Ist das jetzt eine gewonnene Milliarde oder nur eine nicht verlorene Milliarde? Oder handelt es sich bei der Sensationsstrafe, zu deren Zahlung an Oracle SAP verurteilt worden war, lediglich um eine Schimäre, um nicht zu sagen: Scheinbuchung. SAP hatte bislang keine Rückstellungen in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar errichtet – und hat deshalb jetzt auch keine entsprechenden zusätzlichen Mittel frei.
Dennoch, mit einem leichten Hüpfer reagierte die Börse auf die Entscheidung der kalifornischen Distriktrichterin Phyllis Hamilton, das Aufsehen erregende Strafmaß als „extrem überzogen“ zu kassieren und auf vorerst 272 Mio. Dollar festzusetzen. Was nun passieren wird, liegt wohl mehr oder weniger in Larrys Hand. Entweder gibt sich Oracle mit der guten Viertelmilliarde zufrieden – oder rollt den gesamten Prozess noch einmal auf.
Es gibt viele Gründe für Larry Ellison, Oracles charismatischem Führer, den „Softwareklau“ durch SAPs Tochter TomorrowNow nicht auf sich beruhen zu lassen. Bei Wiederaufnahme des Verfahrens kann noch einmal die ganze Breitseite an Vorwürfen gegen den Erzrivalen vorgebracht werden – und das, obwohl SAP die eigene Schuld längst eingestanden und sich zu entschuldigen versucht hatte. Aber gerade jetzt, wo SAPs Co-CEP Bill MCDermott große Positivwerte in den USamerikanischen Medien für sich und seine Firma verbucht, wäre ein neuerliches Verfahren ein Rückschlag für das Amerikageschäft der Walldorfer Software-Company. Und das ist durchaus im Interesse des Erzrivalen Oracle.
Mindestens ebenso interessant aus Ellisons Perspektive dürfte es deshalb sein, nicht nur Bill McDermott noch einmal vor die „Bench“ zu zerren, sondern einen zweiten Versuch zu unternehmen, den jetzigen HP-Lenker Léo Apotheker in den Zeugenstand zu rufen. Der hatte sich, weil kurz nach Amtsantritt bei HP und auf weltweiter Kennenlerntour unauffindbar, bisher einer Aussage zu den Vorwürfen um TomorrowNow entziehen können. Ob das noch mal gelingt, darf bezweifelt werden.
Damit bleiben die drei Rivalen – SAP, Oracle und Hewlett-Packard – weiterhin auf verhängnisvolle Weise miteinander verwoben: sie können voneinander nicht lassen.
- Auf SAPs Versuch, sich von Oracle-Datenbanken zu befreien, reagierte Ellison mit dem Zukauf von Softwarehäusern. Diese Software-Konkurrenz mag Teile in der SAP zur – inzwischen ja eingestandenen – Spionage verleitet haben.
- Mit der Übernahme von Sun Microsystems durch Oracle erhöhten sich zugleich die Reibungspunkte mit HP. Als dort Mark Hurd der Chefsessel vor die Tür gestellt wurde, nahm Larry Ellison den verletzten Freund in seine Führungsriege. Seit dem stehen auch Oracle und HP gegen einander vor Gericht.
- Und schließlich verdichten sich die Gerüchte, wonach HP auf der Suche nach einem Software-Standbein ist – und SAP würde nicht nur perfekt passen. Es ist auch die Company, die Apotheker aus dem Effeff kennt.
Nicht einmal auf hoher See können sich die Protagonisten und Antagonisten dieser verzwickten Dreierbeziehung aus dem Weg gehen, wie wir aus dem Anekdotenschatz der IT-Szene wissen. Die Kontrahenten sind, wie es Franz Werfel so umwerfend formulierte, “zwistiglich vereint“. Aber dieses Beziehungs-Paradox kann nicht durch Gerichte aufgelöst werden, sondern nur durch unternehmerische Entscheidungen um die richtige Cloud-Strategie. Das ist das wahre Milliardenspiel. Es wird derzeit wie es scheint auf der Klaviatur persönlicher Animositäten gespielt.