200727 Panik

Pandemie-Panik

 

Während die Pandemie-Experten in Deutschland vor einer zweiten Infektionswelle warnen und vor allem diejenigen zurückzuhalten versuchen, die in der Urlaubszeit mit den Hufen scharren und als einstudiert geglaubte Hygienemaßnahmen vergessen, hat die zweite Welle im globalen Maßstab längst eingesetzt. Vor allem die Länder, in denen Populisten und Pandemie-Leugner am Ruder sitzen, sind mit Neuinfektionen von mehr als 100.000 Erkrankten pro Tag geschlagen: allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Regierung erratisch zwischen Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie wechselt. Wer mag da schon Prognosen für das nächste Quartal, das nächste Halbjahr oder gar das kommende Jahr abgeben.

Deutlich wurde diese Verunsicherung jetzt bei der Verkündung der Zahlen für das vierte Geschäftsquartal von Microsoft und die Reaktion der Börsen darauf. Wie anders als mit Verunsicherung kann man erklären, dass Microsoft bei Umsatz und Gewinn zwar die Erwartungen der Analysten pulverisierte, dafür aber gleichzeitig mit einem Kurseinbruch von drei Prozent abgestraft wurde? Gewinnmitnahmen der Aktienverkäufer sind ein klares Indiz für die Erwartung, dass es nun besser nicht mehr werden kann. Möglicherweise sind das erste Anzeichen einer Pandemie-Panik der zweiten Welle.

Dabei hat Microsoft selbst kräftig dazu beigetragen, die Hoffnungen auf weitere gute Quartale zu trüben. Die Schließung der Microsoft Stores, die Diskussion über die Entlassung von rund 1000 Mitarbeitern, die Schwächeanfälle einiger mittelständischer Certified Partner, auf deren Erfolg der Erfolg von Microsoft zu 90 Prozent – gemessen am Umsatz – beruht, haben dazu beigetragen. Auch der jetzt vom EuGH gekippte Privacy Shield-Vertrag zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zum Thema transatlantischen Datentransfers hat dafür gesorgt, die Zuversicht in die US-amerikanischen Cloud-Giganten – neben Microsoft vor allem Amazon Web Service – zu schmälern. Allein die Schließung der physischen Läden kostete Microsoft nach Berechnungen von Analysten fünf Cent möglichen Gewinns pro Aktie – bei einem ausgewiesenem Gewinn von 1,46 Dollar pro Aktie. Die Analysten hatten mit 1,36 Dollar gerechnet.

Solche Einschnitte unternimmt man am besten, wenn man es sich leisten kann. Und Microsoft kann es sich leisten. Der operative Gewinn in den Monaten April bis Juni war mit 13,4 Milliarden Dollar um acht Prozent höher ausgefallen als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Das ist eine ansehnliche Rendite von 35 Prozent bei einem Umsatz von 38 Milliarden Dollar. Dazu trug die Intelligent Cloud-Sparte mit 13,4 Milliarden Dollar, der Bereich More Personal Computing mit 12,9 Milliarden Dollar bei. Die Transformation ins Cloud-Business ist nun also auch in den Zahlen deutlich zu erkennen, wobei allerdings immer noch nicht aufgedröselt wird, welchen Anteil dabei die Cloud-Plattform Azure hat und was auf das Konto der Cloud-Lösungen Office 365 und Dynamics 365 geht. Aber dass Microsoft vor Kraft kaum laufen können würde, nachdem die Unternehmen im Corona-Lockdown die globale Flucht in die Wolke angetreten hatten, kommt nicht überraschend.

Davon ist Microsoft selbst betroffen: die jährliche Auftaktveranstaltung fürs neue Geschäftsjahr – die Inspire 2020 – fand virtuell statt, was allerdings dem Charme, der Aufbruchsstimmung und der Fülle an neuen Produktankündigungen – vor allem in den Cloud-orientierten Angeboten – keinen Abbruch tat. Und dennoch warnt Microsoft in der Prognose, dass der Wettbewerb in allen Produktbereichen härter werde und der Erfolg von der Schnelligkeit und Qualifikation aller Akteure abhängen wird. „Microsoft geht es gut, wenn es unseren Partnern gut geht“, hatte Microsofts CEO Satya Nadella zur Begrüßung dem virtuellen Publikum zugerufen. „Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes eine durch Partner getriebene Organisation.“

Aber diese Erfolgspartnerschaft könnte durchaus auf tönernen Füßen stehen, wenn die Software- und Systemhäuser – allein in Deutschland sind dies rund 30.000 größtenteils mittelständische Certified Partner – nicht die Pandemie-Panik abschütteln und mit Investitionen und Innovationen auf die Zukunft zusteuern. Hier muss Microsoft kräftig motivieren, um seinen Partnern Anreize für diese notwendigen Zukunftsinvestitionen zu geben. Und das, obwohl die Aussicht auf wachsende Märkte eigentlich Anreiz genug für die Software- und Systemhäuser sein müsste. Aber in der Pandemie-Panik tut man lieber nichts.

Das gleiche gilt für die mittelständischen Unternehmen, die als Kunden jetzt ihre Digitalstrategie umsetzen sollten, um geläutert und digital neu ausgesteuert aus der Corona-Starre herauszukommen. Hier rächt sich möglicherweise, dass die ausgewiesenen Staatshilfen und Rettungsschirme weitgehend ungerichtet ausgelobt werden. Statt nur darauf zu setzen, die Betriebsfähigkeit fortzusetzen, hätten EU-Kommission, Bund- und Landesregierungen die Auszahlung von Geldern an die Innovationsbereitschaft der Firmen knüpfen sollen.

Zwar sieht Microsoft-Gründer Bill Gates Deutschland durchaus als einen Pandemie-Gewinner, der wegen hervorragender Infrastruktur, einem vergleichsweise guten wirtschaftlichen Klima und dem guten Krisenmanagement unter Bundeskanzlerin Angela Merkel beste Neustart-Bedingungen genießt. Aber die exportorientierte deutsche Wirtschaft kann nur reüssieren, wenn auch die Nachfrage in den USA wieder steigt. Doch Protektionismus und Pandemie machen dort eine wiedererstarkte Konjunktur zum Konjunktiv. Möglich ist alles, gewiss ist nichts.

Und vor dieser Pandemie-Panik sind eben auch die Generalausstatter für digitale Infrastrukturen vom Schlage Microsoft nicht gefeit. Deshalb fallen Prognosen nach dem erfolgreichen Quartal so mau aus, deshalb werden Partner und Kunden auf Investitionen in Innovationen eingeschworen. Und deshalb mehren sich auch Gerüchte, Microsoft könnte sich in den kommenden Monaten einfach einen der großen Wettbewerber einverleiben. Das Geld dafür wäre da. Kandidaten für derlei Gerüchte gibt es von Salesforce über Slack oder gar SAP ebenfalls genug. Das wäre dann vielleicht auch ein Auswuchs der Pandemie-Panik.

 

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