden sie von einem Privatanbieter mit einem Nebenprodukt überholt.

Und jetzt? Jetzt investiert Google auch noch in die Suche nach dem Jungbrunnen für Jedermann. Zusammen mit Apple und dem CEO von Genentech, Arthur D. Levinson, soll die neu gegründete California Life Company (Calico) den Zusammenhang zwischen bestimmten Erkrankungen und dem Alterungsprozess untersuchen. Dazu werden Tausende von klinischen Studien herangezogen und analysiert.

Es ist schon faszinierend. Wo etablierte Unternehmen sich mit heftigsten Investitionen mühsam Innovationen erkaufen, stürmen agile Companies mit einer Leichtigkeit an ihnen vorbei, dass sich der Fachmann wundert und der Laie die Augen reibt. Wo man hinschaut, entstehen Wettbewerber, die bislang nicht auf dem Radarschirm waren. Google ist das beste Beispiel für einen globalen Diversifizierer, der alles und jedes Geschäftsmodell in Angriff nimmt, bei dem Big Data eine Rolle spielen könnte.

Denn das ist das Geheimnis von Google. Es lernt aus der Intelligenz des Schwarms, dessen Bewegungen von Google minutiös nachgeführt werden. Am Ende entdeckt Google Trends aus Spuren, die andere unbewusst lesen.

Google hat auch ermittelt, dass seit dem 22. September 20 Uhr Ortszeit die Abfragen nach Rot-Rot-Grün deutlich vor denen nach Schwarz-Rot und Schwarz-Grün liegen.

Aber dieser Blog ist ja kein Nachwahlblog.

Minister für europäische Hightech

Es gab mal eine Zeit, in der wir unsere Geschäftsprozesse Nixdorf Computern anvertrauten, mobile Telefongespräche über einen Siemens-Knochen führten und dabei Verbindungen über das Mannesmann-Mobilfunknetz wählten. Keines der drei Angebote existiert noch in dieser Form. Amerikanische und asiatische Konkurrenten haben sich als überlegen oder zumindest wirtschaftlicher erwiesen. Der Rest ist Marktmechanik – Bereinigungen, Übernahmen, Insolvenzen.

Die Zahl der Neugründungen, die zu vielversprechenden Playern im IT- und Telekom-Markt herangewachsen sind, ist dagegen verschwindend gering. Im Ergebnis hat sich europaweit ein Hersteller-Rückzug aus der Hardware-Produktion vollzogen, der heute zur praktischen Bedeutungslosigkeit auf diesem Gebiet geführt hat. Angesichts niedriger Margen bei der Herstellung von Hardware wurde der Rückzug allgemein als lässliches Problem gesehen. Es gab ja noch Software und Services, mit denen sich in Europa wunderbar Geld verdienen ließ.

In dem Maße jedoch, in dem Software und Services ins Internet abwandern, geraten auch diese europäischen Kompetenzen unter Druck. Macht nichts, heißt es heute, wir haben ja noch die Prozesskompetenz…

Stimmt auch – sie ist der Antriebsstoff für die Digitalisierung der industriellen Geschäftsvorfälle, die wir mit Industrie 4.0 zusammenfassen. Die (Internet-gestützte) Vernetzung von digital angesteuerten Fertigungsmaschinen, Förderzeugen und Fahrzeugen soll den nächsten revolutionären Innovationsschub in der Industrie bringen. In dieser Disziplin ist Deutschland sowohl in der Spitze als auch in der Breite tonangebend – noch.

Die Gefahr besteht allerdings, dass nach der Hardware, der Software und den Services auch die Prozesskompetenz vom Alten Kontinent abwandert, fürchtet beispielsweise Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, der deshalb eine europäische IT-Strategie ins Leben rufen will. Nicht allein europäische Sicherheitsstandards im Internet sollen über diese Initiative durchgesetzt werden, auch in Vergessenheit geratene Knowhow-Bereiche sollen zurückerobert werden. Ob Router, Server, PCs oder Smartphones – nahezu die gesamte in Europa genutzte IT- und Telekom-Infrastruktur werde aus Amerika und Asien angeliefert. Was drin ist, habe sich inzwischen der europäischen Einflussnahme entzogen. Rösler wird hier konkret: Ob und welche Hintertüren zur Ausspähung oder andere Sicherheitslücken bestehen, kann nur der Hersteller steuern, meinte der Wirtschaftsminister. Sein Ziel hat er in einem Brief an EU-Kommissarin Neelie Kroes formuliert:  „Um nicht in Abhängigkeit zu geraten, müssen wir selbst bei der Digitalisierung eine europäische Systemführerschaft entwickeln.“ Die europäische IT-Strategie „soll die Spitzenforschung, Entwicklung von digitalen Technologien und optimale Wachstumsbedingungen für Industrieunternehmen und innovative Startups im europäischen Rahmen“ koordinieren und voranbringen, schreibt der Minister. Sein Ziel sind „hochleistungsfähige digitale Infrastrukturen und gleichzeitig Netzneutralität“, die nicht nur – aber eben verstärkt – durch eine neue Gründerwelle vorangetrieben wird. Die Besuche Röslers im Silicon Valley waren weniger eine Wallfahrt ins gelobte Land der unbegrenzten IT-Möglichkeiten. Es war vor allem der Versuch, die Kultur dort auf Europa zu übertragen. Jetzt soll ein Gründerbeirat dazu beitragen, dass aus der Welle eine Flut wird.

