At the Hub

Auf dem Weg in die Digitalisierung ist Höchstgeschwindigkeit gefordert. Das war das Mantra der „hub conference“ in Berlin, zu der vergangene Woche der Hightech-Verband Bitkom eingeladen hatte. Dabei dachten aber die meisten Teilnehmer auf den Bühnen und in den Auditorien an so etwas wie eine organische Migration vom Analogen zum Digitalen. So sehen sich nach einer Studie, die Bitkom Research mit Blick auf den großen Digital-Event in ausgewählten Branchen durchgeführt hatte, vor allem Automobilbauer und Finanzdienstleister in zehn Jahren an der Spitze der Digitalisierung.

Doch diese Selbsteinschätzung könnte trügerisch sein. Denn allmählich manifestiert sich die Erkenntnis, dass Höchstgeschwindigkeit vielleicht nicht schnell genug sein könnte. Der Grund: Schneller als der Wandel im Unternehmen könnte der Handel mit Unternehmen sein. Denn die Cyber-Imperien der Zukunft werden möglicherweise nicht aufgebaut, sondern zusammengekauft.

Kein Geringerer als Karl-Theodor zu Guttenberg deutete diesen Weg aus transatlantischer Perspektive und störte damit ein wenig die „Wir-sind-doch-gar-nicht-so-schlecht“-Stimmung, in die sich die Mainstream-Redner, unter ihnen der für den Digitalen Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar Andrus Ansip, eingekuschelt hatten. „Wir sollten stolzer auf die europäische Start-up-Szene sein“, hatte Ansip den Grundkonsens der hub conference angestimmt und damit vor allem die Sektoren eHealth, Robotics, Embedded Systems und das Internet der Dinge gemeint.

Doch es wäre wohl der Alptraum der siegesgewissen Automobilbranche, wenn beispielsweise Apple den Elektromobil-Spezialisten Tesla übernehmen und zu einem „Autonomobil“-Bauer schmieden würde. Zwar sieht zu Guttenberg, der sich als Berater in den USA und als Investor intensiv mit der Internetszene auseinandergesetzt hat, in der schillernden Person von Elon Musk den wichtigsten Hinderungsgrund für einen solchen Deal. Aber Apples Portokasse ist derzeit so gut gefüllt, dass sich der iKonzern sein diversifizierendes Cyber-Imperium schlicht zusammenkaufen könnte. Dass Diversifizierung die Rückseite der Digitalisierung werden soll, hat schon Google mit der Umstrukturierung und Neubenennung als „Alphabet“ deutlich gemacht.

Deshalb besteht für Unternehmen in Europa wie in den USA oder Asien die wichtigste Herausforderung nicht einmal darin, so schnell wie möglich die eigenen Geschäftsprozesse zu digitalisieren, sondern die Vielfalt des durch Digitalisierung Möglichen zu erkennen und auf die richtige Diversifizierungsstrategie zu setzen, ehe es die andern tun. Der aktuellen Bitkom-Studie zufolge sehen sich etwa 62 Prozent der Medienunternehmen, 53 Prozent der Banken und 45 Prozent der Auto- und Pharma-Unternehmen in naher Zukunft mit neuen Wettbewerbern aus der Digitalbranche konfrontiert. Umgekehrt erkennt nahezu jeder (92 Prozent der Befragten) die Chance, selbst in eigenen und anrainenden Marktsegmenten erfolgreich zu sein.

Dass auch die Highflyer der digitalen Welt nicht vor der disruptiven Wirkung bislang unbekannter Wettbewerber gefeit sein werden, formulierte Karl-Theodor zu Guttenberg in einer weiteren These: Unter den jetzt gefeierten „Unicorns“, den rund hundert mit einem Marktwert von mehr als einer Milliarde Dollar bewerteten Internet-Startups, sieht er eine Reihe von Todgeweihten, die Opfer der von ihnen selbst losgetretenen digitalen Revolution werden. Dazu würden vor allem die gehören, die nicht unmittelbar nach der stürmischen Wachstumsphase in die Diversifizierungsphase einschwenken.

Denn die Impulskraft, mit der die Digitalisierung alles und jeden verändert, ist unwiderstehlich. Durch die technologische Veränderung werden nicht die Geschäftsmodelle einer Branche, sondern des gesamten Wirtschafts- und Soziallebens umgeworfen. Kein Wunder also, meint Guttenberg, dass die Politik mit den Veränderungen nicht mehr Schritt halten kann. Ja, so warnt er, noch nie waren Politik und Wirtschaft inhaltlich und gedanklich so weit auseinander.

Es gibt nicht mehr den zentralen Gestaltungsgedanken. Nicht mehr den Fokuspunkt, auf den zu konzentrieren Weisung und Lenkung verspricht. Niemand ist mehr im Zentrum – „at the hub“.

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