Das Internet der Sinne

Kennen Sie noch den guten, alten Witz, der Computer und Autos vergleicht? Wenn das Automobil die gleiche Entwicklung genommen hätte wie der Computer, dann würden wir alle 18 Monate mit verdoppelter Geschwindigkeit reisen, dafür aber nur noch die Hälfte bezahlen müssen – nur wären wir auch nur noch höchstens 1,81 Zentimeter groß. Und: Wir müssten täglich zweimal mitten im Straßenverkehr neu booten. Haha!

Haha? Das ist nicht lustig – insbesondere nicht, seit die Automobile sich tatsächlich wie Computer entwickeln. Weil sie nämlich fast nur noch aus Computer bestehen. Aus Embedded Systems nämlich, die zu einem der stärksten Wachstumsfelder der deutschen IT-Industrie gehören. Aber seit die Autos mit Informationstechnologie vollgestopft sind, sind sie auch regelmäßig Gegenstand von Rückrufaktionen. Neu booten. Schön wärs.  Das kann nur noch die Werkstatt, wenn überhaupt.

Im Automobilsektor kann man gut beobachten, was passiert, wenn der Service nicht mit der Entwicklung des Produkts Schritt hält. Embedded Systems lassen sich nicht mit dem Öllappen in der Hand einrichten. Der seltsame Spagat zwischen (pardon!) Low Tech mit Schweißbrenner und High Tech mit Lötkolben stellt Werkstätten vor schier unlösbare Aufgaben und führt zu großen Service-Defiziten. Im Maschinenbau, wo der Anteil an kleinen Schlaumeiern in den Maschinen ebenfalls extrem hoch ist, haben Service-Umsätze längst die Größenordnung der industriellen Fertigung erreicht. Die Informationswirtschaft hat sogar ihr gesamtes Geschäftsmodell auf produktbasierte Services aufgebaut.

Der Trend wird sich noch verstärken, wenn nun die nächste Generation an Sensoren in die Maschinen kommt – sogenannte „Cyber-Physical Systems“. Hinter diesem sperrigen Anglizismus verbergen sich Sensoren, die auf der Basis von Umweltmessungen internet-basierte Systeme steuern. Ein populäres Beispiel sind die niedlichen Roboter, die am MIT in Massachusetts ein Gewächshaus mit Tomatenpflanzen bevölkern. Sensoren geben Umweltdaten wie Luft- und Bodenfeuchtigkeit, Temperatur, Nährstoffgehalt im Boden an ein Netzwerk weiter, das dann ein Robotergeschwader zur Grünpflanzenpflege aussendet.

Die Einsatzmöglichkeiten sind zahllos: nicht nur das Fahrverhalten einzelner Autos, sondern des gesamten Verkehrsstroms kann mit sensorgestützten Netzwerken optimiert werden; ganze Gebäudekomplexe können über Umwelt-Sensoren optimal auf den Energiebedarf angepasst werden – und das Netz kann gleich noch die Energiepreise im Auge behalten. Wo heute noch Service zu Produkten geleistet wird, leisten die Produkte ihn morgen selbst.

Das Internet der Dinge, das logistische Prozesse steuert, wird um das Internet der Sinne erweitert. Cyper-Physical Systems sind im ursprünglichen Sinne umweltbewusst – denn sie sind sich ihrer Umwelt bewusst.

Die Vision, sechs Milliarden Menschen durch das Internet zu vereinen, wird dabei länger auf ihre Verwirklichung warten müssen als die Vorstellung, dass sechs Billionen Embedded Systems – vom Sensor bis zum Leitstand – im Web verwoben sind. In den USA ist das Netz der Sinne schon längst eine der zentralen Forschungsaufgaben, die von der National Science Foundation koordiniert und aus dem zentralen Budget (derzeit 5,6 Milliarden Dollar) gefördert wird. In Deutschland organisieren sich Forschung und Entwicklung soeben – mit dem ehemaligen SAP-Vorstandsvorsitzenden Prof. Henning Kagermann als Gallionsfigur. Mikrosystemtechnik und Embedded Systems sind ein starkes Standbein des Technologiestandorts Deutschland. Das Netz der Dinge und das Netz der Sinne müssen es auch sein. Einen größeren Markt kann man sich derzeit kaum denken. Alles andere wäre ein schlechter Witz – siehe oben.

