210201 SAP

SAP und die „Cloudophobie“

Wenn SAP hustet, hat der Deutsche Aktienindex Schnupfen: Neben Linde, Siemens und der Allianz hat Europas größter Softwarekonzern das größte Indexgewicht im DAX. Doch während sich die Börse nach dem Pandemie-Schock wieder aufgerappelt hat, bleibt die SAP-Aktie nach dem massiven Einbruch im vergangenen Oktober am Boden. Gekappte Gewinnerwartungen, stockende Umstrukturierung, verbummelte Cloud-Strategie – für den seit letztem April allein herrschenden Vorstandschef Christian Klein war 2020 ein miserables Jahr.

Dabei sind die Zahlen aus dem soeben abgeschlossenen Geschäftsjahr gar nicht so desaströs, wie Analysten, Anleger und Anwender befürchtet hatten: ein Umsatzrückgang um ein Prozent auf 27,34 Milliarden Euro; das um Sondereffekte bereinigte Betriebsergebnis vor Zinsen und Steuern stieg um ein Prozent auf 8,28 Milliarden Euro. Nachdem SAP im zurückliegenden Jahr die Geschäftsprognosen zweimal nach unten korrigiert hatte, sind die jetzigen Zahlen praktisch so etwas wie eine Punktlandung.

Begründet wird das schwache Abschneiden mit der Zurückhaltung der Kunden, die im Corona-Lockdown ihre IT-Budgets eingefroren haben. Tatsächlich aber haben viele ihre IT-Ausgaben ganz einfach umgewidmet und in Remote Work und Homeoffice-Ausstattung investiert, anstatt weiter millionenteure SAP-Großprojekte zu finanzieren. Deshalb gehören IT-Giganten wie Amazon oder Microsoft auch zu den Gewinnern des Jahres 2020 – und SAP eben nicht.

Denn während Amazon und Microsoft mit ihren Cloud-Strategien von Markterfolg zu Markterfolg eilen, kam Kleins Cloud-Coup im vergangenen Oktober überhaupt nicht an und bescherte den Walldorfern einen Kurseinbruch um 20 Prozent. Die US-Amerikaner haben mit Cloud und Remote Work vor allem Neukunden hinzugewinnen können, während der Umstieg von IT in Eigenregie auf IT-Services in der Cloud langsamer vonstattengeht. Ein vergleichbarer Neukunden-Effekt blieb bei den Walldorfern aber offenbar aus. Und von den 16.000 Anwenderunternehmen, die SAP-Software einsetzen, hat nicht einmal ein Fünftel den Migrationspfad in die Wolke angetreten. Und von diesen 3300 Cloud-Projekten sind erst 2000 live, wie die Anwenderorganisation DSAG ermittelt hat.

An der berühmt-berüchtigten „Cloudophobie“ – der Angst der Deutschen vor der Cloud – allein kann das nicht liegen, denn wie bei Amazon und Microsoft sind die USA auch bei SAP der wichtigste Einzelmarkt. Es liegt wohl eher daran, dass in Walldorf seit gut einem Jahrzehnt an der richtigen Cloud-Strategie herumgebosselt wird – angefangen bei der ebenso lautstarken wie missglückten Markteinführung der Cloud-Suite Business by Design, über völlig überteuerte Migrationsangebote bis zum kostenintensiven Betrieb eigener Cloud-Rechenzentren.

Jetzt soll mit dem „RISE“-Programm der Wiederaufstieg gelingen. Aufsteigen sollen vor allem die Kunden – und zwar endlich in die Wolke. Dazu will SAP Fachwissen und Werkzeuge bereitstellen – und dadurch ein bisschen mehr wie Microsoft werden. Denn Microsofts Plattform Azure ist jetzt die bevorzugte Cloud für SAP – und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Azure die ausschließliche Plattform wird. Außerdem soll Microsofts im Corona-Jahr 2020 durchgestartete Collaboration Software Teams fest mit den Unternehmenslösungen von SAP verdrahtet werden, um – wie es im SAP-Sprech heißt – völlig neue Formen der Arbeit, Zusammenarbeit und des Austauschs zu ermöglichen, die grundlegend unsere betrieblichen Abläufe verändern. Geschäftsprozessoptimierung? – das war doch mal die unangefochtene Domäne der SAP. Jetzt kaufen sich die Walldorfer für eine knappe Milliarde Euro das Berliner Startup Signavio. Deren Software ist bereits 1300mal im Einsatz, um bei Kunden wie zum Beispiel Bosch Geschäftsabläufe zu erkennen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Treppenwitz am Rande: Ein Signavio-Gründer saß noch vor zehn Jahren bei SAP-Gründer Professor Hasso Plattner im Hörsaal.

Die Kooperation mit Microsoft ist nicht neu, doch sie geht nun tiefer und wird von SAP mit neuer Ernsthaftigkeit betrieben. Seit 2019 ist Azure die bevorzugte Cloud-Plattform. Weiter zurück geht die Zusammenarbeit rund um das Office-Paket, das ebenfalls als Cloud-Variante mit den SAP-Lösungen verbandelt ist. Dass hier Potenzial verdaddelt wurde, beweist die jetzt aufgelegte Zusammenarbeit rund um Teams – diese Collaboration Software ist eigentlich ohnehin Bestandteil von Microsoft 365. SAP hat offenbar im vergangenen Jahr den breiten Schwenk der Kunden ins Homeoffice verschlafen.

Damit das nicht wieder vorkommt, will SAP jetzt offenbar ein wenig mehr wie Microsoft sein. Das könnte durchaus ein Kulturschock werden. Aber da hat Christian Klein wohl schon vorgesorgt. Zum Jahreswechsel kam Microsofts Deutschland-Statthalterin Sabine Bendiek als oberste Personalchefin in den SAP-Vorstand. Jetzt wechselte mit Julia White die für Microsoft Azure zuständige Marketingchefin als Chief Marketing Officer in den nunmehr siebenköpfigen SAP-Vorstand. Weitere hochrangige Microsoft-Manager in den USA haben jüngst den gleichen Weg angetreten.

Man soll nichts Schlechtes dabei denken, aber der Gedanke drängt sich auf, dass Microsofts CEO Satya Nadella seine Truppen ausschickt, um SAP von innen zu erobern. Übernahmegerüchte zwischen beiden Companies hat es immer schon gegeben – in den Neunzigern sogar ernsthafte Vorgespräche. Eins lässt sich aber jetzt mit Sicherheit sagen: Der Weg der SAP-Kunden in die Cloud führt so oder so über Microsoft. Das ist vielleicht die beste Impfdosis gegen Cloudophobie.

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