Das alles gibt es schon: mymuesli, myparfum, mybeans, mymelade und natürlich myphotobook. Wer diese Webseiten anklickt, kann sich sein Produkt selbst gestalten – Mass Customization heißt das und optimal umgesetzt wird das Konzept in Passau, wo drei Studentenfreunde die Webseite für das individuelle Cerealienfrühstück entwickelt haben. Aus einer Auswahl von Basismischungen können individuell Extras zugeladen werden: Körner, Früchte, Nüsse und – ja, sogar Gummibärchen. Das Ergebnis ist eine optimale Balance zwischen Standardprodukt und Individualkunde.
Als sich SAP für Léo Apotheker als (alleinigen) Vorstandschef entschied, ging das Unternehmen ein hohes Risiko ein: es brach mit seiner Tradition. Nach gut drei Jahrzehnten unter einer produktzentrischen Führung saß nun der langjährige Vertriebschef auf dem Topposten in Walldorf. Sein Credo: Markt ist Macht lautet die Kunde des Kunden – und das ging prompt schief. Apotheker musste gehen und der technologieorientierte Aufsichtsrat Hasso Plattner mischte wieder mit. Mit der Doppelspitze aus Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe holt SAP seit einem Jahr nach, was eigentlich hätte der Vorlauf sein sollen: Die Doppelspitze aus kundenorientiertem und produktorientiertem Ressort bereitet den Übergang von einer Company vor, in deren Mittelpunkt einst das Produkt und die Technologie stand und in dem künftig der Kunde und seine Bedarfe stehen sollen.
„Wir müssen dringend handeln“ – der aus dem Zusammenhang einer internen Präsentation geklaubte Satz wirkt wie ein Weckruf, mit dem sich SAP eine neue, stärker auf den Kunden ausgerichtete Identität geben will. Neu aufgestellt in die Sparten „Produkt“ und „Kunde“ will SAP eigentlich das erreichen, was sie marketingtechnisch mit dem Begriff mySAP schon vor einem knappen Jahrzehnt vorweggenommen hatte: Nicht das Produkt gestaltet seinen Markt, sondern der Markt gestaltet sein Produkt. Statt ByDesign künftig eher MyDesign.
Es ist abzusehen, dass Apotheker seine Mission nun bei HP, das eine ähnliche technologiezentrierte Vergangenheit hat, wiederholen soll. Hier geht es allerdings um die Schaffung eines Produktportfolios aus Software und Infrastruktur, ehe der Kunde wieder in den Mittelpunkt rücken kann.
Ähnlich, wenn auch mit scheinbar umgekehrtem Vorzeichen, ist zu verstehen, warum die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin jetzt ihren „Elder Statesman“ Eric Schmidt mit Dank aufs Altenteil verschieben und die Geschicke des Internet-Giganten selbst in die Hand nehmen wollen. Was bislang richtig war, nämlich einen erfahrenen Firmenlenker an die Spitze eines dramatisch wachsenden Konzerns zu stellen, passt nicht mehr in die Gemengelage aus Produkt hier und Kunde dort. Google muss sein Produkt wieder stärker positionieren – insbesondere gegen seinen Herausforderer Facebook. Wie in den Anfangstagen von Google geht es jetzt darum, dem Produkt – diesem Web-Müsli aus Suchmaschine/Geoinformationssystem/Mailservcer/Newsdesk/Einkaufsführer/Cloud Services – wieder klarere Konturen zu geben. Kundenorientierung ist dort gefordert, wo Google komplette Cloud-Infrastrukturen für Großkunden aus dem Öffentlichen Dienst anbieten will. Und genau das wird künftig Eric Schmidts Schwerpunktaufgabe. Googles Wachstumsstrategie heißt Mass Customization: Aus dem Angebot an Internettools soll sich der Surfer die eigene Welle zusammensuchen. (Und im Hintergrund zimmert Google dann ungehindert an den Anwenderprofilen.)
Nirgendwo klappt Mass Customization so gut wie im Internet, wo die Masse – im Falle von Facebook immerhin eine halbe Milliarde Nutzer – mit einem Standardpaket ausgestattet werden, dass sie zu ihrer individuellen Erfahrungswelt im Web auf-, um- und ausbauen können. Es kann nicht überraschen, dass Steve Ballmer für Microsoft ähnliches im Sinn hat. Er hat erkannt, dass die Software aus Redmond sowohl für die Cloud als auch für mobile Endgeräte – also für beide Seiten der Web-Infrastruktur – optimiert werden müssen. Auf der einen Seite steht das Standardprodukt mit seinem Fokus auf einen weltweiten unendlich großen Markt. Auf der anderen Seite der Individualkunde mit seinen differenzierten, individuellen Vorstellungen von der Welt. Dazwischen MyCrosoft, MyGoogle, MySAP und irgendwie auch MyMuesli.