Germany First!

Neulich wetterte Kolumnist Alard von Kittlitz in der „Zeit“ herrlich mitreißend gegen diesen „anhimmelnden Standard-Valley-Berichterstattungs-Sound“, ohne den kaum eine Dokumentation über das Silicon Valley auszukommen scheint. Und er fragt: „Wie kann es sein, dass niemand dem Valley in seiner Aufgeblasenheit widerspricht? Warum ist der Diskurs dermaßen devot?“

Hat er Recht? Die Transatlantikflüge sind voll von Reisegruppen, deren Mitglieder im Tal bei San Francisco vom Googleplex bis zum Stanford Campus pilgern. Kaum ein Industrieboss, der nicht von seiner persönlichen Hadsch ins Mekka der Startups zurückkehrt und geläutert verkündet, dort müsse man gewesen sein, dort sei der wahre entrepreneurial Spirit zu Hause. Nur mit einer Dependance hat man drüben eine Chance.

Es stimmt ja auch. Die rohen Zahlen sprechen für sich: auf jedes europäische Einhorn – also ein Startup mit mehr als einer Milliarde Dollar Marktkapitalisierung – kommen alleine in dieser Region zehn Neugründungen mit diesem Mindestmarktwert. Unter den größten Startup-Regionen ist das Silicon Valley mit Abstand das größte. Und unter den nächsten neun größten Startup-Regionen sind wiederum vier weitere aus den USA.

Aber es stimmt ja eben auch nicht. Es ist weniger der Geist als vielmehr das Geld. Was das Silicon Valley groß gemacht hat, sind die Förderdollars aus dem Pentagon. Was es groß hält, sind die Wahnsinnsgewinne aus der Wall Street. In den Vereinigten Staaten befinden sich etwa 200 Venture Capital Gesellschaften, die über ein Anlagevermögen von mehr als 100 Millionen Dollar verfügen – jede für sich, versteht sich. In Deutschland kommt man vielleicht auf zehn. Weniger als eine Milliarde Euro werden hierzulande pro Jahr an Wagniskapital ausgeschüttet, sagt der Bundesverband Deutscher Beteiligungsgesellschaften. In den USA wurden schon 2015 nach Angaben der National Venture Capital Association (NVCA) in Washington umgerechnet 53 Milliarden Euro ausgeschüttet.

Aber allmählich werden etablierte Namen wie e.ventures (mit der Otto Group als Hauptinvestor), Axel Springer Digital Ventures und Earlybird oder Holtzbrinck Venture angereichert um eine neue Generation von Venture Capital Gesellschaften. Wer in der Gründerszene-Datenbank nichts findet, hat nicht richtig gesucht. Zusätzlich Bewegung bringen inzwischen Industrie-nahe Beteiligungsgesellschaften ins Geschäft mit den Startup-Acceleratoren. Bosch, Daimler und wer etwas auf sich hält unter Deutschlands globalen Spielern betreibt inzwischen mindestens einen Inkubator, eine Brutstätte für digitale und industrielle Neugründungen.

Reichlich unbemerkt von der Öffentlichkeit haben sich im vergangenen Jahr Vertreter namhafter europäischer Familienunternehmen zu einer Risikokapitalgesellschaft unter dem schönen (wenn auch leicht mafiös anmutenden) Namen „La Famiglia“ zusammengetan. Unternehmerfamilien wie Swarovski, Solvay, Fürstenberg, Viessmann, Miele, Siemens und Conrad haben einen „mittleren zweistelligen Millionenbetrag“ zusammengelegt. Sie wollen nicht nur Startups fördern, sondern vor allem die Vernetzung von Old und New Economy, von digitalen Neugründungen und innovativem Mittelstand voranbringen.

Hier – und nicht im beliebigen Clonen bereits ausgelutschter Gründerideen – liegt die Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir dürfen die aufstrebende Gründergesellschaft nicht gegen die bestehende Wirtschaft mit ihren Branchenschwerpunkten Automobil, Maschinenbau, Chemie und Elektro ausspielen. Wir müssen sie vielmehr zusammenbringen. Immer mehr Stiftungen, Inkubatoren und Acceleratoren haben genau das zum Ziel.

Aber es liest sich halt so schön gruselig, wenn da geschrieben steht, dass Berlin nicht mehr die größte Startup-Region Europas ist, sondern auf Platz vier abgerutscht ist. London hat seinen zwischenzeitlich verlorenen Spitzenplatz wieder eingenommen, weil rund um den Silicon Roundabout im Osten der britischen Hauptstadt unverdrossen innoviert, investiert und spekuliert wird. Aber ist das wichtig?

Wie heißt es so schön beim Fußball, wenn´s nicht richtig läuft: „Wir schauen nur auf uns“. Und das heißt in diesen Tagen eindeutig nicht devot: „Germany First“ – auch wenn´s derzeit nur für einen vierten Platz reicht. Wir brauchen eine selbstbewusste Digitalstrategie für alle, nicht nur für die hippen Neugründer, sondern für die ganze Wirtschaft. Alles andere sind doch nur alternative Fakten…

 

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