170511 BDIBDA

Schmerztherapie

Die Nachrichten könnten kaum besser sein: der deutsche Außenhandel hat im März das stärkste Monatsergebnis überhaupt hingelegt. Waren im Wert von 118,2 Milliarden Euro wurden international verkauft. Und als wäre es eine direkte Antwort auf die internationale Schelte über den deutschen Exportüberschuss legte auch der Import mit rund 93 Milliarden Euro kräftig zu. Damit schloss die deutsche Wirtschaft ein äußerst erfolgreiches erstes Quartal 2017 ab – und das, nachdem bereits 2016 mit 1,2 Billionen Euro grandios verlaufen ist.

Als super, möchte man meinen. Doch Hans-Toni Junius, der Vorsitzende des gemeinsamen BDI/BDA-Mittelstandsausschusses im Bundesverband der Deutschen Industrie, warnt: „Die Politik lässt sich von guten Wirtschaftszahlen blenden und erkennt nicht, dass der Leidensdruck im Mittelstand steigt. Es ist ein Alarmsignal, dass die Innovationstätigkeit seit einigen Jahren abnimmt.“ Als eine Art Schmerztherapie legte der BDI deshalb jetzt Handlungsempfehlungen vor, die vor allem die Investitionen in die digitale Infrastruktur stärken sollen. Aber auch hausgemachte Schmerzpunkte müssen behoben werden: So überaltert die Geschäftsführung im Mittelstand zusehends – und mit dem Alter sinken, das beweisen Studien, sowohl die Investitionsbereitschaft als auch die Innovationsfähigkeit.

Am meisten, so beklagt Junius, leide der Mittelstand unter den Bürokratielasten – eine Kritik, in der sich die etablierten Unternehmen im Einvernehmen mit Startups und Venture Capitalists wissen. Auch nach der von Edmund Stoiber geleiteten Entbürokratisierungsinitiative drücken die Belastungen etwa aus Umwelt-, Energie-, Steuer- und Sozialgesetzgebung unverändert besonders auf mittelständische Unternehmen.

Als Beispiel rechnet der BDI in seinen Handlungsempfehlungen die im internationalen Vergleich sehr hohen Energiekosten durch, bei denen hierzulande der staatliche Anteil bei bis zu 54 Prozent liegt. Wettbewerber in den USA und Großbritannien hätten hier nur eine halb so hohe staatliche Belastung zu stemmen.

In einer Paraphrase auf das bekannte Brandt-Wort forderte Junius, die Politik müssen „mehr Wirtschaft wagen“. Als Beispiel nennt der BDI in seinen Handlungsempfehlungen die Tatsache, dass Deutschland eines der wenigen Länder sei, das auf das Instrument der staatlichen Forschungsförderung verzichte. In der Folge ist der Beitrag der Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern für Forschung und Entwicklung auf 8,3 Milliarden Euro oder 16 Prozent der Gesamtleistung für Innovationen gesunken. Bei Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern liegt der Anteil nur bei elf Prozent. Der Mittelstand zieht sich also mehr und mehr aus der Innovationstätigkeit zurück.

Ein Forschungsbonus aber, so die Rechnung des BDI, würde vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen zusätzliche Anreize geben, in die Erneuerung ihrer Prozesse und Produkte zu investieren. Gerade mit Blick auf das Internet der Dinge und der darauf aufbauenden vierten industriellen Revolution sind erhebliche Investitionen in noch unerforschte Technologien und Geschäftsmodelle vonnöten. Hier Anreize zu schaffen, wäre in der Tat eine Maßnahme für künftiges Wachstum und einen wettbewerbsstarken Mittelstand.

Wettbewerbsstärke wird sich aber in der Zukunft vor allem dadurch zeigen, dass Unternehmen einer ganzheitlichen Digitalisierungsstrategie folgen. Nach Umfragen des ZEW sind es bislang weniger als ein Viertel der mittelständischen Firmen, die sich hier zu einer 360-Grad-Umsicht auf den digitalen Wandel durchringen konnten. Die Politik muss hier investiv bis 2025 nicht nur die Umsetzung der Gigabit-Infrastruktur flächendeckend erreicht haben, sondern auch gesetzgeberisch für die Rahmenbedingungen für mehr Sicherheit der Daten und der Informationstechnik sorgen.

Und während der Mittelstand insbesondere durch den Fachkräftemangel ausgebremst wird, obwohl junge Deutsche unverändert lieber in ein Arbeitsverhältnis wechselten als sich selbständig zu machen, sollten die Rahmenbedingungen für industrielle Existenzgründungen weiter optimiert werden. Dazu gehört einerseits eine verbesserte Ausbildung, die ein besseres Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge mit einbezieht. Andererseits sind es aber gerade die industriellen Startups, die – im Unterschied zur Digitalwirtschaft – mit hohen Anfangsinvestitionen zu kämpfen haben. Hier müsse die Politik einen leichter zugänglichen Finanzierungsrahmen schaffen.

Nie waren die Zeiten so günstig, um mit einer dezidierten Mittelstands- und Gründerpolitik die Bedingungen für das morgige Wachstum zu schaffen und zugleich im internationalen Digitalisierungswettlauf Boden gut zu machen. Hier besteht in der Tat deutlich Luft nach oben: im OECD-Vergleich liegt der Exportweltmeister Deutschland in Sachen Digitalisierung auf einem blamablen 28. Platz – von 32 Ländern.

Die Schmerztherapie im Mittelstand muss deshalb sowohl am Symptom als auch an der Ursache ansetzen: Dort, wo die Rahmenbedingungen verbessert werden können, muss dies zügiger geschehen als bisher. Aber für den Mittelstand gilt auch: Die Rückkehr zur legendären Innovationsbereitschaft ist die beste Voraussetzung für Wachstum in der Zukunft.

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