Trade in Germany

Es bedarf schon einer besonders gekonnten dialektischen Pirouette, wenn man gegen den sich in den Vereinigten Staaten von Amerika abzeichnenden Protektionismus ein Zeichen der Offenheit setzen will und das unter der Überschrift „Made in Germany“ tut. Aber genau das ist den führenden Wirtschaftsverbänden, die am Rande der Handwerksmesse in München mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentrafen, gelungen. „Was uns stark macht“, definierten BDA, BDI, DIHK und ZDH zusammen mit dem Kanzleramt in einem Positionspapier, das im Vorfeld des Münchner Spitzengesprächs der Deutschen Wirtschaft vereinbart wurde.

„Was uns stark macht“, lässt sich demnach in drei Schwerpunkte – mit jeweils unterschiedlichem regionalem Bezug – fassen: freier Handel in offenen internationalen Märkten, ein starkes Europa und ein wettbewerbsfähiges Deutschland. Diesen Dreisprung gaben die Vertreter der Spitzenverbände, Dieter Kempf (BDI), Ingo Kramer (BDA), Hans-Peter Wollseifer (ZDH) und Ralf Kersting für den DIHK der Kanzlerin am Vorabend ihrer USA-Reise mit. Neben dem Zustand der deutschen Wirtschaft war deshalb vor allem der Zustand der deutsch-amerikanischen Beziehungen das Thema des Spitzengesprächs.

Immerhin hängt in Deutschland, so erinnerten die Wirtschaftsvertreter in ihrer Standortbestimmung, jeder vierte Arbeitsplatz direkt oder indirekt vom Export ab. Deshalb sollen bilaterale und internationale Beziehungen wie sie im CETA-Abkommen mit Kanada erfolgreich begründet wurden, weiter ausgebaut. Ob die Kanzlerin damit freilich im Weißen Haus Gehör finden wird, darf getrost bezweifelt werden. Allerdings dürfte der „Deal-Maker“ im Oval Office es verstehen, wenn ihm Szenarien ohne „Made in Germany“ und „Trade with Germany“ vorgestellt würden.

Protektionismus hat noch nie geholfen – jedenfalls nicht auf lange Sicht. Ein Grund mehr, auch die Integration der Europäischen Union weiter voranzutreiben und die Gemeinschaft strukturell mit dem Ziel umzubauen, Produktivität und Wachstum zu stärken, meinen die Wirtschaftsverbände. Allerdings fordern sie zugleich weniger Zentralgewalt und dafür mehr Subsidiarität und Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten.

Vor allem soll Deutschland fit für die Digitalisierung werden. Dazu wiederholten die Wirtschaftsvertreter ihr Mantra vom flächendeckenden Netzausbau und beklagten zugleich den erheblichen Nachhol- und Beschleunigungsbedarf. Ebenfalls auf der Wunschliste steht die Durchsetzung flexibler Arbeitsmodelle, die der Tatsache Rechnung tragen sollten, dass die Wertschöpfung immer häufiger ungebunden von festen Arbeitszeiten und Arbeitsplätzen erfolgt. „Die sich rasch entwickelnde Plattformökonomie“, so das Positionspapier zum Münchner Spitzengespräch mit der Kanzlerin, „muss allen Unternehmen größenunabhängig faire Wettbewerbspotenziale eröffnen.“

Auch das – ebenfalls zutreffende – Mantra von einer gestärkten beruflichen Bildung als Voraussetzung für ein „Future Made in Germany“ war in München zu hören. Dies gelte insbesondere für die Vermittlung digitaler Kompetenzen. Ihre persönlichen „digitalen Kompetenzen“ bewies die Kanzlerin in der Runde mit rund 150 Unternehmern und Verbandsvertretern, als sie in ungewohnt launiger Art und Weise aufzeigte, wie zum Beispiel Handwerksbetriebe neue Geschäftsprozesse und Produkteigenschaften durch die Umsetzung der Digitalisierung in ihren Betrieben erreichen können. Vom Schornsteinfegermeister in Dresden bis zum Inhaber einer mittelständischen Feingießerei in Bad Lobenstein ging die Fragerunde, die die Kanzlerin 90 Minuten lang bediente. Dabei stand der Kurort im Thüringer Schiefergebirge sinnbildlich für den Flächenausbau mit Glasfaserkabeln. In einer vernetzten Welt ist das Netz schon jetzt ein ebenso zentraler Wirtschaftsfaktor wie die nächste Autobahnauffahrt und der Gleisanschluss. In einer immer mehr auf digitale Dienste ausgelegten Wertschöpfung dürfte es aber noch an Bedeutung gewinnen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel war sichtlich in ihrem Element, als es um Fragen der Digitalisierung ging. Wie schon auf dem IT-Gipfel in Saarbrücken im vergangenen Oktober beweist die gelernte Physikerin, dass ihr das Thema liegt. Eine ähnlich lockere Atmosphäre wäre ihr bei ihrem Treffen mit dem US-amerikanischen Präsidenten zu wünschen – aber das wäre wohl ein alternatives Faktum, wenn nicht gar Fatum.

