…und keiner geht hin!

Dem Fußballverein Hertha BSC ist soeben erstaunliches gelungen: Er hat in weniger als zehn Minuten – nein: kein Spiel gedreht, sondern einen Kredit von einer Million Euro aufgenommen. Dazu musste kein zeichnungsberechtigter Vereinsvertreter in einer Berliner Bankfiliale erscheinen. Der Kredit wurde bei den Fans aufgenommen – in Werten von 100 bis 10000 Euro, die über das Internetportal von Kapilendo gezeichnet werden konnten. Auch die Fans mussten dafür nicht ins Stadion kommen. Crowdlending nennt man das. Zehn Minuten! In dieser Zeit hat der Bankangestellte noch nicht einmal seinen Kreditantrag aus der Schublade geholt.

Amazon geht offensichtlich demnächst den exakt entgegengesetzten Weg. Der Lieferlogistiker „für so gut wie fast alles“ machte erst den Buchläden Konkurrenz, bis dort kaum einer mehr hinging. Jetzt eröffnet Amazon eigene Buchläden. Das gleiche Modell wird offensichtlich bei Modeartikeln wiederholt, bei denen Amazon und Zalando hierzulande dem Einzelhandel das Leben schwer machen. Niemand muss mehr drei Jeans überm Arm jonglieren, um in engen und muffigen Kabinen das passende zu finden. Wer aber den Stoff fühlen, die Farbe bei Tageslicht sehen will, der kann sich das Einkaufserlebnis durch den Ladenbesuch gönnen. Demnächst auch, wie es heißt bei Amazon Showrooms in den ansonsten entvölkerten Innenstädten.

Die physische Anwesenheit wird immer weniger zwingende Voraussetzung für eine geschäftliche Transaktion. Sie erhält aber überall den Kann-Status, wo haptische Erfahrungen die Produktauswahl erleichtern. Das hat Amazon erkannt. Das haben aber auch die Fintech-Anbieter erkannt, die den Gedanken des besuchsfreien Online-Bankings auf nahezu alle Geldgeschäfte und Finanztransaktionen ausweiten. Der Begriff Bank könnte über kurz oder lang wieder exklusiv für jenes Möbelstück bereitgehalten werden, auf denen im Florenz der Renaissance tatsächlich die ersten Bankgeschäfte getätigt wurden. Der Shop wandert ins Internet, der Showroom aber kehrt in die Ladenlokale zurück.

Und man muss auch nicht mehr zur Messe für die Digitale Zukunft – früher bekannt unter dem Namen Centrum für Bürokommunikation, Informationstechnik und Telekommunikation, kurz: CeBIT – nach Hannover aufbrechen, um die Neuheiten der digitalen Revolution zu begutachten. Das Medium der Wahl ist das Internet selbst, das täglich 24 Stunden geöffnet hat und nicht nur an fünf oder sechs trüben Märztagen seine Tore öffnet.

Das ist das Fatum der CeBIT, dass ihr Schwerpunktthema selbst die Abschaffung der klassischen Kultur des Meeting und Greeting ist. Sowenig wie das Geschäftsleben eines Geschäftsraumes bedarf, so wenig braucht die Messe noch eines Ausstellungsgeländes. Insofern ist es stattlich, dass rund 200.000 Besucher den Weg nach Hannover gefunden haben. Dass kaum noch einer dafür Eintritt zahlt, ist kaum mehr als eine Randnotiz wert. Denn der Hauptaufwand besteht in der Reise selbst und dem damit verbundenen Zeitaufwand. Da ist es nur folgerichtig, dass die Aussteller durch Ticketquoten den Eintritt zahlen.

Aber eine Messegesellschaft lebt davon, dass ihre Fazilitäten genutzt werden. Es wäre ein leichtes für die Deutsche Messe, das CeBIT-Ereignis in eine ganzjährig verfügbare App zu kleiden, in der Novitäten und Nutzungsmöglichkeiten präsentiert werden. Versuche, Messestände in die virtuelle Erlebniswelt zu verlagern, gab und gibt es zu Hauf. Ein überbordender Erfolg ist ihnen bislang aber nicht beschieden. Es muss doch etwas dran sein, an diesem Welcome-Wahnsinn, der auf Messeständen herrscht. Trotz Smartphone, WhatsApp und Videokonferenz tun wir eine Woche lang immer noch so, als ginge die Welt unter, wenn man sich nicht träfe – hier im Centrum der BIT-Ökonomie.

Und doch muss sich was ändern. Die CeBIT muss physischer werden. Sie muss eine Erlebniswelt aufbauen, die es online eben nicht gibt. Dazu können sich die CeBIT-Macher an den Kollegen von der Industriemesse orientierten, die Menschen, Maschinen und Motoren zusammenbringen. Das geht, weil hier was steht dreht und greift, sich dreht und befördert. Die CeBIT muss weg vom Abstrakten zum Konkreten. Sie muss die Digitale Zukunft im wahrsten Sinne des Wortes greifbar machen. Platz wäre ja da…

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