Der Problem Computer

Es ist jetzt satte drei Jahrzehnte her (Ende 1982), dass das amerikanische Nachrichtenmagazin Time den Personal Computer zum Titelheld seiner Serie „Man of the Year“ (später: „Person of the Year“, aber noch nie: „Thing of the Year“) erhoben hatte. Was damals weitgehend unter der Decke gehalten wurde, war der Richtungsstreit, der in der Redaktion über die Frage entbrannt war, ob die Ikone des Personal Computings nun Steve Jobs oder Bill Gates oder Andy Grove sein sollte. Der PC auf dem Titelblatt war in gewisser Weise ein fauler Kompromiss.

Aber das war der Personal Computer eigentlich schon immer. Er brachte Rechenleistung und damit persönliche Computing-Power auf den Schreibtisch um den Preis der Zusammenarbeit. Denn während im Mainframe-Universum alle auf einem System arbeiteten, wurschtelte jeder am PC in eigenen Daten und Anwendungen herum. Erst die Terminal-Emulation (der PC stellt sich dumm) und das LAN (der PC kommt an die Leine) beendeten dieses Chaos. Aber ein Problem Computer blieb der PC eigentlich immer.

Jetzt scheint es, als habe der PC das Ende seines Lebenszyklusses erreicht. Als Desktop hat er praktisch ausgedient, als Laptop befindet er sich in Rückzugsgefechten gegenüber Smartphones und Tablets. Als Netbook hat er bereits das Zeitliche gesegnet. Nachdem 2012 kein gutes Jahr für PC-Verkäufe war, hatten eigentlich alle Marktauguren für das laufende Jahr eine leichte Belebung durch Windows 8 vorhergesagt. Doch die Zahlen des ersten Quartals, die IDC jetzt vorlegte, zeigen alles andere als eine Erholung: 76.3 Millionen Stück bedeuten einen Rückgang um 14 Prozent gegenüber dem vergleichbaren (bereits schlechten) Vorjahreszeitraum. So herb war die Abrisskante noch nie.

Und da Windows 8 bereits als mutmaßlicher Verursacher der (freilich ausgebliebenen) Belebung auserkoren war, liegt es jetzt für viele Analysten nahe, dem Touch-Betriebssystem auch die Schuld am Einbruch bei den Stückzahlen zu geben. Das Microsoft-Bashing geht damit in eine neue Runde. Windows ohne den gewissen Touch zerstöre den PC-Markt, Windows mit dem gewissen Touch sei nicht gut genug für den Tablet-Markt. Windows acht ist längst geächtet.

Dabei ist Microsoft weder für den Aufstieg des PC-Markts, noch für seinen Abstieg allein verantwortlich. Die Redmond-Company profitierte von einer Graswurzel-Bewegung, die für mehr Freiheit auf dem Schreibtisch plädierte, und sie leidet jetzt unter einer Massen-Bewegung, die sich für mehr Freiheit vom Schreibtisch entscheidet. Das Nachrichten-Magazin Time hatte das übrigens nicht nur längst erkannt, sondern auch bereits honoriert: mit dem „Du“ (You) als Person of the Year des Jahres 2006. You, das war der World-Wide-Webonaut, der sich übrigens nicht nur Information at his (or her) Fingertips besorgte, sondern sich auch online zu Protestbewegungen verabredete. Das brachte ihm 2011 noch einmal den Titel „Person of the Year“ ein – als Protestler oder Wutbürger.

Machen wir uns nichts vor: Der PC stirbt nicht an einem möglicherweise unzureichenden Produkt wie Windows 8. Der Problem Computer erstickt allmählich an seinem eigenen Overhead. Wenn Mitarbeiter jetzt ihr eigenes Endgerät in die Arbeitswelt mitbringen und sich dabei immer häufiger für online-gebundene Tablets entscheiden, dann kehren sie zu einer Architektur der zentralen Rechenzentren zurück, weil dies weniger Administration, weniger Datenmanagement, mehr Ausfallsicherheit, mehr Komfort – und vor allem mehr Kollaboration bedeutet.

Wer 1982 entgegen dem Hype rund um den PC dem Problem Computer ein baldiges Ende vorhergesagt hatte, dürfte jetzt allmählich recht bekommen – nur viel später als vermutet. Doch ohne den Problem Computer würde es die wahre PC, die Personal Cloud, nicht gegeben haben. Es ist vielleicht zu früh für einen Nachruf auf den Personal Computer, aber es ist nicht zu spät, sich auf die Personal Cloud einzustellen.

Übrigens: Andy Grove bekam dann doch noch die Auszeichnung „Person of the Year“ – 1997, mit 15 Jahren Verspätung. Und auch Bill Gates brachte es in gewisser Weise zu dieser Auszeichnung – 2005 als „guter Samariter“ zusammen mit seiner Frau Melinda und vielen anderen Großspendern. Nur Steve Jobs blieb diese Auszeichnung versagt. Aber der war ja auch immer eher ein Problem Computermann…

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