Auch bei der Energiewende hat Rösler inzwischen IT, Telekommunikation und Energieerzeugung zu einem attraktiven Gründerthema zusammengefasst. Wo Energie entsteht, wo sie gebraucht wird und wie sie dorthin transportiert wird, ist nicht allein eine Frage der Leitungen, sondern ebenso sehr eine Frage von Big Data, Vernetzung und Prognosen.

Rösler sieht auch für die möglichen nächsten vier Jahre in diesem Amt die „digitale Wirtschaft“ und die intelligente Energiewirtschaft als Schwerpunkte seiner Aktivitäten. Die „intelligente Fabrik“ soll dann nicht nur den Alten Kontinent zum wiedererstarkten Hightech-Standort verhelfen.

Beides soll auch zum Exportschlager nach Amerika und Asien werden. Hoffen wir, dass Rösler diese Initiativen auch erlebt – als Minister.

Weit ab vom Schuss

In der Debatte um die Zukunft von Microsoft werden immer wieder Rufe nach dem Firmengründer Bill Gates laut, der sich doch wieder stärker in das Tagesgeschäft einmischen möge. Nur so, meinen die Rufer, könne der Konzern wieder auf einen Erfolgspfad geführt werden, an dessen Ende der Durchbruch bei Windows 8, Surface und Azure liegt.
In der Debatte um die Zukunft von SAP bedarf es keiner Rufe nach dem Firmengründer Hasso Plattner, der sich auch ohne öffentliche Aufforderung in das Tagesgeschäft einmischt und den Konzern auf einen Erfolgspfad führen möchte, an dessen Ende der Umzug ins kalifornische Silicon Valley stehen dürfte. Walldorf, so gab der Aufsichtsratschef jetzt zu Protokoll, sei doch nun wirklich ein bisschen weit ab vom Schuss.
Nach der geplant wirkenden, aber dennoch überraschenden Ankündigung des europäischen Co-Vorstandschefs Jim Hagemann Snabe, den geteilten Chefsessel zu verlassen, verlagert sich die Konzernleitung ohnehin in Richtung USA, wo der künftige alleinige Vorstandsvorsitzende Bill McDermott die Geschicke der Firma von Philadelphia (PA) aus, der Technologie- und Produktvorstand Vishal Sikka von Palo Alto (CA) aus lenken. Dort herrscht offenbar nicht jener Ungeist, der die nordbadische oder überhaupt deutsche Heimat Plattners so schwer erträglich macht: mangelnder „Wille zum Sieg“, wenig „kreative Impulse“ und überhaupt sei man hierorts bürokratisch, behäbig und ineffizient.
Nun haben mindestens 1200 deutsche Hidden Champions durchaus über die letzten Jahrzehnte hinweg bewiesen, dass man im globalen Markt erfolgreich und tonangebend sein kann. Von nichts kommt nichts in der mit Abstand stärksten Volkswirtschaft des Euroraums. Und Lernbereitschaft – von Siegern Siegen lernen – ist durchaus eine deutsche Tugend, die sich auch außerhalb der engen Grenzen eines Fußballfeldes manifestiert: Zum Beispiel in der Initiative des Bundeswirtschaftsministers, Start-up Unternehmer ins Siliziumtal zu führen, um dort Risikokapitalisten und Technologieführer zu treffen.
Die SAP ist eine globale Company und sie darf sich ihre Standortvorteile suchen, wo immer das sinnvoll erscheint. Und ihre Firmengründer dürfen auch Kritik an jenem Standort üben, der sie so groß gemacht hat, dass ihre Kritik überhaupt vernommen wird. Das auf diese Weise zu tun, ist allerdings ebenfalls eine deutsche Untugend. Ein Amerikaner würde seine Kritik in jedem Fall in die Klammer setzen: Well or wrong, my country.
Künftig wird es eher heißen: Well or wrong, my company. Wo auch immer SAP Niederlassungen gründen wird – überall wird es die Besten akquirieren müssen, um sich eine weltweite Vormachtstellung zu sichern. Dazu muss nicht die Landeskultur, sondern die Firmenkultur stimmen. Und die Partnerkultur.
Bei letzterem dürfte SAP derzeit gegenüber Microsoft die Nase vorn haben. Denn das Ecosystem rund um die SAP prosperiert – mitunter mehr als es der Konzernspitze recht ist. Bis zu 220 Milliarden Dollar könnten SAP-Partner im Jahr 2017 durch Technologie, Professional Services und Hardwareverkäufe umsetzen, schätzt das Marktforschungsunternehmen IDC. Allein die In-Memory-Datenbank bietet eine jährliche Wachstumsrate von knapp 20 Prozent für das Ecosystem.
Dazu hat SAP mit PartnerEdge jetzt ein Programm aufgesetzt, das Anbietern die Möglichkeit geben wird, neue Anwendungsentwicklung auf der Basis der SAP-Technologien und Lösungsplattformen voranzubringen. Mobile Anwendungen, Cloud-Lösungen, Datenbanken und In-Memory-Systeme sollen die Grundlage für ein völlig neues Lösungsangebot und damit neue Umsatzquellen bringen. Wir werden sehen, wie viele deutsche SAP-Partner hier ihren inneren Schweinehund überwinden werden, um doch kreative, innovative, unbürokratische Lösungen zu erstellen. Natürlich weit ab vom Schuss.

