Globale Positionsbestimmung

Die Wirklichkeit erweist sich ja immer wieder als Regiekönig, wenn es darum geht, Tragödien und Komödien die treffsichere Pointe aufzusetzen. Nach einer Woche Generaldebatte – oder sollten wir sagen: Generalabrechnung mit der Digitalen Agenda, meldet Arianespace, dass der fünfte und sechste für das Globale System zur Positionsbestimmung, Galileo, ins All geschossene Satellit die Zielumlaufbahn um schlappe 6000 Kilometer verpasst hat. Ob es sich nun um einen derben Rechenfehler gehandelt haben mag oder um einen Defekt in der russischen (!) Trägerrakete Sojus, bleibt noch abzuwarten. Nebenbei gefragt: Warum eigentlich Sojus und nicht die mit europäischem Steuergeld entwickelte Ariane 5? Eins aber hat das ohnehin um sechs Jahre verspätete und um das Dreifache (mindestens) verteuerte System, das uns unabhängig vom amerikanischen GPS machen soll, schon jetzt erreicht: eine wahrhaft beschämende Globale Positionsbestimmung Europäischer Großtechnik: allenfalls unterer Durchschnitt!

In diese Einstufung hatten sich auch schon zuvor die drei für die Digitale Agenda zuständigen deutschen Bundesminister für Inneres, Wirtschaft und Infrastruktur eingereiht. Zwei große Themen sollen bis nach der nächsten Bundestagswahl nun aber wirklich, wirklich endlich einmal angegangenen werden: der flächendeckende Breitbandausbau und die verbesserte IT-Sicherheit.

Mit welchen Mitteln und vor allem aus welchen Mitteln – diese Frage bleibt vorerst unbeantwortet. Statt eine Vision zu vermitteln warnte das ministerielle Dreigestirn vor einer Dystopie, einer negativen Utopie: vom Daten-Tsunami sprach der eine, von einer Anschnallpflicht auf der Datenautobahn der andere. Der Duktus klang eher so, als müsse man den deutschen Internet-Michel vor Gefahren bewahren. Dass die Digitale Agenda (und ihre Verwirklichung oder Nicht-Verwirklichung) die Geschäftsprozesse der deutschen und europäischen Wirtschaft nachhaltiger beeinflussen wird als – sagen wir mal: der Mindestlohn oder die Rente mit 63 klang nicht an.

Denn tatsächlich arbeiten wir doch mit dem Konzept „Industrie 4.0“ ganz erheblich daran, zu einem Daten-Tsunami beizutragen. Es handelt sich nicht um eine Gefahr von außen, die eingedämmt gehört, sondern um eine Geschäftschance von innen heraus, der breiterer Raum gelassen werden sollte. Natürlich auch mit hoher Übertragungsrate von 50plus. Aber das ist doch keine Agenda für den Wirtschaftsstandort Deutschland im Jahr 2018, wenn andere Länder bereits „freie Datenfahrt für freie Bürger“ bei Tempo 100 flächendeckend anpeilen!

Auch das IT-Sicherheitsgesetz klingt eher nach Verordnungsbetrieb, als nach wirtschaftlicher und technologischer Aufholjagd. Dabei wären die Argumente für eine Europäische Cloud im „sicheren Hafen“ nie besser als heute. Daraus ließe sich Industrie-Politik der ersten Güte bereiten, wenn Anreize für europäische oder zumindest deutsche IT-Provider geschaffen würden, eine auf Schnelligkeit und Sicherheit ausgerichtete Cloud-Infrastruktur von Weltformat zu schaffen. Die Welt zu Gast auf europäischen Datenservern – das wäre eine Vision.

China hat diese Visionen nicht nur, sondern setzt sie auch konsequent um. Für Oktober wird die unter dem Arbeitstitel COS (China-Betriebssystem) gehandelte Systemsoftware für klassische Computer und ab Frühjahr 2015 für Smartphones erwartet. Es verbandelt – ähnlich wie die USA – nationale Interessen mit technologischen Entwicklungen. Das Ziel ist klar: Google mit Android, Apple mit iOS und Microsoft mit Windows 9 sollen aus dem Milliardenmarkt China ausgesperrt werden.

Europa verfolgt keine protektionistische Abschottungspolitik. Das hat unsere freie Wirtschaft gar nicht nötig. Aber es geht auch nicht darum, die Europäische Datenschutzrichtlinie auf amerikanischen Servern zu etablieren. Es geht darum, aus Europäischen Standards internationale Wettbewerbsvorteile zu generieren. Stattdessen auf Visionen zu verzichten oder bestehende Perspektiven zu verdaddeln, wie man das am Beispiel Galileo miterleben und miterleiden muss, ist keinesfalls in Ordnung. Im Gegenteil: es ist fahrlässig.

Wir wollen „Industrie 4.0“ und wir wollen die sichere und schnelle Infrastruktur, die dafür nötig ist. Wir wollen Technologie vor allem fördern und nicht vor allem vor ihr bewahrt werden. Die Digitale Agenda hat ihre Zielsetzung beinahe ins Gegenteil verkehrt. Sie ist auch eine Globale Positionsbestimmung. Und die ist derzeit niederschmetternd.

 

 

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