210912 5G

2G und 3G nicht ohne 5G und 6G

Es klingt wie ein veralteter Mobilfunkstandard, aber die Frage, ob künftig 2G oder 3G gelten soll, erhitzt die Gemüter mehr als die Frage, wo auf dem Land ein 5G-Breitbandangebot besteht und wann wir mit dem Ausbau zum Nachfolge-Standard 6G beginnen werden. Ob nur noch Geimpfte und Genesene uneingeschränkten Zugang zu Freizeiteinrichtungen haben dürfen und Getestete außen vor bleiben müssen, ist aber in der Tat eine Frage, die an den Grundfesten unserer Freiheitsidee rüttelt. Und die Frage, ob Ungeimpfte ihre Tests auch künftig aus der Steuerkasse bezahlt bekommen sollten, stellt unser Gerechtigkeitsempfinden auf eine harte Probe. 2G oder 3G – durch diese Frage zieht sich die Angst vor einer gespaltenen Gesellschaft.

Deshalb eiern die Kandidaten fürs Kanzleramt bei dieser Frage auch herum. Sie wollen den einen Teil der Gesellschaft nicht verlieren, ohne den anderen Teil sicher für sich gewonnen zu haben. Der ganze Wahlkampf funktioniert nach dieser Strategie: Ja zum Kampf gegen den Klimawandel, aber ohne Belastungen für die Wirtschaft. Ja zu mehr Ausgaben für Bildung und Sicherheit, aber ohne Steuererhöhungen. Ja zu mehr Fachkräften aus dem Ausland, aber ohne eine weitere Migrationswelle. Und das Thema Digitalisierung wird am liebsten erst gar nicht angesprochen. Die CDU reichte letzte Woche immerhin ein Positionspapier ein. Doch das bleibt ebenso im Ungefähren wie die ganze Digital-Bilanz unter Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Denn auch das Digitalisierungstempo in Deutschland spaltet die Gesellschaft – und das gleich mehrfach: Bedenkenträger verhindern Bürokratieabbau, Datenschützer verbieten digitale Bildungswerkzeuge, Bremser vermeiden disruptive Visionen, mangelnde Qualifikation verzögert die Umsetzung von Digitalstrategien, fehlende Anreize verlangsamen den Breitbandausbau nach 5G, ganz zu schweigen von 6G. In harten Zahlen ausgedrückt, lautet das so: Im 130 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramm der Bundesregierung sind immerhin 50 Milliarden Euro als Fördergeld für Digitalisierungsprojekte reserviert. Aber von diesen 50 Milliarden Euro sind nach rund anderthalb Jahren erst 15 Prozent abgerufen worden. Neben einem Erkenntnisproblem haben wir offensichtlich auch ein Umsetzungsproblem.

Deshalb ist Deutschland nach Einschätzung von Telekom-Chef Timotheus Höttges in Sachen Digitalisierung global „derzeit nicht wettbewerbsfähig“. Er wiederholte diese Einschätzung jetzt auf der virtuell und real ausgetragenen Großveranstaltung DigitalX, die immerhin 20.000 „Digitaliener“ nach Köln lockte. Das „X“ im Namen soll wohl dafür stehen, dass jede Branche, jeder Geschäftsvorfall, aber auch jede Lebenslage künftig irgendwie „digital“ sein soll.

Um mehr globale Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen, hat die Deutsche Telekom jetzt – wieder einmal – eine Mittelstandsinitiative gestartet, die den Zugriff auf den noch zu 85 Prozent gefüllten Fördertopf erleichtern soll. Bis zu 300 Anrufe erhalte man wöchentlich, heißt es. Doch das bedeutet aufs Jahr gerechnet, dass sich bestenfalls fünf Promille des deutschen Mittelstands auf die Initiative gemeldet haben werden. Das reicht nicht für eine „digitale Durchseuchung“, die Deutschland wieder einen Wettbewerbsvorsprung bringen könnte. Es würde aber allerhöchste Zeit, dass wir uns mit digitalen Visionen impfen lassen. Nach einer Studie des Berliner European Centers for Digital Competitiveness (ECDC) reicht es für Deutschland nur noch für den vorletzten Platz in Europa – vor Albanien.

Ohne Innovationen wird Deutschland, werden aber auch die Länder der Europäischen Union nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit verfehlen, sondern auch ihre Klimaziele. Zwar haben die privaten Investitionen in Klimaschutztechnologien weltweit nach Untersuchungen der Boston Consulting Group seit 2016 im Jahresdurchschnitt um 14 Prozent zugenommen. Insgesamt summiert sich das im Jahr 2020 auf 37 Milliarden Euro. Aber es bedarf zusätzlicher Investitionen in Höhe von 90 bis 210 Milliarden Euro jährlich, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.

Und wir kriegen nicht einmal einen flächendeckenden 5G-Standard hin. Schauen Sie doch mal auf Ihr Smartphone. Wenn dort oben rechts ein „3G“ erscheint, ist der 2004 eingeführte UMTS-Standard gemeint. Edge wiederum steht für „2G“. Damit müssen immer noch viele Mobilfunknutzer leben. Auch das spaltet die Gesellschaft. Erst recht, wenn wir im Herbst doch wieder einen Lockdown haben sollten – wenn auch nur für Ungeimpfte.