Kein Kopfzerbrechen!

Stellen Sie sich mal vor, Sie hätten eine Pollenallergie, die Sie daran hindert, Ihrer Arbeit erfolgreich nachzugehen. Das Mittel, das Ihnen verschrieben wird, hilft zwar wunderbar, aber plötzlich stellen Sie fest, dass Sie davon unerträgliche Kopfschmerzen bekommen. Der Arzt, der Ihnen das Mittel verschrieben hat, sagt, diese Nebenwirkungen seien ihm neu und es sei auch nicht seine Aufgabe, sich in die Details eines jeden Medikaments einzuarbeiten. Und der Hersteller erklärt, es sei typisch für Sie, dass Sie wegen der Kopfschmerzen klagen, aber nichts zu der Tatsache sagen, dass die Pollenallergie überwunden ist.

So fühle ich mich derzeit bei der Debatte um die NSA-Spähaffäre. Cloud Computing galt und gilt als hervorragendes Mittel zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, aber das massenhafte Belauschen unseres Datenverkehrs bereitet uns nun doch erhebliche Kopfschmerzen. Die Kanzlerin kümmert sich nicht um Details, und Christian Illek, Microsofts Deutschlandchef, gibt vor Journalisten zu Protokoll: Die deutsche Haltung zur Spionageaffäre sei schädlich für den Standort, weil nur durch Cloud Computing und Big Data die deutsche Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet werden könne.

Also doch lieber Kopfschmerzen statt Pollenallergie. Keine Allergie und keine Kopfschmerzen ist offensichtlich eine Option, die nicht zur Debatte steht.

Ist Cloud Computing plus Datensicherheit wirklich eine Option, die es nicht gibt? Oder entsteht nicht vielmehr aus der Empörung über die Späh-Aktivitäten der Geheimdienste jene Kreativität, die uns auf die nächste Stufe der Datensicherheit hebt? Hochleistungsverschlüsselung als Standard-Feature für jeden Datenverkehr in der B-to-B-Kommunikation wäre ein naheliegendes Beispiel für ein Erfolgsprodukt. Wo wir erkennen, dass das Internet nicht sicher ist, blühen doch Geschäftschancen, die diesen Mangel beheben helfen. Das Auto ist heute voller Sicherheits-Features, die das Fahren unterstützen. Es wäre geradezu anti-unternehmerisch, wenn wir jetzt gegenüber den Sicherheitsmängeln des Internets einfach kapitulierten. Das Ingenium, der Erfindergeist, für den gerade die Deutschen gerühmt werden, macht doch bei Virenscannern und Firewalls nicht Halt. Da kommt doch noch was, oder?

Es wäre nun wirklich das erste Mal, dass sich aus einem Dilemma nicht eine Lösung ergäbe. Und aus einer Lösung eine Geschäftsidee. Und aus einer Geschäftsidee ein Industriezweig. Das ist die wahre Botschaft, die Microsoft und andere Internet-Player an ihre Kunden und vor allem an ihre Partner richten sollten – jedenfalls, wenn sie es ernst meinen mit ihren Versicherungen, dem Belauschen von Daten keinen Vorschub leisten zu wollen und nur nach gerichtlichen Anordnungen zu handeln.

Statt uns also vorzuwerfen, die Deutschen nähmen die Affäre tragischer als andere Nationen, sollte man eher einen Ansporn formulieren, gemeinsam die neuen Konzepte wie Cloud Computing, Big Data, Industrie 4.0 und das Internet der Dinge gegen Missbrauch und missbräuchliches Abhören zu sichern. Ein deutscher Cloud-Standard, der mehr Rücksicht auf die Sensibilität von Daten und Kommunikation nimmt, wäre eine Dienstleistung für einen globalen Markt. Sie kann bisher ein wenig angestaubt daherkommende Berufszweige deutlich auffrischen und zu Erfolgskarrieren umformen: Datenschutzbeauftragte, Sicherheitsberater, Kryptologen, Kommunikations-Manager, Cloud-Broker, Cloud-Integratoren oder Big-Data-Manager.

Es wäre schön gewesen, Christian Illek hätte den Journalisten in New York diese Einschätzung der Lage übermittelt. Tun wir halt jetzt einfach so, als hätten wir ihn genau so verstanden.