191229 Rückblick

Chip, Chip, Hurra?

Die Automobilindustrie richtet sich offensichtlich auf eine längere Verknappung der dringend benötigten Halbleiter ein, mit denen die smarten Assistenzsysteme, Sensoren und Elektromotoren gesteuert werden. Anbieter wie beispielsweise Audi, BMW oder Mercedes kappen in der Konsequenz ihre Modellpalette am unteren Ende, während zugleich die teureren Top-Modelle ausgebaut werden. Der Grund: Während der Chip-Set an beiden Enden der Modellreihe vergleichsweise gleich ist, wird rund um die Halbleiter-Technik im oberen Produktsegment deutlich mehr Blech, Komfort und Luxus verbaut. Oder anders ausgedrückt: die Marge pro Halbleiter-Bausatz ist bei den Luxusmodellen einfach größer.

Zwar sind auch die Kosten für die Rohstoffe, aus denen Karosserien und Motoren gebaut werden, gestiegen, doch während bei den kleineren Modellen damit kaum noch wirtschaftlich produziert werden kann, wird bei den Top-Modellen kräftig verdient – bei weniger ausgelieferten Fahrzeugen. Dabei produzierten die Autobauer auch vor Corona und der durch die Pandemie ausgelösten Lieferkettenprobleme schon weniger Fahrzeuge als die Nachfrage eigentlich hergab. Doch die Chipkrise verschärft den Trend. Volkswagen musste wegen fehlender Chip-Vorräte sogar zwischenzeitlich Kurzarbeit anmelden.

So wie die Autobauer gibt es kaum eine Industriebranche, die nicht direkt oder indirekt von der Halbleiter-Knappheit betroffen ist. Je weiter die Digitalisierung fortschreitet, desto höher ist der Anteil der Chips an der Wertschöpfung. Dabei ist ein Ende der Chip-Krise keineswegs abzusehen. Das hat die Europäische Kommission aufgeschreckt und aufgeweckt. Mit einem Maßnahmenpaket von insgesamt 43 Milliarden Euro will sie die Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von den Chip-Küchen in Fernost verringern.

Das Ziel des jetzt vorgestellten EU- Chip Acts ist es, den Weltmarktanteil europäischer Chipproduktion auf 20 Prozent zu erhöhen. Das wäre durchaus eine enorme Steigerung, zumal sich die Nachfrage nach Halbleitern und ihre Leistungsfähigkeit weiterhin regelmäßig verdoppeln. Aber zum Vergleich: Noch in den neunziger Jahren lag Europas Anteil am weltweiten Chipmarkt bei 44 Prozent. Dann folgte – wie in vielen anderen Hightech-Branchen – ein verhängnisvoller Dornröschenschlaf. Derzeit steht zu befürchten, dass nicht aufgeholt wird, sondern weiterhin Terrain verlorengeht. Der nächste Kandidat für die Hightech-Sklerose: die Automobilindustrie.

Doch wenn sich auch die Abhängigkeit von Chipproduzenten wie TSMC, Global Wafers oder Intel durch die europäische Initiative wohl kaum verringern lässt, die Abhängigkeit von den vulnerablen Lieferwegen soll in jedem Fall abnehmen. Deshalb bietet die EU Fördermittel in Milliardenhöhe für diese drei Hersteller, wenn sie die nächsten Fabriken auf dem Alten Kontinent errichten. Und die EU-Mitgliedsstaaten überbieten sich in weiteren Vergünstigungen, um die Standortentscheidung zu eigenen Gunsten zu beeinflussen.

Ganz unverhohlen treibt derzeit Intel-Chef Pat Geisinger Höchstgebote für Subventionen aus Europa ein. Sein Argument: Der Aufbau einer Halbleiter-Fabrikationsstätte in Europa koste rund 30 bis 40 Prozent mehr als in Asien. Das ist kaum von der Hand zu weisen. Ebenso schwer wiegen dürfte die Tatsache, dass Genehmigungsverfahren hierzulande deutlich langwieriger und in ihrem Ergebnis ungewisser sind als in Fernost. Geisingers Vorstoß ist also durchaus aussichtsreich – auch wenn sich Milliardeninvestitionen in eine ohnehin hochprofitable Branche nur schwer rechtfertigen lassen. Aber in Nordamerika baut Intel bereits neue Chip-Fabriken mit starker staatlicher Finanzunterstützung. In Ohio plant Intel zwei Fabriken für 20 Milliarden Dollar. Das Projekt könnte noch auf 100 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Bis zu acht Intel-Fabriken könnten dort entstehen. Gefördert wird das Ganze auch aus dem vor wenigen Wochen vorgestellten „Chips for America Act“ mit Investitionen von 52 Milliarden Dollar bis 2026.

Und in Asien? China steckt über eine Billion Dollar in Förderprogramme für Technologien wie die Halbleiterindustrie. Auch Südkorea bietet bis 2030 den Chipbauern steuerliche Anreize von 450 Milliarden Dollar. Dabei sollte man das Schicksal der Solarbranche im Auge behalten: deren Produktion steckt trotz europäischer und vor allem deutscher Subventionen inzwischen auch im fernen Osten fest. Doch ohne eine eigene Halbleiter-Industrie würden auch andere Branchen abwandern – zumal China schon jetzt der größte Absatzmarkt der Autobauer ist. Für ein vollmundiges „Chip, Chip, Hurra“ werden die Europäer also noch heftig aufstocken müssen.

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