201116 Europa

Low Profile bei High-Tech

Jeder fünfte Euro in Europas Wertschöpfung ist unmittelbar von Hochtechnologie abhängig. Diese Zahl ermittelte jetzt das internationale Beratungshaus A.T. Kearney und machte sie zum Ausgangspunkt seiner Studie „Europas High-Tech-Branche am Wendepunkt“. Denn während sich die Abhängigkeit unseres Wohlstands von technischen Innovationen rasant erhöhen wird und bald von einem Fünftel auf ein Viertel gestiegen sein mag, sinkt die Fähigkeit der Europäer, diesen Bedarf auch tatsächlich selbst zu decken.

Mit den zunehmenden Importen aus China steigt auch die Abhängigkeit von Innovationen „Made in China“. Im März hat uns die Corona-Krise schlagartig deutlich gemacht, was es bedeuten kann, wenn die Supply-Chains gekappt werden: Wer sich an Lieferketten kettet, ist geliefert. Allerdings: Wer es nicht tut, auch.

Es geht um das richtige Mischungsverhältnis im globalen Technologieaustausch. Und das verschiebt sich im Vergleich zur Volksrepublik China und den Vereinigten Staaten von Amerika kontinuierlich zu Ungunsten der 27 EU-Europäer. Das zeigt sich stets eindrucksvoll an der Zahl der eingereichten Patente. Rechnet man die sogenannten Trivial-Patente heraus, dann haben sich die aus China eingebrachten High-Tech-Patente im zurückliegenden halben Jahrzehnt auf das Dreieinhalbfache erhöht. 2014 kamen gut drei chinesische Patente auf ein europäisches, heute sind es schon zwölf! Darunter sind vermehrt Patente auf Akkus, Cloud Computing und künstliche Intelligenz – also den entscheidenden Wachstumsfeldern der nächsten Zukunft.

Von nichts kommt nichts: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den 27 EU-Ländern sind zusammengenommen geringer als die in den Vereinigten Staaten oder der Volksrepublik – und im Verhältnis zur Bevölkerungszahl sind diese sogar weniger als in Japan. Lediglich Deutschland hält noch die Forschungsfahne hoch, während die Ausgabensituation in Großbritannien, Frankreich und Italien „verheerend“ ist, wie die Studienautoren konstatieren. Und selbst Deutschland gerät im OECD-Vergleich allmählich aus der oberen Tabellenhälfte ins Mittelmaß.

Und schon werden die Folgen von Europas Low Profile in High-Tech deutlich: Rund 1200 Milliarden Dollar ist der High-Tech-Markt selbst weltweit aktuell wert. Zählt man noch die unmittelbar damit verknüpften Dienstleistungen und Produkte hinzu, vervielfältigt sich der Wert auf 5,65 Billionen Dollar bei dramatisch steigender Tendenz: Um rund 14 Prozent wächst der Markt im Jahresvergleich und nimmt heute bereits sieben Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts ein. In diesem Wachstumsmarkt verliert Europa Jahr für Jahr Marktanteile.

Und Europa baut gleichzeitig seine Abhängigkeit von Lieferungen aus den USA und China weiter aus. Der Masken-Engpass im vergangenen Frühjahr hat uns auf dramatische Weise vor Mund und Nase geführt, was es bedeutet, bei einem systemkritischen Massenprodukt von den Lieferungen aus Fernost abhängig zu sein. Dabei sind Masken bei weitem kein High-Tech. Lithium-Ionen-Batterien aber sind es sehr wohl – und ihre Bedeutung wächst mit jedem neuen E-Modell der europäischen Autobauer. Wenn – wie für 2023 geplant – Europas Fahrzeughersteller gut ein Drittel aller dann weltweit neu zugelassenen Elektrofahrzeuge liefern wollen, kann die Akku-Industrie auf dem Alten Kontinent schon jetzt absehbar nicht mithalten. Sie wird trotz des jetzt gestarteten Nachholversuchs nur 15 Prozent liefern können.

Will sagen: Europa kann seine eMobilitäts-Ambitionen schon jetzt erkennbar nicht ohne chinesische Unterstützung erfüllen. Während es früher die Antriebe waren, die Deutschland in dieser Kernbranche zum unangefochtenen Marktführer machten, gerät die Branche sehenden Auges in eine unmittelbare Abhängigkeit von funktionierenden Lieferketten mit China. Was aber, wenn der globale Protektionismus weiter zunimmt und High-Tech zum Spielball von Handelskriegen wird. Innerhalb von zehn Jahren ist der Wert von importbeschränkter Hochtechnologie von 68 Milliarden Dollar auf 1200 Milliarden Dollar gestiegen. Wie soll man beispielsweise Huawei im 5G-Markt in die Schranken weisen, wenn gleichzeitig China damit drohen kann, uns den Batteriestrom abzudrehen?

In Sonntagsreden wird schnell vollmundig dagegengehalten, Europa investiere gerade in Cloud Computing und künstliche Intelligenz verstärkt. Aber diese Investitionen sind Peanuts im Vergleich zu den Anstrengungen, die in den USA und China unternommen werden. Die F&E-Ausgaben müssen also noch deutlicher steigen – vielleicht sogar stimuliert durch die überfälligen zusätzlichen Verteidigungsausgaben der Europäer im NATO-Verbund. Das Silicon Valley konnte nur durch die enge Verbindung zum Forschungsarm des amerikanischen Verteidigungsministeriums entstehen. Wir müssen dabei nicht an Bomber und Bomben denken – die Bewaffnung im Cyberwar wäre ein ausgezeichneter Forschungsbereich, von dem auch die Wirtschaft unmittelbar profitieren könnte.

Man kann nicht gleichzeitig auf allen Gebieten durchstarten – auch wenn China das mit seinem „Made in China“-Programm bis zum Jahr 2024 vorzuexerzieren scheint. Aber Europa muss jetzt die Felder identifizieren, auf denen es innovativ mithalten und voranschreiten will. Dazu braucht es viele Milliarden Euros und einige Tausend Entrepreneure, die es wagen wollen, Neues, Umwälzendes zu entwickeln und dann mit der nötigen Konsequenz in den Markt bringen können. Sonst führt Europas Low Profile in High-Tech zu einem wirtschaftlichen Vasallentum von Chinas und Amerikas Gnaden.

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