Diskussionsbedarf

Es ist ein regelrechter Shitstorm, der in der vergangenen Woche über das Bundesfinanzministerium hinweg zog. „Wortbruch“ wurde da den Beamten rund um Finanzminister Wolfgang Schäuble vorgeworfen. „Ungeschickt“, war da noch eine eher harmlose Beurteilung auf der nach oben offenen Erregungsskala. Dabei hatten die Referenten nicht mehr und nicht weniger getan als einen Auftrag des Bundesrats getreulich auszuführen. Die Länder hatten zuvor nämlich beklagt, dass Gewinne aus Streubesitz-Beteiligungen wie derzeit üblich nahezu steuerfrei bleiben, wenn Veräußerungsgewinne sofort wieder investiert werden, und Abhilfe gefordert.

Der entsprechende „Diskussionsentwurf“, der jetzt an die Verbände gegeben wurde, frustriert vor allem die Startup-Szene, die darin kein gutes Signal für Wagniskapitalgeber sieht. Die Bundesregierung breche ihr Versprechen, die Finanzierungsbedingungen für Startups nicht zu verschlechtern, ärgert sich beispielsweise der Vorsitzende des Start-up-Verbands, Florian Nöll, der eine riesige Empörungswelle in der Szene ausgemacht hat. Auch der Digitalverband Bitkom, der noch zuletzt den Erledigungsgrad der Digitalen Agenda gelobt hat, bedauert, dass die Bundesregierung bei der Ermunterung der Gründerkultur in Deutschland hinter ihren Ankündigungen zurück bleibt. Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert Christian Schatz vom Bundesverband Deutscher Kapitalgesellschaften (BVK) mit einer bündigen Zusammenfassung: „Der Entwurf verschlechtert das Gesamtbild, das Deutschland als Gründernation abgibt. Wir brauchen Maßnahmen, die das Geld von Investoren anlocken und es nicht vertreiben.“

Dabei ist das zarte Pflänzchen Wagniskapital in Deutschland in den vergangenen Jahren eigentlich ganz gut gewachsen. Von den rund 7 Milliarden Euro, die im vergangenen Jahr durch im BVK vertretene Beteiligungsgesellschaften investiert wurden, gingen knapp zehn Prozent in Seed-, Startup-, und Last-Stage-Projekte rund um Unternehmensgründungen. Und die die weltweite Startup-Szene beobachtenden Analysten von Compass sehen mit Berlin erstmals eine deutsche Region unter den Top Ten der weltweiten Gründerzentren. Hier habe sich das eingesetzte Venture Capital in den letzten Jahren auf zwei Milliarden Dollar sogar verdoppelt. Mau, sagt der Compass-Kompass, sei es in Berlin allenfalls noch bei den Exits.

Dabei zielt der Diskussionsentwurf des Bundesfinanzministeriums gar nicht einmal ausschließlich auf die Gründerszene. Der Entwurf soll für alle Kapitalgesellschaften gelten. Allerdings wirkt er sich insbesondere in der Gründerszene aus, weil dort das Reinvestment von Veräußerungsgewinnen zum Standard-Geschäftsmodell der Wagniskapitalgeber gehört. Nach der bisherigen Regelung ist die Steuerlast ohnehin eigentlich nur so lange gestundet, wie das Geld in neue Investments fließt. Hier winkt das Bundesfinanzministerium am Ende der Investitionskette mit einem Steuerrabatt von 30 Prozent. Aber, das hilft der Szene nicht – und führt auch nur zu mehr Bürokratie im Umverteilungsprozess, sagen inzwischen selbst Vertreter der Unionsfraktion im Bundestag. Auch aus den Reihen der SPD gibt es Schelte. Inzwischen wird auch für die im Herbst erwartete Vorlage zum Venture-Capital-Gesetz Übles befürchtet.

Die Gründerszene setzt derweil auf Vorne-Verteidigung. Der jetzt beanstandete Entwurf gilt bislang lediglich als Diskussionsgrundlage. Von einem Gesetzestext ist das Papier noch weit entfernt. Aber der Shitstorm, der sich aus dieser Diskussion erhoben hat, sollte dem Finanzministerium als Warnung dienen. Denn mit einer Schwächung der gerade erst erstarkenden Gründerszene, die mit dem Abdrehen des Geldhahns ihre Grundlage verlieren würde, schwächt die Bundesregierung auch den Mittelstand von morgen. Und dann, wenn Deutschlands wirtschaftliches Rückgrat einen wirtschaftspolitischen Bandscheibenvorfall erleidet, herrscht erst so richtig Diskussionbedarf.

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