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Optimistische Schwarzseher

„Wie immer“, möchte man sagen, blickt der deutsche Mittelstand mit Sorgen in die Zukunft. Und auch optimistisch – angesichts der sich selbst diagnostizierten Innovationskraft und Exportorientierung. Das zeigt jedenfalls die aktuelle Mittelstandsstudie der Commerzbank. Ein gutes Dutzend dieser Mittelstandsbefragungen sind seit der Finanzkrise von der Commerzbank in Auftrag gegeben worden. Und geradezu gebetsmühlenartig wiederholen die mittelständischen Entscheider darin ihr Mantra von der ungewissen Zukunft, den Unwägbarkeiten der Gegenwart und der Tatsache, dass man aus der Vergangenheit keine Lehren ziehen könne, außer der: „Et hätt noch emmer joot jejange.“

In der aktuellen Studie geben 64 Prozent der befragten Mittelständler zu Protokoll, dass sie insgesamt geringere Planungssicherheit erwarten, und beinahe ebenso viele – nämlich 61 Prozent – rechnen mit einer generellen konjunkturellen Eintrübung. Unter den Exporttreibenden ist diese Erwartung sogar noch düsterer: 70 Prozent von ihnen sehen geringere Planungssicherheit und 65 Prozent eine generelle Eintrübung. Und bei den Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz sind die Werte mit 75 respektive 73 Prozent sogar noch pessimistischer.

Dabei sind die Ursachen – zumindest in der Einschätzung der mittelständischen Entscheider – zu gleichen Teilen im In- und Ausland zu suchen. Denn jeweils 37 Prozent der Befragten sehen als Anlass für den gemäßigten Pessimismus die zunehmenden Handelsbarrieren in bestehenden Auslandsmärkten oder die geringere Nachfrage im deutschen Markt. Nur jeder Fünfte kann den Handelskonflikten zwischen anderen Ländern wie zum Beispiel den USA und China positive Effekte für deutsche Unternehmen abgewinnen.

Die „optimistischen Schwarzseher“ vertrauen jedoch auf ihre eigene Innovationskraft und schöpfen Hoffnung aus der Suche nach neuen Absatzmärkten. 68 Prozent wollen die Innovationstätigkeit erhöhen, 63 Prozent durch die Digitalisierung von Produkten und Prozessen. Dabei ist es aufschlussreich, dass Unternehmen unter 25 Millionen Euro Umsatz diese beiden Optionen seltener wählen – nur 67 beziehungsweise 61 Prozent der Nennungen – und Firmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz diese Strategien häufiger ins Kalkül ziehen: 78 und 79 Prozent der Nennungen.

Kleinere Unternehmen sehen ihre Zukunftsstrategie eher darin, sich auf die eigenen Kernprodukte zu konzentrieren, statt zu expandieren. Dass allerdings gerade die Konzentration auf Kernprodukte eine verstärkte Anreicherung dieser Angebote durch digitale Services nach sich ziehen würde, wird in dieser Studie nicht herausgearbeitet. Dabei ist genau dies die Quintessenz der digitalen Transformation: Digitalisierung dient nicht in erster Linie zur Optimierung der bestehenden Prozesse und Produkte, sondern soll dabei helfen, die bisherigen Angebote durch Cloud-Services so anzureichern, dass sich Verkaufs-Plattformen für Zusatzgeschäfte ergeben. Dann kommen neue Absatzmärkte und Vertriebskanäle praktisch von selbst.

Auch die Suche nach neuen Partnern außerhalb der eignen Branche wird kaum in Betracht gezogen. Stattdessen schaut der Mittelstand auf seine langjährigen Partner in Finanz und Politik. Die einen sollen sich stärker bei der Absicherung von Finanzierungen engagieren und als Berater dabei helfen, bürokratische Hürden bei der Eroberung neuer Auslandsmärkte zu nehmen. Von den anderen erwartet der Mittelstand eine einheitliche europäische Haltung in den Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China.

Überhaupt China: die mittelständischen Entscheider haben nach eigenen Angaben inzwischen mehr Vertrauen in das fernöstliche Land mit seinen gigantischen Absatzmärkten als in den langjährigen Partner USA mit seinen politischen Ungereimtheiten und seinen deutlich gesättigten und zugleich abgeschotteten Märkten. Doch China ist ein gefährliches Pflaster: Gerade dort sollten sich Unternehmen mit überdurchschnittlicher Digitalkompetenz ausstatten. Es geht nicht nur darum, mit den großen Datenkraken von Alibaba bis Tencent mitzuhalten, sondern auch, sich in einem Markt zu behaupten, in dem das Internet weniger Freiheit und mehr Kontrolle bedeutet. Es steht zu befürchten, dass die Mittelständler ihre eigene Innovationskraft in diesem Punkt deutlich überschätzen. Das gäbe dann wirklich Anlass zu Schwarzseherei.

 

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