 

 

Pizza CeBIT: Einmal mit alles

Hannover ist jetzt nicht unbedingt als das Zentrum bekannt, wo der Bär steppt – aber dieses Jahr dürfte die CeBIT zu einem der spannendsten Events an der Leine werden. Dazu trägt vielleicht weniger die etablierte IT-Wirtschaft bei als vielmehr CeBIT-Fremdlinge wie zum Beispiel die Automobilindustrie. Deren CIOs treffen sich bereits zum neunten Mal auf der automotiveIT. Der Kongress zur CeBIT hat durchaus Krisencharakter, denn die Herausforderungen, vor die der digitale Wandel gerade die Automotive-Industrie stellt, sind gewaltig: Elektromobilität, neue Mobilitätsdienstleistungen, autonomes Fahren, Industrie 4.0.
Das zeigt sich auch bei den Ausstellern: Nach der CES in Las Vegas, der Mobile World in Barcelona und dem Genfer Autosalon sind die Autobauer jetzt auch als Aussteller in Niedersachsens Hauptstadt aufgefahren. Nissan zum Beispiel hat sich von der IAA in Frankfurt vorerst abgewandt, dem Mekka der blanken Karossen, um seine Innovationen auf der CeBIT zu präsentieren. „Seamless Autonomous Mobility“ ist die aus einzelnen „Mobilitätsmanagern“ bestehende Vorstufe zum vollautonomen Fahren. Und damit will Nissan die CeBIT „bespielen“, wie es Nissan-Geschäftsführer Thomas Hausch so nett formuliert.
So werden aus Anwendern Aussteller. Volkswagen hatte schon im letzten Jahr zusammen mit SAP ein Hackathon veranstaltet, um junge und/oder talentierte Entwickler für die gemeinsamen Architekturen zu interessieren. Seit VW mit Moia eine 13. Marke für Mobiltätsdienstleistungen aufgemacht hat und damit nicht nur in direkter Konkurrenz zu Car2Go (Daimler) und DriveNow (BMW) steht, sondern auch gegen den Taxi-Wettbewerber Uber, ist die CeBIT ein interessantes Heimspiel für die Wolfsburger.
In der Tat: Die CeBIT geht bei der Digitalisierung raus aus dem „Labormodus“, wie es CeBIT-Vorstand Oliver Frese nennt, und zeigt auf dem ganzen Messegelände Anwendungsbeispiele. Neben den Wachstumsthemen Künstliche Intelligenz, Robotik oder Industrie 4.0 werden wie beim Branchenthema Automotive vor allem Kongresse das Geschehen begleiten. Die Deutsche Messe folgt damit an ihrem Heimatort einem Konzept, das die CeBIT bereits exportfähig gemacht hat: Messe, Meetings, Menschen.
Zur Konkretisierung des Digitalen tragen übrigens auch die rund 120 erwarteten Aussteller aus dem Partnerland Japan bei. Dabei ist noch nicht sicher, ob Nippons Premierminister Shinzo Abe neben Bundeskanzlerin Angela Merkel die Messe eröffnen wird. Das von ihm ins Leben gerufene Regierungsprogramm „Society 5.0“ ist jedoch überall in konkreten Beispielen zu sehen. Dabei geht es um nicht weniger als um die großen Herausforderungen, mit denen die japanische Gesellschaft zu kämpfen hat: Überalterung der Bevölkerung, Umweltverschmutzung, Schutz vor Naturkatastrophen, technologischer Wandel und damit Umwertung der Werte. Der japanische Industrieverband Keidanren hat dazu ein Thesenpapier formuliert, auf das die gesamte japanische Gesellschaft eingeschworen werden soll: die Erneuerung des Rechtssystems, die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, das Schließen von Bildungslücken in Sachen Digitalisierung, die Behebung des Fachkräftemangels und die Schaffung einer verbesserten Akzeptanz der Modernisierungsanstrengungen in der Bevölkerung.
Es ist ja nicht so, als wäre nicht auch hierzulande ein digitaler Ruck nötig. Mit dem Konzept, die Digitalisierung erlebbar zu machen, Anwender als Aussteller zu gewinnen und aus Technologiethemen einen gesellschaftlichen Diskurs anzuregen, könnte sich die CeBIT wieder stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bewegen. Diesem Konzept folgt auch der Hightech-Verband Bitkom, der mit seinem „hub@cebit“ einen bunten Katalog an digitalen Produkten zeigt – vom Auskunftsroboter Paul bis zum Arbeitshandschuh Proglove, der für Gestensteuerung, Scannen und Feedback gut sein soll – also im besten Sinne „für alles“.
Den einen Trend jedenfalls gibt es nicht auf der CeBIT. Die CeBIT-Pizza ist reich belegt mit Anwendungsbeispielen und Umsetzungsvorschlägen für den digitalen Wandel. Das macht doch Appetit auf eine CeBIT-Pizza „einmal mit alles“.