Was könnte man mit 34 Milliarden Dollar alles anfangen? Zum Beispiel ein gutes Schock Startups finanzieren, von denen dann die Hälfte zu Unicorns heranwachsen würde. Zum Beispiel ein eigenes autonom operierendes elektrisches Fliege-Fahrzeug bauen, mit dem man den gesamten Globus ausstatten könnte. Zum Beispiel eine Mars-Mission finanzieren, die allerdings außer Ruhm nicht viel einbrächte. Zum Beispiel den Welthunger lindern, die Bildungsmisere meistern, das Weltklima retten…
Ach, was soll´s. Man kann auch nur einfach zu einem völlig überzogenen Preis einen Open-Source-Anbieter wie Red Hat übernehmen. Das ist so phantasielos, dass eigentlich nur IBM auf eine solche Idee kommen konnte. Seit Jahren übernimmt Big Blue getreu einer selbstverordneten Strategie Unternehmen mit Investitionen im drei- bis vierstelligen Millionenbereich, um sie weitestgehend reibungslos, aber zumeist auch folgenlos in die eigene Organisation einzubauen. Buy a little, try a little. Irgendwie war immer genug Gewinnüberschuss da, um sich diese kleinen Eskapaden zu leisten.
Und jetzt Red Hat – für 34 Milliarden Dollar! Das sind 60 Prozent Aufschlag auf den Börsenwert zum Zeitpunkt der Bekanntgabe! Mehr als das Hundertfache des Nettogewinns. Mehr als das Zehnfache des Jahresumsatzes. Sicher „Die Übernahme von Red Hat verändert alles in dem Spiel“, wie IBMs Chefin Ginni Rometty frohlockte. Aber das ist auch kein Kunststück bei einem Investment, das den drittgrößten Deal in der gesamten IT-Geschichte darstellt.
Freilich ist Red Hat längst nicht nur ein Open-Source-Anbieter, sondern durchaus eine dominierende Kraft im Markt für Hybrid-Clouds. IBM katapultiert sich damit wieder an die Spitze in einem rasch wachsenden Markt. Denn ohne Open Source ist die Cloud nicht denkbar. Beide leben von der Community, die Ressourcen gemeinsam nutzt und durch Teilen mehr erhält. So wie Cloud-Infrastrukturen mehr Sicherheit und mehr Flexibilität für alle bedeuten, so bedeuten Open-Source-Umgebungen kürzere Entwicklungszeiten. Die Dynamik, die sich aus der gemeinschaftlichen Pflege einer Infrastruktur ergibt, hat bislang noch jede proprietäre Umgebung hinter sich gelassen. Das musste IBM in vielen negativ verlaufenen Quartalen erst mühsam lernen.
Insofern ist der Kauf von Red Hat auch eine Reaktion auf die jüngste Übernahme von GitHub durch Microsoft. GitHub bedient ebenfalls eine Open-Source-Community, indem hier eine Entwicklungsumgebung für offene Anwendungen bereitgestellt wird. Microsoft will damit die Dynamik für neue Cloud-Services auf seiner Azure-Plattform beflügeln. Vor allem im Bereich künstlicher Intelligenz sucht Redmond die Flucht nach vorn.
Hier kann es sich IBM in der Tat nicht leisten, zurückzubleiben. Die Übernahme von Red Hat hat aber durchaus etwas von einer Verzweiflungstat. Es wird sich jetzt zeigen müssen, was IBM daraus macht. Kaputtintegrieren wäre das schlechteste, was passieren könnte. Für eine lose Anbindung hätte allerdings auch eine exklusive Kooperation gereicht. Der Versuch, nun den Markt auszuhebeln und Red Hat jetzt die Zusammenarbeit mit Konkurrenten wie Microsoft, Oracle oder SAP zu verbieten, wäre ein Rückschritt in die Marktmechanismen des Mainframe-Mittelalters.
Und wie werden diese Anbieter reagieren, wenn sie künftig befürchten müssen, dass geteilte Knowhow nach IBM abfließt. Die Open-Source-Bewegung ist eine Macht, aber sie ist so verletzlich wie die Demokratie. Immerhin waren es IBM und auch Microsoft, die lange Zeit nach dem Motto vorgingen: Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein. Jetzt wandeln sich beide zum Open-Source-Paulus. Ob das geht?