Welche Plattform hätten´s denn gern?

Ich bin ein echtes Nachkriegskind – am 9. Mai 1945 geboren. (Ich teile diesen Geburtstag übrigens mit Drafi Deutscher.) Ich habe sozusagen gewartet, bis „die Luft rein“ ist, ehe ich mich auf diese Welt begeben habe. Seitdem aber gehe ich kaum einem Streit aus dem Weg…

Als ich mit 35 Jahren mein Unternehmen gründete, die GUS Group, die sich auf Unternehmenslösungen für die Prozessindustrie und die Logistik spezialisiert hat, ahnten wir kaum, was für eine Revolution mit der Digitalisierung des persönlichen Arbeitsplatzes losgetreten werden würde. Statt Personal Computing war für mich vor allem die sogenannte Mittlere Datentechnik das Szenario, auf das sich mein Startup gründen sollte. Und damit landete die Company inmitten eines erbitterten Stellungskriegs zwischen unterschiedlichsten Hardwareplattformen: hier die IBM /3x-Familie, dort die Nixdorf 8870 gerade oder ungerade, daneben Siemens und andere zur IBM 4300 steckerkompatible Systeme. Wir hatten uns allen Plattformen gleichermaßen verschworen und wurden zwischen ihnen aufgerieben, weil wir die Software dafür parallel und unabhängig voneinander entwickeln mussten. Ein Kraftakt, von dem wir uns beinahe nicht erholt hätten…

Kaum hatten wir jedoch mit der IBM AS/400 zum Ende der achtziger Jahre ein halbwegs sicheres Fahrwasser gefunden (und als erster Mittelstandspartner der IBM in Europa eine kooperative Marketingstrategie erfunden), hatte der Personal Computer die Ära des Client/Server-Computings eingeläutet, die uns erneut dazu zwang, eine Plattform-Entscheidung zu treffen.

Doch als sich in diesem Stellungskrieg der Staub gelichtet hatte, war schon längst das – zunächst belächelte – World Wide Web als Plattform der Zukunft aus dem Nebel aufgetaucht. Wir adaptierten auch diese neue Welt, indem wir vor jede Lösung ein kleines „e“ hängten. Da viele glaubten, mit dem vorgehängten „e“ sei die neue Plattform bereits erreicht, stürzten sie in die größte Spekulationsblase der Nachkriegsgeschichte.

Heute suchen wir die richtige Plattform in der Cloud. Sie wird nicht mehr durch Hardware geformt, nicht mehr durch eine Software-Architektur definiert, sondern durch ein Geschäftsmodell bestimmt. Die Plattform ist – bei aller Technik, die zu ihrer Verwirklichung notwendig ist – vor allem eine Idee. Eine Plattform in der Cloud kann Infrastruktur oder Software als Service anbieten. Sie kann aber auch Gelegenheiten, Kontakte, Wertschöpfungsketten oder ganz allgemein Ressourcen bereitstellen: Facebook, die größte News-Seite der Welt, produziert keine Inhalte. Uber, das weltweit größte Taxi-Unternehmen, besitzt keine Fahrzeuge. AirBnB, dem größten Bettenvermieter der Welt, gehört kein Hotel und Alibaba, der wertvollste Händler der Welt, besitzt kein Lager.

Oder auch: Apple, der Betreiber des größten App-Stores der Welt, produziert kaum eigene Software. Die Diskussionen auf Microsofts Entwickler-Konferenz Build deuten in die gleiche Richtung. Die Software, die die Plattformen Windows10 und Azure erfolgreich machen soll, kommt nicht von Microsoft, sondern von Unternehmen, die derzeit vielleicht noch nicht einmal gegründet worden sind. IBM tauscht nicht nur sein Vertriebsteam, sondern auch seine Unabhängigen Softwarepartner im großen Stil aus. Und eine der größten Cloud-Plattformen überhaupt – Salesforce.com – steht plötzlich zum Verkauf.

Heute ist mein Unternehmen so alt wie ich war, als ich es gründete: 35 Jahre. In diesen dreieinhalb Jahrzehnten haben wir ein knappes Dutzend Plattform-Entscheidungen zu treffen gehabt. Und wir stehen erneut vor der vieles entscheidenden Frage: Welcher Partner bietet die richtige Grundlage für unser künftiges Kerngeschäft?

Wie alle Software-Anbieter im industriellen Umfeld werden wir diese Entscheidung gleich mit der nächsten Plattform-Wahl zusammenlegen müssen: Welche Cloud-Strategie ist die richtige, wenn der Mittelstand in den nächsten Jahren im großen Stil in die Digitalisierung der Fertigungswelten investiert. Sind die bestehenden Cloud-Plattformen auch die richtige Basis für „Industrie 4.0“?

Und auch die übernächste Plattform-Frage wird sich stellen: Welches soziale Netz bietet die richtige Plattform für ein kundengetriebenes Geschäftsmodell? Sollen wir das Firmengeschick der Spaßgesellschaft unter Facebook, den Interessenskreisen von Google+ oder den Berufs- und Karriere-Plattformen anvertrauen?

Je mehr sich die Dinge ändern, umso mehr bleiben sie gleich: Die Gründungsphase meines Unternehmens und vieler anderer Softwarehäuser, die sich der Mittleren Datentechnik verschrieben hatten, war geprägt von plattformbezogenen Richtungsentscheidungen. Das ist heute keineswegs anders: „Welche Plattform hätten´s denn gern“ ist die ewige Gretchenfrage der Informationswirtschaft. Ich erlebe sie mit 70 als genauso spannend wie mit 35.

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