Der Koi im Karpfenteich

Die größten europäischen Softwarehäuser, SAP und SAG, entstammen dem Deutschland der  siebziger und sechziger Jahre. Sie sind leicht älter als Oracle (1977) und Microsoft (1975), die größten US-amerikanischen Softwarehäuser. Es ist bemerkenswert, dass jüngere Anbieter bis heute nicht zu dieser Weltmarktgeltung gefunden haben. Erst die erfolgreichen Internet-Startups wie eBay, Google und Facebook schafften wieder den Sprung an die Weltspitze – mit Börsenwerten, die alles bislang Dagewesene in den Schatten stellen.

Nur: die Schwäche der hiesigen Software-Kinderstube setzt sich offensichtlich auch in der Web-Ära fort. Ist es wirklich die strenge Zuchtwahl, die im Haifischbecken des kalifornischen Silicon Valley jenes Dominanz-Gen produziert, das sich im Großraum München, im Rhein-Main-Gebiet oder in der Hamburger Speicherstadt (der Ortsname wäre schon Programm!) oder aber in den Großräumen Paris und London nicht entwickeln kann?

Aus den Erfahrungen einer soeben beendeten US-Reise wird mir deutlich: Es ist die europäische Förderpolitik selbst, die den weltweiten Durchbruch hiesiger Programmierkunst behindert. Wer sich im Dschungel der Förderprogramme zurechtfinden will, muss lernen, mit Ministerialbeamten zu diskutieren. Was er nicht unbedingt lernen muss, ist der Umgang mit dem Kunden, mit Investoren und mit erfolgshungrigen Mitarbeitern. Der Karpfenteich europäischer Softwareförderung ist bestens gehegt. Karpfen können bei guter Pflege bis zu 200 Jahre alt werden – die Abwesenheit eines Hechts im Karpfenteich vorausgesetzt. Aber genau das kann in einer globalisierten Welt ohne regionale Nischen nicht mehr garantiert werden – sollte es auch nicht.

Dass sich unter europäischen Software-Karpfen so manches buntes Zuchtexemplar befindet, beweist die Übernahmeliste der vergangenen zehn Jahre. Allein Infor hat sich als Hecht in der letzten Dekade nicht weniger als ein halbes Dutzend farbenprächtiger Kois aus der Europaklasse einverleibt: darunter Brain, Baan, IncoDev, Infor (das dem Aufkäufer seinen Namen gab) oder Varial. Es bedarf keiner großen prophetischen Gabe, um künftig neben amerikanischen auch indische und chinesische Angler am europäischen Karpfenteich sitzen zu sehen, die die kapitalsten Exemplare aus der Betreuung fürsorglicher Business Angels übernehmen.

Europäische IT-Förderung muss privatisiert und entbürokratisiert werden. Und sie muss vor allem neue Kernkompetenzen außerhalb des Karpfenteichs forcieren. Im Silicon Valley beispielsweise hat der erhebliche Konkurrenzkampf um Kois und Köpfe zu kreativen Fördermaßnahmen geführt: Kurzseminare zu Unternehmensgründungen kommen inzwischen von den Arbeitgebern selbst. Sie sehen einen Vorteil darin, nicht nur Mitarbeiter, sondern Entrepreneurs auf der Payroll zu haben. Die Gefahr, einen Mitarbeiter zu verlieren, wird kompensiert durch die Chance, einen Unternehmer zu gewinnen. Das geht so weit, dass Arbeitgeber selbst ihren auf- und fortstrebenden Mitarbeitern den Zugang zu Venture Capital eröffnen. Schließlich ist man ja in einem Netzwerk nie aus der Welt.

Dagegen ist hierzulande das betriebswirtschaftliche Handwerkszeug vergleichsweise schwach ausgeprägt. Die Defizite beginnen bereits in der Schule, wo Wirtschaftsthemen eine Untereinheit des Sozialkundeunterrichts sind. Und nach dem Studium wird Start-uppern der Zugang zu Venture Capitalists eher durch lustige Dating-Events von Wirtschaftsförderern organisiert als durch gezielte Partnerschaftsbetreuung. Stattdessen sollten Kurse über die Kommunikation mit der Finanzwelt ins Curriculum übernommen werden, die sich weniger damit befassen, wie man VCs trifft, als vielmehr, wie man sie bei Laune hält. Und auch bei der Suche nach internationalen Fachkräften können wir nicht länger Bedingungen stellen (als hätten diese keine Alternativen), sondern müssen auf Angebote umstellen, die von Kindergartenplätzen bis fernöstlichen Essgewohnheiten reichen. Sonst bleibt der europäische Softwaremarkt – von prominenten Ausnahmen abgesehen – weiterhin nichts anderes als Fischfutter.

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