Seit nunmehr vier Jahren sitzen Regierungsbeamte aus 84 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation WTO in Genf beisammen, um die Weltordnung des Internets neu zu regeln. – Ergebnislos bislang. Der Knackpunkt ist im Wesentlichen die Frage, wo Daten gespeichert sein müssen und wie grenzüberschreitende Datenflüsse künftig behandelt werden sollen. Klingt trocken, ist aber ein durchaus sensibles Thema sowohl für die Digitalwirtschaft als auch für den freiheitlichen Umgang mit Informationen.
Die Vertreter des Globalen Südens, aber auch China plädieren heftig dafür, Internet-Konzerne künftig dazu zu verpflichten, bei ihren Services anfallende Daten im jeweiligen Land zu speichern. Das klingt auf den ersten Blick gut. Mehr Datensouveränität und Teilhabe am Datenpool sind schließlich auch Forderungen, die innerhalb der Europäischen Union – zum Beispiel im Projekt Gaia-X – verfolgt werden. Staaten wie Südafrika oder Indien wollen nicht länger als Datenlieferanten missbraucht werden, ohne selbst Zugriff auf die gespeicherten Informationen zu erhalten. Allerdings beweist die Praxis in autoritären Staaten auch, dass Datenlokalisierung zur Ausgrenzung von Angeboten missliebiger ausländischer Unternehmen und zur Einschränkung der Informationsfreiheit missbraucht werden kann. Wie der positive Effekt der Datenlokalisierung gefördert werden kann, während die negative Seite gleichzeitig eingeschränkt werden soll, ist schwierig, schwierig.
Das gilt auch für die Frage der grenzüberschreitenden Datenflüsse. Wenn Daten Rohstoffe der Zukunft sind, dann werden die datenliefernden Länder quasi ihrer Rohstoffe beraubt. Ob es freilich Zölle auf Daten geben sollte, ist ebenfalls ein zweischneidiges Schwert. Und drittens geht es um die Frage, ob Quellcode und Algorithmen offengelegt werden sollten. Bei Apps, die wie jetzt in der Corona-Pandemie, über Gesundheitsfragen (mit-)entscheiden, könnte das durchaus sinnvoll sein. Dies gilt erst recht, wenn sich hinter den Algorithmen Systeme der künstlichen Intelligenz verbergen, deren Entscheidungen nicht nur über Gesundheitsthemen, sondern auch über Kreditwürdigkeit, Zugang zu Dienstleistungen oder über Karrierefragen entscheiden könnten. Andererseits sehen gerade die Internet-Konzerne in den Codes und Algorithmen kritische Wettbewerbsvorteile und wertvolles geistiges Eigentum, das geschützt werden muss.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass beispielsweise Microsoft seine Rechtsabteilung von derzeit 1600 Mitarbeitern auf knapp 2000 aufstockt. Es gehe darum, den durch die nationalen Gesetzgeber geschaffenen regulatorischen Rahmenbedingungen rund um den Globus gerecht zu werden, begründet Microsofts Präsident Brad Smith, zugleich oberster Justiziar des Unternehmens, die Neuorganisation des Legal Departements. Will sagen: Die Internet-Konzerne stellen sich darauf ein, künftig in praktisch jeder nationalen Regierung Lobbyarbeit leisten zu müssen. Es geht für sie darum, den Regulatoren einen Riegel vorzulegen und den freien Datenverkehr zu bewahren. Sonst ist der wichtigste Wirtschaftszweig der industrialisierten Länder, nämlich die Digitalwirtschaft, im Keim erstickt.
Wie konkret diese Gefahr ist, zeigt der jetzt im US-Kongress vorliegende Gesetzesentwurf unter dem Titel „Ending Platform Monopolies Act“, der die Marktmechanismen der Plattform-Ökonomie angreift. Damit sollen Unternehmen zum Verkauf von Geschäftsfeldern gezwungen werden, wenn darin monopolartige Strukturen entstehen, die erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. Ebenso sollen Firmenübernahmen, die das gleiche Ziel verfolgen, verhindert oder zumindest verteuert werden. Damit ziehen die Amerikaner Konsequenzen aus den Untersuchungen gegen Internet-Giganten wie Amazon, Apple, Facebook oder Google, denen vorgeworfen wird, auf ihren Internet-Plattformen Dritten nicht die gleichen Wettbewerbskonditionen einzuräumen wie den eigenen Produktangeboten.
In der Tat hat die Internetwirtschaft innerhalb weniger Jahrzehnte Fakten geschaffen, die von der Politik weder vorhergesehen wurden und wohl auch nicht vorhersehbar waren, noch jetzt zügig nachbearbeitet werden. Der größte Gegner der Regulierer sind nicht die Internet-Giganten, sondern ihr eigener zeitraubender Abstimmungsprozess. Seit vier Jahren sitzen die WTO-Vertreter in Genf am Tisch. Bis ein eigener allgemein akzeptierter Vorschlag für ein Internet-Handelsabkommen vorgelegt wird, dürfte auch das fünfte Verhandlungsjahr ins Land gehen. Danach müsste ein solcher Vertrag noch angenommen und in den Ländern ratifiziert werden. Bis dahin hat die Digitalwirtschaft längst neue Fakten geschaffen. Die Regulatoren brauchen neue Regeln, sonst riegeln sie sich selbst ab.