Egoshooter im Reality-Format

Die letzte Woche brachte eine ganze Reihe hoch interessanter Personalentscheidungen – nicht nur im US-amerikanischen Kongress, wo mit John Boehner der neue starke Mann als Sprecher der Mehrheitsfraktion Einzug hielt. Der Brennpunkt der Egoshooter lag weniger im Osten der USA als vielmehr in Kalifornien, wo die Egoshooter der IT auf unsicherem Terrain um sich schossen und große Geldsummen bewegten – oftmals für nichts, manchmal aber geht es um alles.

Meg Whitman zum Beispiel, die das Online-Auktionshaus Ebay groß und sich selbst zur Milliardärin gemacht hat, hat einen guten Teil ihres Reichtums – rund 140 Millionen Dollar – in den Versuch investiert, den scheidenden Gouverneur des Golden States, den Egoshooter Arnold Schwarzenegger, zu beerben. Die Wähler entschieden sich nach einer der teuersten Wahlkampagnen um ein Gouverneursamt jedoch für den Demokraten Jerry Brown.

Die „Karrierepolitiker in Washington“ (DC) hatte Whitman im Wahlkampf mehrfach mit der Ankündigung scharf gewarnt, der sanierungsbedürftige Bundesstaat Kalifornien werde künftig von zwei Powerfrauen geführt, die wüssten wie man Arbeitsplätze schafft und Nägel mit Köpfen macht. Die Zweite im Egoshooter-Bunde war die ehemalige Konzernchefin von Hewlett-Packard, Carly Fiorina, die wiederum fünf Millionen in ihrem Wahlkampf um den Sitz im US-Senat investierte. Hier entschieden sich die Wähler für die Amtsinhaberin Barbara Boxer. Statt Whitman/Fiorina werden also Brown/Boxer dem gar nicht mehr so goldenen Bundesstaat aus seinem Finanzfiasko helfen.

Etwas weiter nördlich, im US-Staat Washington, kämpften die IT-Ikonen  Jeff Bezos (Amazon) und Steve Ballmer (Microsoft) gegen die Reichensteuer(www.defeat1098.com) und stellten sich damit gegen Bill Gates, der den Topzuschlag für Einkommen über 200.000 Dollar gerne für Bildungsausgaben des Nordoststaates nutzen wollte. Mit einer eigens finanzierten Kampagne haben Bezos und Ballmer sowie der IT-Pionier Richard Allen die Volksbefragung angeheizt und – parallel zum großen US-Wahltag am 2. November – den Griff in die Taschen der Bestensverdiener abgeschmettert.

Unterdessen greift derzeit Oracle vor Gericht in San Francisco in die Taschen der SAP, um Schadensersatz in Milliardenhöhe für den von der damaligen SAP-Tochter TomorrowNow mutmaßlich getätigten Griff in die Unterlagen auszugleichen. „Reine Fantasie“, ja „Wucher“ seien die von Oracles Ober-Egoshooter befeuerten Forderungen, sagen die SAP-Verteidiger, ohne jedoch den Tatbestand selbst zu leugnen. Es ist, als würde John Grishams Bestseller „The Rainmaker“ (im Film mit einem fantastischen Danny DeVito) noch einmal inszeniert.

Während Bill McDermott, einer der beiden Vorstandsvorsitzenden des deutschen Softwareriesen, im Court Room bereits freundlich-sympathische Lichtpunkte setzt, glänzt Oracle derzeit noch mit der zweiten Reihe. Aber der Egoshooter-Showdown bahnt sich bereits an: Larry Ellison wird seinen Auftritt haben und – „wenn´s der Wahrheitsfindung dient“ – Ex-SAP-Chef Léo Apotheker, der sich eigentlich auf seinen Job bei HP konzentrieren wollte – und natürlich auf den Wettbewerb mit Oracle.

Als kreativen Schlichtungsvorschlag sei das folgende in den Ring, pardon: auf die Richterbank geworfen: SAP könnte sich verpflichten, einen US-Wahlkampf für Larry Ellison zu finanzieren – vielleicht nicht schon wieder in Kalifornien, sondern in sagen wir: New York. Lawrence Ellison ist ein Kind der Bronx. Auch SAPs Co-Chef Bill McDermott entstammt dem Big Apple. Er wäre somit vielleicht Larry´s Co-Äh-Vize Running Mate.

Übrigens: Aus der Tatsache, dass dieser Blog erscheint, kann man erkennen, dass der Autor derzeit nicht auf der Geschworenenbank schmort – die Geschworenen dürfen nämlich weder twittern noch bloggen.

