Schleichender Software-Shakeout

Auch wenn die Wolke in der Folge der für Japan tragischen und für die Welt bedrohlichen Katastrophe zwischenzeitlich jene unheimliche Berühmtheit erlangt, nämlich die der Bedrohung durch radioaktiven Fallout, geht es in diesem Blog unverändert um die „Cloud“, die Daten- und Anwendungswolke. Der Blick wendet sich bei allem Mitgefühl für die japanische Bevölkerung ab von den schrecklichen Bildern und beängstigenden Nachrichten – und blickt auf den Aktienkurs des amerikanischen Softwareherstellers Lawson…

Während die Börsen taumeln, stieg der Kurs der Softwareschmiede innerhalb einer knappen Woche um 18 Prozent auf den höchsten Kurswert seit 2002 – nicht etwa, weil das Unternehmen mit Innovationen oder guten Marktzahlen aufwartet. Vielmehr habe sich Lawson angesichts der Herausforderungen, die Software as a Service mit sich bringen, gegen ein Investment in die eigenen Produkte und für einen Verkauf entschieden. Das zumindest ist der Tenor, mit dem Reuters die Nachricht verbreitete, Lawson habe Barclay mit der Suche nach einem Käufer beauftragt. Der Weg zu einer multitenant Software, die sich als OnDemand-Angebot eignet, sei  zu steinig, wird gemutmaßt.

Dass ein Kurs im Angesicht von Verkaufsgerüchten steigt, gehört zu den Grundrechenarten der Börsenarithmetik. Aber dass sich auch binnen 48 Stunden ein Anbieter findet, der diesen Kursanstieg finanzieren will, zeigt, wie sehr die Branche zum proaktiven Shakeout unter der Wolke bereit ist. Mit Infor und seinem Hauptanteilseigner Golden Gate Capital hat sich bereits ein Interessent gefunden, der bereit ist, den – gemessen am langfristigen Kursverlauf der Lawson-Aktie – völlig überhöhten Preis von 11,25 Dollar pro Share auch tatsächlich zu zahlen. Zugreifen! So ein Angebot kommt so schnell nicht wieder.

Lawson gehört zu jenen Softwarehäusern, die mit Software für das legendäre Anwendungssystem/400 (IBM AS/400, später iSeries) in den 80er und 90er Jahren einen Markt und den wirtschaftlichen Erfolg fanden. Und Lawson ist nahezu das letzte globale Softwarehaus, das mit seinem iSeries-Geschäft unabhängig blieb: JD Edwards und Peoplesoft gingen an Oracle; SSA, Mapics und Marcam an Infor; Intentia an Lawson; in Deutschland ging Brain an Infor, SoftM an Comarch. Im Zuge dieses Kaufrausches wurde Infor zum Global Player neben Oracle, SAP und Microsoft. Jetzt könnte Infor noch einmal kräftig zulegen – von 70.000 auf rund 75.000 Kunden weltweit.

Noch hat Lawson nicht zugestimmt. Dem Vernehmen nach sollen auch Oracle, Microsoft, HP, IBM und SAP angegangen worden sein. Doch warum sollten sich diese Konzerne, die mit Volldampf in die Wolke pusten, ein Softwarehaus erwerben, das angeblich für seine Kernprodukte keinen Weg in die Wolke sieht?

Mit dieser mangelnden Perspektive ist Lawson nicht allein. Gerade unter den kleinen und mittelständischen ERP-Anbietern herrscht Unruhe. Der Aufwand für die Marktreife eines global ausgelegten OnDemand-Produkts ist immens. Viele Anbieter haben nicht einmal die Mittel, um das Risiko einzugehen. Sie werden ihr Geschäftsmodell grundlegend ändern müssen. Auf der Generalisierung muss die Spezialisierung folgen – entweder die Festlegung auf ausgesuchte Funktionen oder auf ausgewählte Branchen. SAP, Oracle und Microsoft sind derzeit auf der wilden Suche nach Partnern, die die diversifizierende Cloud bevölkern. Da ist Platz für viele. Der schleichende Software-Shakeout heizt sich bereits wieder auf.

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