210215 Viva

Viva Future – Es lebe die Zukunft!

Immer wenn die Gegenwart nicht besonders hell leuchtet, wärmt uns der Blick auf die Zukunft. Nach der Befragung von rund einhundert Zukunftsforschern, deren Ergebnis jetzt vom niederländischen Softwarehaus Beech IT vorgelegt wurde, können wir uns noch vor dem Jahr 2030 auf eine IT-Zukunft freuen, in der es praktisch keine Ressourcenprobleme mehr gibt. Supercomputer werden aus Mikrochips gesteuert, die diesen Namen kaum noch verdienen, weil sie im atomaren Bereich schalten. Statt derzeit fünf Nanometer sind die Gatter dann in einem Abstand kleiner als ein Nanometer geritzt. Und dabei ist das Phänomen der Quantencomputer noch nicht einmal eingepreist.

Parallel dazu gibt es „5G Plus“ mit zehn Gigabit pro Sekunde, so dass wir die Begriffe „Ladezeiten“ oder „Download“ aus unserem Sprachschatz verlieren, weil alles und jedes quasi per Knopfdruck verfügbar sein wird. Probleme bereiten freilich die Datenmengen, die wir zu bewältigen haben. 80 Prozent der Daten werden von Sensoren und Aktoren im Internet der Dinge produziert werden. Zur Orientierung: Wir verfügen bereits heute über einen Internet-Adressraum, der jedes Sandkörnchen am Strand mit einer IP-Adresse versehen könnte. Jedes Sandkorn könnte also ein Datenlieferant sein.

Ich will ja keine Spaßbremse sein – aber die durchaus realistische Vorstellung, dass die Bundesregierung im Jahr 2030 die flächendeckende Versorgung Deutschlands mit dem Übertragungsstandard 5G als „nahezu erreicht“ verkündet, verschafft mir ein kaltes Grausen angesichts der Tatsache, dass dann die Digital Nations wie Shanghai oder Finnland, Litauen oder Israel und China oder die USA die Vision von zehn Gigabit längst in Angriff genommen haben könnten. Zukunftsvisionen sind ja sehr motivierend, aber sie demotivieren, wenn sich jetzt schon abzeichnet, dass Deutschland in dieser Technologieliga aller Voraussicht nach nicht mitspielen wird.

Da macht es Sinn, auf die Wirtschaft zu hören. Es ist durchaus erfreulich, dass Vodafone mit seiner Tochter Vantage Towers an die Börse gehen will. Das Unternehmen treibt den Bau von 5G-Funktürmen voran und könnte in den kommenden Monaten eine Marktkapitalisierung im zweistelligen Milliardenbereich erreichen. Und ebenso spannend ist es, dass Microsoft, das deutschlandweit immerhin 3,5 Millionen Kunden mit einem Partnerökosystem aus 30.000 Firmen betreut, nun das Internet revolutionieren will. Denn, wenn es die althergebrachten Paradigmen wie „Download“ und „Ladezeiten“ im Internet nicht mehr gibt und wahrhaft alle Informationen „at your fingertips“ zur Verfügung stehen, wie Microsoft schon vor 20 Jahren versprochen hat, dann brauchen wir auch neue Paradigmen für unser Handeln, unsere Methoden, unseren Sprachgebrauch – kurz: für die User-Experience – im dann eher World Wide Wealth genannten Internet.

Mit Viva hat Microsoft jetzt bewährte, neue und zukünftige Technologien zusammengefasst, um Mitarbeitern eine völlig neue Wahrnehmung des Internets, ihrer Firmen-IT und ihres Workplaces zu vermitteln – egal, ob dieser Arbeitsplatz gerade im Büro am Monitor, im Homeoffice am Notebook, in einem Fahrzeug am Tablett, in der Hand am Smartphone, direkt vor den Augen als Augmented Reality oder in einem künstlich geschaffenen Raum als Virtual Reality abgebildet wird. Die Tech-Analystin Mary Jo Foley sieht in Viva eine erste Inkarnation des „MetaOS“, dem Betriebssystem und der Benutzeroberfläche der Zukunft, an dem Microsoft angeblich arbeitet.

Viva besteht – derzeit – aus vier Komponenten.

  • Viva Connections bietet Beschäftigten über Teams einen persönlichen Einstiegspunkt in den digitalen Arbeitsplatz. Es wird möglich, Communitys beizutreten und mit ihnen zu interagieren. Die Connections-App für Teams wird im ersten Halbjahr 2021 für den Desktop verfügbar sein, eine mobile App folgt später in diesem Jahr.
  • Viva Insights: Mit dem Wandel zu hybriden Arbeitsmodellen verschwimmen die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben. Persönliche Einblicke sollen Mitarbeitenden helfen, regelmäßige Pausenzeiten wahrzunehmen, sich Fokuszeiten für konzentriertes Arbeiten einzurichten und die Beziehung zu anderen zu pflegen. Die dafür genutzten Daten sind genauso umfassend geschützt wie Informationen in E-Mails, im Kalender oder Teams Führungskräfte können Entwicklungen auf der Team- und Organisationsebene erkennen und bessere Arbeitsbedingungen schaffen.
  • Viva Learning schafft einen zentralen Hub für das Lernen mit künstlicher Intelligenz. So soll eine Lernkultur entstehen, die Weiterbildung zu einem selbstverständlichen Teil des täglichen Arbeitens werden lässt. Die Viva Learning-App ist ab sofort in der privaten Vorschau verfügbar und wird im Laufe des Jahres eingeführt. Zudem wird eine Integration mit führenden Lernmanagementsystemen wie Cornerstone OnDemand, Saba und SAP SuccessFactors angeboten.
  • Viva Topics macht Wissen nutzbar, ohne aktiv danach suchen zu müssen. Es vereint künstliche Intelligenz mit menschlicher Expertise und organisiert unternehmensweite Inhalte und Fachwissen automatisch zu laufenden Projekten, Produkten, Prozessen oder Kunden. Viva Topics ist ab sofort als Add-on in Microsoft 365-Plänen für die kommerzielle Nutzung vorerst für englischsprachige Inhalte verfügbar.

Es passt zur Stoßrichtung von Viva, dass Microsoft nach der Übernahme von Skype und LinkedIn weiterhin Interesse an der Übernahme von sozialen Medien zeigt. Nachdem das Angebot, die US-Aktivitäten der chinesischen App Tiktok zu übernehmen, an den Verschwörungstheorien der damaligen Trump-Regierung scheiterten, ist jetzt Pinterest der Gegenstand des Begehrens. Allerdings wird die Bilder-App derzeit mit 50 Milliarden Dollar bewertet. Das ist mehr als so mancher DAX-Konzern auf die Waage bringt. Und es wäre auch die größte Übernahme in der Microsoft-Geschichte.

Allerdings: Was gibt es größeres als die Zukunft? Wenn Microsoft 50 Milliarden in die Hand nimmt, um eine Social-Media-Platform zu übernehmen, warum sollte dann die Bundesregierung nicht 50 Milliarden in die Hand nehmen, um endlich wieder in die erste Liga der Digitalisierung aufzusteigen. Sonst lebt die Zukunft woanders.

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