On Demand macht Arbeit

War das nicht herrlich damals, vor der Jahrtausendwende, als unzeitgemäße Zeitgenossen staunend eine Nachricht von uns in der Mailbox vorfanden mit sagen wir: der Agenda für den Termin gleich um Zehn und einem kurzen Abstract über die wichtigsten Besprechungspunkte? Und dabei wussten die Zeitgenossen doch, dass wir im Stau festsaßen. Ja, aber wir hatten ja kurzerhand unseren Laptop mit dem Handy verknüpft und das ganze bei 56K in den Äther gepustet. Das war nicht nur modern, das war modem, das war mobil. – Aber man musste wirklich schon schwer im Stau stecken und echt nichts besseres mehr zu tun haben als diesen kruden Verbindungsaufbau durchzuführen, um beim fünften, sechsten Versuch endlich die komplette Datei fehlerfrei transferiert zu haben. Das war schon eine Zeitverschwendung damals…

Aber warum brauchen wir heute, wo die Smartphones jeden Kommunikationswunsch auf Fingerdruck erfüllen, zigmal so viel Zeit für Mails und Messages? Statt enormer Zeitersparnis, Zeitverschwendung! Es klingt paradox: Je weniger Zeit wir verbrauchen, umso mehr Zeit brauchen wir.

Eines der gängigen Vorteilsargumente für Cloud Computing ist die Prognose, dass immer weniger IT-Fachleute benötigt werden, um routinemäßige Jobs zur Sicherung des laufenden Betriebs zu erledigen. In der Tat ist es eines der attraktivsten Argumente für den Mittelstand, durch OnDemand-Lösungen nicht nur der Investitionen in Hardware, sondern auch noch der laufenden Kosten in Wartung und Support ledig zu sein. Cloud Computing ist also ein Gewinn für den Mittelstand.

Tatsächlich, so besagen gesamtwirtschaftliche Rechnungen für die Auswirkungen von Cloud Computing auf den Arbeitsmarkt, kommt es keineswegs zu Massenentlassungen durch die Wolke. Im Gegenteil, sagt das Centre for Economic and Business Research. Zwar können in den nächsten fünf Jahren  durch Cloud Computing Einsparungen von fast 750 Milliarden €uro (zufällig der Umfang des €uro-Rettungsschirms) in den fünf größten Wirtschaftsregionen der EU erzielt werden. Gleichzeitig aber sollen den Marktforschern zufolge bei Anwendern und Anbietern mehr als zwei Millionen neue Jobs entstehen – bedeutend mehr als durch OnDemand wegfallen. Die Cloud als Jobwunder, weil weniger Jobs gebraucht werden. Das klingt paradox.

Es klingt nicht nur wie ein Paradox, es ist auch eins – und zwar ein klassisches. Der britische Ökonom William Stanley Jevons hat es als erster beschrieben, als er 1865 den Kohleverbrauch in der englischen Schwerindustrie untersuchte. Ein Jahrhundert zuvor, 1765, hatte James Watt die Dampfmaschine, nein: nicht erfunden, sondern nur verbessert. Im Einsatz waren Dampfmaschinen in England bereits seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aber sie hatten einen erbärmlichen Wirkungsgrad. Die Folgen von Watts Verbesserungen aber waren verblüffend: Es wurde nicht weniger Kohle verbraucht, sondern mehr. Die industrielle Revolution brach sich Bahn.

Bricht sich nunmehr die informationelle Revolution Bahn? Waren der Großrechner, der PC, das Netzwerk quasi nur der Dampf, aus dem sich nun die Wolke mit höchstem Wirkungsgrad bildet? Mag sein – allerdings hat die CEBR-Prognose auch eine ganze Reihe optimistischer Annahmen zur Grundlage: Wenn Unternehmen stärker in ihr Kerngeschäft investieren können, ist der gesamtwirtschaftliche Nutzen deutlich höher als durch Joberhalt in nicht-produktiven Wartungsaktivitäten. Und außerdem, so die Annahme, wird Cloud Computing neue Formen der Administration nach sich ziehen – den „App-o-theker“ beispielsweise, der das Web nach neuen hilfreichen Minianwendungen durchforstet und für das Unternehmen konfiguriert; oder den „Viralogen“, der das soziale Netzwerk nach neuen Möglichkeiten des viralen Marketings durchmisst; der „Facist“, der das individuelle Profil in Facebook und anderen sozialen Medien optimiert; auch der „Chief Transaction Officer“ wird in der neuen Arbeitswelt gebraucht, weil er dafür sorgt, dass der Datenstrom zwischen Nutzer und Carrier möglichst gleichmäßig fließt.

Am Ende haben die Anwender dann nicht weniger Arbeit, sondern nur andere. Da klingt Jevons Paradox schon fast wie Parkinsons berühmtes Gesetz über die Tendenz der Arbeit, alle Ressourcen zu fressen, derer sie habhaft werden kann.

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