Mehr Leitung, weniger Leute

Eigentlich ist es kaum zu fassen: Deutschland ist einer der größten Telekommunikationsmärkte der Welt – und der Platzhirsch im Lande kämpft mit sinkenden Umsätzen. Doch heftiger Preiskampf im eigenen Land, schwieriger Zugang zu Wachstumsmärkten in Schwellenländern, das (vorerst) ohneiPhone-Spritze lahmende Geschäft im weltgrößten Telekommunikationsmarkt USA und schließlich ein überdurchschnittlich hoher Personalkostensockel machen es der Deutschen Telekom so richtig schwer durchzustarten.

Das soll jetzt anders werden: Rund 30 Milliarden Euro will der Konzern in den kommenden drei Jahren in den Ausbau der Infrastruktur stecken – und damit neue Umsatzquellen und Wettbewerbsvorteile erlangen. Dazu gehört der Ausbau des schnellen VDSL-Netzes. Zudem soll die Vectoring-Technologie, die eine Erhöhung des Durchsatzes auf 100 Megabit pro Sekunde erlaubt, forciert werden. Dann, so hofft Telekom-Chef René Obermann, sei der Tempo-Rückstand gegenüber den Kabelanbietern ausgeglichen. 24 Millionen Haushalte sollen in den Genuss des Turbo-Internets gelangen.

Auch mobil soll mit der Verbreitung der LTE-Technik kräftig zugelegt werden: 85 Prozent der Smartphone-Benutzer – also praktisch der deutschen Bevölkerung – sollen bis 2016 in den Genuss der Long Term Evolution gelangen. Dann sind 300 Megabit pro Sekunde keine Utopie mehr. Wie ernst es die Telekom mit diesen Investitionen meint, beweist die Tatsache, dass die liebgewordene 70-Cent-Dividende auf einen halben Euro gekappt wurde, um so die nötige Liquidität zu behalten.Allerdings: Auch Vodafone und O2 (Telefonica) investieren hier.

Der Unterstützung der Regierungsbehörden und Wirtschaftsverbände dürfte sich René Obermann indes sicher sein. Denn der flächendeckende Ausbau des Internets ist das Kernstück der vierten industriellen Revolution, auf die sich der siebte deutsche IT-Gipfel im November eingeschworen hat. Deutschland soll die modernste Web-Infrastruktur der Welt erhalten und mehr und mehr Kooperation und Kollaboration über das Internet erlauben.

Aber nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Organisationen soll durch die höheren Bandbreiten beflügelt werden. Vor allem der unablässige Austausch von Daten und Datenpaketen zwischen Maschinen wird die „Industrie 4.0“ beflügeln. Zwar rechnet man insgesamt mit einem Investitionsvolumen von 130 Milliarden Euro, ehe die vierte Generation flügge geworden sein wird. Aber eine Fraunhofer Studie im Auftrag des Branchenverbands BITKOM hat schon jetzt errechnet, dass sich allein in der Aufbauphase schon gesamtwirtschaftliche Effekte von rund 330 Milliarden Euro ergeben. Verbesserte Prozesse in der Supply Chain, die Vermeidung von Doppeluntersuchungen im Gesundheitswesen, weniger Staus im Personal- und Güterverkehr und eine Verringerung beim Stromverbrauch sind die Effekte, die dieses Einsparungspotenzial bringen.

Doch auch wenn die vierte industrielle Revolution neue Umsätze in die Kassen der Deutschen Telekom spülen wird – mehr Leitung allein reicht nicht beim Streben nach mehr Profitabilität. In den vergangenen fünf Jahren hat der Telekommunikationskonzern bereits 20.000 Personalstellen abgebaut – auf nunmehr 121.000 Mitarbeiter. Gerüchte, dass weitere 12.000 Arbeitsplätze zur Disposition stehen, seien „völliger Unsinn“, heißt es aus Firmenkreisen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich die dialektische Abwärtsspirale von „abstrus“ über „durchaus möglich“ bis zur vollendeten Tatsache schnell drehen kann. Mehr Leitung, weniger Leute – auch das ist eine Konsequenz aus „Industrie 4.0“

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