Es ist eine bemerkenswerte Perspektive: „Indien verfügt in Kürze über eine ausreichende Anzahl hervorragend ausgebildeter Software-Entwickler, um den Weltbedarf decken zu können“, erklärte letzte Woche der indische Minister für Informationstechnologie, Kapil Sibal, in einem Gespräch mit Wirtschaftsminister Philip Rösler. Die Ankündigung war eher als Verheißung gemeint, denn als Drohung. Denn die Vorstellung, dass es auf globaler Ebene einen Ressourcenmangel im IT-Umfeld praktisch gar nicht gibt – beziehungsweise geben müsste -, ist faszinierend.
IT-Outsourcing (oder eher Sourcing), Off-Shore-Development oder Knowledge Process Outsourcing (Call Center) sind seit den 1990er Jahren bereits bestens bewährte Kooperationsfelder. Sie sind die Ursache für eine beeindruckende Exportquote bei Dienstleistungen. Nachdem 2004 Services erstmals mehr als 50 Prozent zum Bruttoinlandprodukt Indiens beigetragen haben, wurde der Subkontinent ein Jahr später bereits zum weltweit führenden Exporteur von Software und IT-Services – mit mehr als einem Drittel des gesamten Weltbedarfs. Und demnächst traut sich Indien also 100 Prozent zu. Mehr geht ja wohl nicht.
Dazu freilich müsste sich bei künftigen Kunden noch ein deutlicher Mind-Shift vollziehen. Während Partnerschaften mit indischen Konzernen bislang in der Regel nur performten, wenn große Skaleneffekte erzielt werden konnten, sollen künftig auch kleine Projekte und Aufgaben zwischen mittelständischen Unternehmen vorangetrieben werden.
Nun kann man dem einiges entgegenhalten – insbesondere die historisch gefestigte Einsicht, dass der Verzicht auf Produktion in der Regel dem Verlust an Wissen vorausgeht. Sprich: Die Axt im Haus erspart den Zimmerman nur, wenn man sie auch zu gebrauchen weiß.
Ich hatte als Begleitung von Vizekanzler Philip Rösler jetzt die Ehre, diesen Mittelstandsaspekt näher auszuführen. Mein Vorschlag: über die jeweiligen Branchenverbände BITKOM und NASSCOM sollten Partnerschaften zwischen kleinen und mittleren Unternehmen motiviert werden. Dabei sollte es nicht allein um Outsourcing-Themen gehen, sondern um gemeinsame Vertriebs- und Entwicklungsanstrengungen.
Denn eines scheint mir entscheidend: Eine zukunftsorientierte Partnerschaft zwischen beiden Ökonomien kann sich nicht darauf stützen, dass die einen die Arbeit für die anderen erledigen – und damit sukzessive Knowhow abziehen. Es muss umgekehrt deutschem Ingenium auch der Zugang zum indischen Markt gewährt werden. Kaum ein Schwellenland verfügt über eine derart hohe Zahl an bestens ausgerüsteten Produktionsunternehmen – zum Beispiel im Bereich Chemie/Pharma -, die internationalen Standards genügen. Dies sind nicht notgedrungen Tochtergesellschaften globaler Konzerne, sondern klassisch mittelständische Unternehmen, mitunter inhabergeführt, nicht selten im Privatbesitz. Sie haben einen erheblichen Bedarf an Unternehmenslösungen, wie sie gerade in Deutschland entwickelt und implementiert werden.
Um den mittelständischen Charakter dieser Partnerschaft zu unterstreichen, hat sich Minister Sibal für einen schlanken Abstimmungsprozess ausgesprochen, der in den kommenden Monaten die Themen- und Aktionsfelder ausloten soll. In Dreiergruppen sollen so grundlegende Themen wie eCommerce, eGovernment, eHealth abgesteckt und konkrete Handlungsvorschläge vorgelegt werden. Die Minister Rösler und Sibal waren den aus der Theorie der Schwarmintelligenz entlehnten Dreier-Arbeitsgruppen gegenüber sehr aufgeschlossen – offen blieb allerdings bislang ihre Besetzung.
Ein Deutscher, ein Inder, ein Schriftführer – wäre die naheliegende Belegung. Ein anderer ebenso pragmatischer Vorschlag wäre hingegen – ein Anbieter, ein Anwender, ein Berater. Wollen wir nur hoffen, dass die klassische Ausstattung die Ausnahme bleibt: ein Beamter, ein Politiker, ein Jurist.