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Eine solche Szene wäre im deutschen Fernsehen undenkbar: Jim Cramer, eine US-amerikanische TV-Persönlichkeit mit einer eigenen Show rund ums Geld unter dem Titel „Mad Money“, wurde in einer Talkrunde bei CNBC nach seiner Meinung zu der weiteren Entwicklung von Microsoft gefragt. Und statt eines Tech-Talks folgte eine glühende Liebeserklärung an Microsofts CEO Satya Nadella. Er sei „voller Ehrfurcht vor dem, was er in den letzten fünf Jahren“ geleistet habe. Seine Leistung mache Amerika wieder groß.
Und das über den ersten nicht-amerikanischen CEO bei Microsoft, der im indischen Hyderabad aufwuchs, an der University of Wisconsin at Milwaukee studierte, seit einem guten Vierteljahrhundert bei Microsoft arbeitet und vor fünf Jahren das Amt des Vorstandsvorsitzenden vom glücklosen Steve Ballmer übernahm, und der in diesen Tagen seinen 52sten Geburtstag feierte. In diesen fünf Jahren wuchs der Marktwert von Microsoft um 200 Prozent und rangiert in der One-Trillion-Region“.
US-amerikanische Talkrunden funktionieren nach dem immer gleichen Prinzip: Nicht einer, sondern zwei Experten, werden vom Anchor Man gleichzeitig zu einem Thema befragt. Und der Wettstreit um Sendezeit wird folglich nicht über Konsens, sondern entschiedenen Dissens ausgetragen. Jim Cramer wurde ausfallend, als ihm entgegnet wurde, Satya Nadellas Reputation sei vielleicht deshalb so hoch, weil die Erwartungen an ihn zunächst so gering gewesen seien. Daraufhin brach es aus Cramer heraus: Er, Cramer, habe schon viel Dreck über CEOs ausgeschüttet, aber dieser Mann sei so demütig, so bescheiden, so leise und – so süß.
Undenkbar, solche Worte über einen deutschen Dax-Kapitän zu hören – egal ob im öffentlich rechtlichen Rundfunk oder im privaten Fernsehen. Aber was sagt nun der knallharte Faktencheck über die Leistung des Mannes, der eine beinahe abgesagte Firma wieder auf Kurs gebracht und mit seiner „Intelligent Cloud – Intelligent Edge“-Strategie Windows aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit herausgerissen und an seine Stelle die Cloud-Plattform Azure gesetzt hat?
- Alles in drei Töpfen: Microsoft hat seine Produktpalette in drei Sparten aufgeteilt: „Productivity and Business Processes“ mit Office 365, der Kommunikations-Plattform Skype, dem soziale Netzwerk LinkedIn und der ERP/CRM-Suite Dynamics 365; „Intelligent Cloud“ umfasst die Cloud-Plattform Azure, die Entwicklungsplattform Visual Studio sowie Windows Server; Windows selbst, die Spiele-Konsole Xbox, Microsoft Surface Tablets, die HoloLens und die Suchmaschine Bing werden unter „More Personal Computing“ zusammengefasst. – Der größte Teil des Umsatzes kommt aus den ersten beiden Töpfen und damit dem Business to Business.
- KI für alle und alles: Obwohl der Begriff „Künstliche Intelligenz“ sich allenfalls im Namen der Sparte „Intelligent Cloud“ niederschlägt, sind Technologien wie Analytics, Machine Learning oder Cognitive Computing inzwischen in praktisch allen Produktangeboten enthalten. Und rund um Azure entsteht eine mehrere Millionen umfassende Entwickler-Gemeinde, die mit Open Source, KI-Development Kits und Cloud Services ausgestattet wird.
- Alles für die Cloud: Und umgekehrt bereichert praktisch jede Produktankündigung das Cloud-Angebot auf der Azure-Plattform. Damit nutzt Microsoft die Metriken der Plattform-Ökonomie auf allen Ebenen: beim Deployment der Produkte im Unternehmen; bei den Incentive-Modellen der (leider noch zu wenigen) Cloud-Partner; bei der Migration der Kunden-IT in die Cloud; und bei der Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle der Kunden, die ihre Produkte durch Cloud-Services erweitern.
- Alles „for the greater good“: Und seit einigen Monaten kombiniert Microsoft seine Produkt-Angebote mit altruistischen Ambitionen im Sinne sozialer Verantwortung mit zahllosen KI-Projekten im Gesundheitswesen, zur Erhaltung der Biodiversität, in der Agrarwirtschaft und in der Entwicklung von Smart Cities.
Wenn Satya Nadella Mitarbeitern, Partnern und Kunden vorrechnet, dass Wachstum für ein Tech-Unternehmen in diesen Tagen keine große Sache sei, weil der Anteil von Technologie-Investments am globalen Bruttoinlandsprodukt sich von derzeit fünf auf zehn Prozent verdoppelt, dann klingt das in der Tat demütig, bescheiden und leise. Er überspielt dabei, dass es einer enormen Anstrengung bedarf, diesen wachsenden Bedarf inhaltlich zu verstehen und mit den entsprechenden Angeboten zu bedienen. Das scheint ihm derzeit wie keinem anderen zu gelingen. Gäbe es mehr wie ihn an den Schaltstellen von Politik und Wirtschaft, wäre Amerika wahrhaftig wieder groß und nicht nur großmäulig.