Cloud im Sinn

Die Bundesregierung ist in der Wolke angekommen – dies geht aus einem 54seitigen Papier hervor, das unter der Federführung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle entstanden ist. Cloud Computing nämlich, so heißt es da. Strebt die Bundesregierung an, „die Entwicklung und Einführung zu beschleunigen. Gerade mittelständische Unternehmen und der öffentliche Sektor sollen frühzeitig von den Chancen profitieren.“ Fertig. Nächster Punkt.

Man kann sich vorstellen, wie eine Expertenkommission um diesen Passus gerungen hat. Am Ende kommen wolkige Formulierungen heraus, die über Sonntagsredenniveau kaum hinaus kommen.

Gerade zurückgekehrt von zwei Wochen unter Cloud-Berieselung auf der Gartner ITexpo in Orlando und der IBM IOD Conference (Information on Demand) in Las Vegas, wirkt die Belanglosigkeit dieser regierungsamtlichen Mitteilung geradezu schockierend. Cloud Computing ist längst aus dem Niveau des Sprechblasen-Blabla und der Marketing-Makulatur heraus. Das Papier „Deutschland Digital 2015“ ist aber offensichtlich noch im Ungefähren, Wolkenreichen.

Dennoch ist dies bereits ein Fortschritt. Noch im vergangenen März beklagte BITKOM-Präsident August-Wilhelm Scheer, dass es der Bundesregierung an einem Gesamtkonzept zur informationstechnischen Zukunft des Standorts Deutschland mangele. Jedes Bundesministerium, so beklagte er damals, zupfe sich die Rosinen aus dem Kuchen – hier ein bisschen Datenschutz, dort ein bisschen Kreativwirtschaft – ja und Cloud Computing, an dem wir nunmehr alle „frühzeitig“ profitieren sollen. Professor Scheer nannte diese Kabinettsstückchen im Frühjahr freundlich „unkoordiniert“.

Konkret wäre es beispielsweise, die Kommunikation mit Behörden in Zusammenhang mit Cloud Computing zu bringen und Maßnahmen zur weiteren Entbürokratisierung über ELENA hinaus zu skizzieren. Arbeitstitel: Gouvernement as a Service. Auch ein erneuertes Bekenntnis zur Gesundheitskarte als Beitrag auch zur Gesundheitsmarktneustrukturierung hat einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Thema Cloud Computing. Und gerade hier ist Datenschutz in der Cloud ein zentrales Problem. An konkreten Themen kann es doch nun wirklich nicht fehlen.

Produkte zu innovieren und Märkte zu erschließen ist sicherlich die Aufgabe der Wirtschaft. Wie man mit der Cloud einen Markt macht und danach so manche Mark (pardon: Euro) macht, dass muss wahrlich nicht Bestandteil einer Regierungsvorlage sein. Aber beispielsweise die konkrete Absichtserklärung, Forschungsaktivitäten auch im IT-Sektor steuerbegünstigt zu würdigen, wäre ein wünschenswerter Passus in „Deutschland Digital 2015“. Die Überführung klassischer (und funktional bewährter) Software in eine On Demand-Welt ist alles andere als banal. Aber die Fördertöpfe sind bei solchen Projekten erstaunlich unergiebig, weil Cloud Computing in der Wahrnehmung nicht zwangsläufig als Innovation bewertet wird. Die Bundesregierung sollte hier unbedingt ihren Technologiebegriff präzisieren.

Stattdessen wird das Papier bei der Ausbreitung von Breitbandanschlüssen konkret: Mindestens drei Viertel aller Haushalte sollen bis 2014 mit hochleistungsfähigen Breitbandnetzen versorgt werden. Klingt gut. Tatsächlich aber ist das Ziel gar nicht so ambitioniert wie es klingt: Wenn allein die Städte versorgt wären, wäre diese Ziel bereits erreicht. Der mobile Anwender aber sehnt sich danach, bei einer Fahrt durch die Rhön oder den Bayerischen Wald nicht den Kontakt mit der Außenwelt zu verlieren.

In Dresden, wo demnächst der nächste IT-Gipfel zwischen Wirtschaft und Politik stattfinden wird, ist „Deutschland Digital 2015“ eine Tischvorlage. Vielleicht gibt’s dann noch ein Papier 2.0. Es reichen auch kleine Schritte, wenn sie nur – bitteschön – etwas konkreter wären.