Im traurigen September war´s, da senkte sich über Hannover die Wolke. Die Nachricht der Deutschen Messe AG, das neuerdings viergeteilte Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation, kurz: CeBIT, unter das Motto „Leben und Arbeiten mit der Wolke“ zu stellen, wurde – wenn man von ersten Pressereaktionen ausgeht – von der Branche mit einem gewissen Achselzucken hingenommen. „War ja irgendwie klar“, werden die einen gesagt haben und sich wieder ihren Web 2.0-Anwendungen zugewandt haben. „Jetzt fangen die auch noch mit dem Quatsch an“, werden die anderen gesagt haben und sich wieder über ihre Greenscreens gebeugt haben.
So ändern sich die Zeiten:
In den siebziger Jahren wäre ein Slogan „Leben und Arbeiten mit der Wolke“ allenfalls für eine Protestveranstaltung der grünbewegten Bürgerinitiativen durchgegangen, die vor der anhaltenden Smog-Gefahr in der niedersächsischen Hauptstadt warnen sollte.
In den achtziger Jahren war das Assoziationspaar „Hannover – Wolke“ fest verdrahtet mit der Erinnerung an Schlechtwetter-Messen in muffigen Hallen. Ob SchneeBIT oder NebelBIT – die wolkenverhangene Leinestadt hatte schon immer einen sehr diskreten Charme.
Heute hingegen ist die „Cloud“ klar besetzt mit einem Infrastrukturmodell für die Informationstechnologie, bei der es aus Sicht des Anwenders unerheblich wird, wo die Software, die er benutzt, tatsächlich angesiedelt ist – ob im Keller des eigenen Unternehmens oder im Hochsicherheitstrakt des Providers. Hauptsache: läuft.
Es geht den Messeveranstaltern nicht um Cloud Computing im engeren Sinne – also um Rechen- und Rechnerkonzepte für IT-Infrastrukturen im Internet. So wie die Informationstechnik leistet auch ihre weltgrößte Leitmesse längst einen Querschnitt durch alle Lebensbereiche der zivilisierten Welt. Wir stecken von morgens bis abends in der Wolke: Ob Hausaufgaben mit Wikipedia, Reiseplanung mit Google Earth, Navigation mit Apple Apps oder Shopping mit Amazon und eBay – wir nutzen Applications as a Service, wo immer wir einen Browser aktivieren. Und längst nutzen weltumspannende Unternehmen, deren Arbeitstag mit der Erddrehung wandert, die Wolke als gemeinsamen Arbeitsplatz. Und Politiker wie Thomas de Maizière nutzen die Wolke längst auch als Plattform für die (eigene) politische Meinungsbildung.
Das alte und oftmals künstlich erzeugte Schisma zwischen Entertainment und Enterprise zwischen Daddeln und Daten wird in der Wolke überwunden. Wo sich die CeBIT früher zwischen Home-Messe und Hauptmesse zerteilen ließ, schafft die Wolke die große Vereinigungsmenge. Längst befördern die Entwicklung der einen Szene die andere: Wenn Egoshooter-Kinder in Realtime kämpfen, nutzen sie die gleiche Technologie, die gleichen Architekturen wie ihre Economist-Väter, die Just-in-Time fertigen. Arbeiten und leben – das ist in der Tat in der Wolke eins. Und es ist auch das Lebensmodell der Zukunft. Die Trennung verliert sich irgendwo im Nebel.
Ach so, der Titel: „Nube“ ist im Lateinischen nicht nur die Befehlsform für „Heirate!“ wie in: „Tu, felix Austria, nube“ („du, glückliches Österreich, heirate!“), sondern auch der Ablativ von „nubes = Wolke“, also „durch die Wolke“. Wörtlich müsste jedoch das neue CeBIT-Motto „mit der Wolke“ übersetzt werden, also „Laborare et vivere cum nubis“ – klingt irgendwie wie der Ostergruß auf dem Petersplatz. Hannover ist im März immer eine Wallfahrt wert.
Post nubila phoebus. So ist es, so wird es sein.Nach Wolken kommt die Sonne. Die Zeiten der Freude auf Vielfalt sind wieder da.